Erbrecht -

Auslegung von Testamenten bei Zuwendung einzelner Gegenstände

Die Ermittlung des Willens des Erblassers bei der Zuwendung von Einzelgegenständen zählt zu den schwierigsten Gebieten der Testamentsauslegung. Der vorliegende Beitrag soll dazu dienen Ansätze zur Lösung derartiger Erbfälle aufzeigen.

Da ein Rückgriff auf die Vorschrift des § 2087 BGB erst zulässig ist, wenn trotz erläuternder bzw. ergänzender Auslegung (§§ 2084, 133 BGB) der Wille des Erblassers nicht zweifelsfrei bestimmt werden kann, sind genauere Ermittlungen über die Vermögensverhältnisse des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments als auch des Erbfalls notwendig, um die Motive des Erblassers sorgfältig zu erforschen. Dabei ist die Kenntnis der Rechtsprechung unerlässlich.

I. Problem:

Der Erblasser kann mittels letztwilliger Verfügung einen oder mehrere Erben als Gesamtrechtsnachfolger seines Nachlasses bestimmen oder aber lediglich einzelne Forderungsrechte (z.B. Vermächtnisse) zuwenden.

Immer wieder aktuell und zugleich spannend ist in der forensischen Praxis die Abgrenzung zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnis, weil zahlreiche letztwillige Verfügungen insoweit unklar und auslegungsbedürftig sind. Die Abgrenzung bereitet meist dann Probleme, wenn der Erblasser einer oder mehreren Personen Einzelgegenstände in Unkenntnis der Tatsache zugewendet hat, dass nach den erbrechtlichen Grundsätzen (Universalsukzession) eine Erbeneinsetzung nicht betreffend eines oder mehrerer Gegenstände erfolgen kann.

Die Auslegungsregel des § 2087 BGB befasst sich mit dieser Abgrenzungsproblematik, wann nämlich eine Erbeinsetzung und wann ein Vermächtnis vorliegt. Im Grunde knüpft diese Vorschrift an den Grundsatz an, das die Zuwendung des (gesamten) Vermögens oder eines Bruchteils davon als Erbeinsetzung und die Zuwendung nur einzelner Gegenstände als Vermächtnisanordnung anzusehen ist. Gleichwohl lässt die Bestimmung in der Rechtsprechung und Literatur Fragen offen, auf die hier hingewiesen werden soll.


II. Auslegungsregeln des § 2087 BGB - Allgemein

§ 2087 Abs. 1 BGB: Hat der Erblasser sein Vermögen oder einen Bruchteil seines Vermögens dem Bedachten zugewendet, so ist die Verfügung als Erbeinsetzung anzusehen, auch wenn der Bedachte nicht als Erbe bezeichnet ist.

 

§ 2087 Abs. 2 BGB: Sind dem Bedachten nur einzelne Gegenstände zugewendet, so ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass er Erbe sein soll, auch wenn er als Erbe bezeichnet ist.

Beide Regelungen werden überwiegend als Auslegungsregeln angesehen. Das bedeutet, dass sie nur dann anwendbar sind und auf sie zurückgegriffen werden kann, wenn eine Auslegung unter Anwendung allgemeingültiger Auslegungskriterien (§§ 2084, 133 BGB) nicht zu einen Ergebnis führt (Bamberger/Roth/Litzenburger, 2. Aufl., § 2087 Rn. 2).

Die Bestimmung des § 2087 Abs. 1 BGB erschöpft sich bei der Abgrenzungsfrage – zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnis – in der Klarstellung, dass eine Erbeinsetzung auch dann vorliegen kann, „wenn der Bedachte nicht als Erbe bezeichnet ist“. Für die Abgrenzung zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnis lässt diese Regelung mehr Fragen offen, als sie beantwortet.

Anders die Bestimmung des § 2087 Abs. 2 BGB, die bei ergebnisoffener Auslegung („im Zweifel“) dazu führt, dass die Zuwendung einzelner Gegenstände als Vermächtnis aufzufassen ist.


III. Auslegungsregel § 2087 Abs. 1 BGB

Hat der Erblasser durch letztwillige Verfügung einem (oder mehreren) anderen sein Vermögen oder Bruchteile davon zugewendet, ist stets zunächst durch erläuternde oder ergänzende Testamentsauslegung zu ermitteln, ob er eine Erb- bzw. Miterbeneinsetzung vornehmen oder Vermächtnisse bzw. Teilungsanordnungen bestimmen wollte.

