Zwangsvollstreckung -

Kontrolle über Aktiengesellschaft durch Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden?

Die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden ist kein „acting in concert“ nach dem WpÜG.

Dies gilt zumindest dann, wenn es sich dabei nur um einen „Einzelfall“ i.S.v. § 30 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz WpÜG handelt, der von den Verpflichtungen nach dem WpÜG ausgenommen ist.

Sachverhalt:

Die Klägerin, die Beklagte und ihre beiden Streithelferinnen (drei sog. Finanzinvestoren) sind Großaktionäre einer großen deutschen, dem Mitbestimmungsgesetz unterliegenden Aktiengesellschaft; dabei halten die Klägerin ca. 33% und die drei Finanzinvestoren je ca. 17% der stimmberechtigten Aktien. Alle vier Großaktionäre hatten im Jahr 1993 einen Vertrag geschlossen, in dem sie sich nicht nur gegenseitig Vorkaufsrechte auf ihre jeweiligen Aktienpakete einräumten, sondern auch eine gemeinsame Abstimmung bei den Aufsichtsratswahlen verabredeten. Im März 2003 hoben sie dies Vereinbarung auf, verständigten sich aber alle gleichwohl wieder auf die personelle Besetzung der Anteilseignerseite für die für Juni 2003 anstehenden Wahlen zum Aufsichtsrat; keine Übereinstimmung konnten sie hinsichtlich der Person des Aufsichtsratsvorsitzenden herbeiführen.

Später einigte sich die Beklagte mit den beiden Streithelferinnen - ohne die Klägerin einzubeziehen - auf die Wahl des bisherigen Vorstandsvorsitzenden zum neuen Aufsichtsratsvorsitzenden. Am Vorabend der Hauptversammlung wurde der Klägerin unterbreitet, dass man nur dann deren Vertrauensmann zum stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden wählen werde, wenn im Gegenzug die Klägerin sich dem Vorhaben, den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden mit dem bisherigen Vorstandsvorsitzenden zu besetzen, anschließen werde. In der Hauptversammlung wurden sodann die Aufsichtsratsmitglieder abredegemäß gewählt. Im Anschluss hieran wählte der neu gebildete Aufsichtsrat – unter anderem mit den Stimmen der Klägerin – den bisherigen Vorstandsvorsitzenden zum Aufsichtsratsvorsitzenden.

Die Klägerin meint, die Beklagte habe gemeinsam mit ihren beiden Streithelferinnen die Kontrolle über die Aktiengesellschaft erlangt. Da dies weder angezeigt wurde, noch ihr ein öffentliches Angebot unterbreitet wurde, verlangt sie im Wege der Teilklage Zahlung von 200.000 € Zinsen gemäß § 38 WpÜG.


Entscheidung:

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, in der zwischen der Beklagten und ihren beiden Streithelferinnen verabredeten und später durchgesetzten Wahl des neuen Aufsichtsratsvorsitzenden sei ein abgestimmtes Verhalten im Sinne von § 30 Abs. 2 WpÜG zu sehen. Dieses „acting in concert“ führe dazu, dass sich die Beklagte die Stimmanteile der beiden Streithelferinnen zurechnen lassen müsse. Da alle drei zusammen über Stimmanteile in Höhe von ca. 51 % verfügten, habe die Beklagte hierdurch die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt, ohne den ihr hieraus erwachsenen Pflichten nach § 35 WpÜG nachgekommen zu sein. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute das Berufungsurteil aufgehoben und die klageabweisende landgerichtliche Entscheidung wiederhergestellt. Nach seiner Beurteilung beruht das Berufungsurteil in mehrfacher Hinsicht auf Rechtsirrtum: die Klägerin als Beteiligte an der Absprache kann Rechte wegen Nichtunterbreitens eines Pflichtangebots nicht geltend machen; das abgestimmte Verhalten ist nach dem Gesetz nur für Abstimmungen in der Hauptversammlung verboten, und bei der Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden hat es sich nur um einen „Einzelfall“ i.S.v. § 30 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz WpÜG gehandelt, der von den Verpflichtungen nach dem WpÜG ausgenommen ist.

Quelle: BGH - Pressemitteilung vom 18.09.06