Aus § 2087 Abs. 1 BGB lässt sich entnehmen, dass im Mittelpunkt der abgrenzenden Auslegung nicht das verwendete Wort, die formale Bezeichnung, sondern die gewollte Art des Vermögensübergangs stehen muss. Der Unterschied bedeutet Universalsukzession und Singularsukzession. Das heißt, dass festzustellen ist, welche wirtschaftlichen Zwecke der Erblasser mit der einzelnen Zuwendung verfolgte.

  • Für die Annahme eines Vermächtnisses spricht es, wenn es dem Erblasser wesentlich darauf ankommt, dem Bedachten einen bestimmten Gegenstand unbelastet durch Nachlassverbindlichkeiten zu verschaffen (vgl. BayObLG NJW-RR 2002, 875), denn nur bei der Universalsukzession erlangt der Erbe eine dingliche Beteiligung am Nachlass und hat für die Nachlassverbindlichkeiten einzustehen (§ 1967 BGB).
  • Für eine Erbeinsetzung spricht es, wenn der Erblasser sein Vermögen mehr oder weniger umfassend auf eine oder mehrere Personen übergehen lassen will, die dann für die Nachlassverbindlichkeiten haften und u.U. den Nachlass abwickeln sollen (KG FamRZ 2004, 44; BayObLG NJW-RR 1997, 517).

Hinweis:

Erbenstellung bedeutet stets das Innehaben der dinglichen Rechtsinhaberschaft (anstelle des Erblassers) nach dem Erbfall.
Vermächtnis bedeutet die Nichtbeteiligung am Fortbestehen des Nachlasses und bloße Stellung eines außenstehenden Gläubigers.


Ob der Erblasser über sein gesamtes Vermögen verfügen wollte, ist allein aus seiner Sicht und nicht aus der Sicht eines objektiven Dritten zu beurteilen. Hierbei sind die Wertvorstellungen des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung maßgebend, so dass Änderungen im Vermögen nach Errichtung bis zum Erbfall für die Auslegung grundsätzlich nicht beachtlich sind es sei denn, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung bereits mit einem Vermögenszuwachs gerechnet hat.

Werden Gruppen von Gegenständen (z.B. Sparbücher, Bankguthaben, Familienschmuck, Gemäldesammlung, Hausgrundstücke o.ä) zugewendet, die das gesamte Vermögen des Erblassers ausmachen, ist grundsätzlich von einer Miterbeneinsetzung verbunden mit einer Teilungsanordnung auszugehen (vgl. OLGR Celle, 2002, 246).

Hinweis:

Für die Höhe der Erbanteile und den Zeitpunkt der Wertbestimmung ist grundsätzlich von den Vorstellungen des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments auszugehen.

IV. Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB

Die Zuwendung einzelner Vermögenswerte kann Erbeinsetzung bedeuten und bedeutet nur „im Zweifel“ nach § 2087 Abs. 2 BGB die Anordnung eines Vermächtnisses. Auch hier ist zunächst eine erläuternde oder ergänzende Auslegung nach den §§ 2084, 133 BGB vorzunehmen. In Rechtsprechung und Literatur werden hierzu im Wesentlichen zwei Fallkonstellationen unterschieden:

  • die Erbeinsetzung durch Einzelzuwendung des wesentlichen Vermögens des Erblassers und
  • die Berufung zu Miterben im Verhältnis der im Einzelfall zugewendeten Vermögensgegenstände.


1. Einzelzuwendungen

Von einer Erbeinsetzung ist – vor Anwendung der Zweifelsregelung – dann auszugehen, wenn die Auslegung des Testaments ergibt, dass trotz Zuwendung nur einzelner Gegenstände eine Erbeinsetzung der mit diesen Gegenständen Bedachten anzunehmen ist.

Das kann etwa dann der Fall sein, wenn der Erblasser sein Vermögen vollständig den einzelnen Vermögensgegenständen nach verteilt hat, wenn er dem Bedachten die Gegenstände zugewendet hat, die nach seiner Vorstellung das Hauptvermögen bilden, oder nur Vermächtnisnehmer vorhanden wären und nicht anzunehmen ist, dass der Erblasser überhaupt keine Erben berufen und seine Verwandten oder seinen Ehegatten als gesetzliche Erben ausschließen wollte (BGH ZEV 2000, 195).

Die Rechtsprechung knüpft bei der Auffassung von Einzelzuwendungen als Erbeinsetzung zunächst daran an, ob der Erblasser bei der Errichtung der Verfügung davon ausgegangen, sich dessen bewusst war, über sein gesamtes Vermögen zu verfügen (sog. Gesamtverfügungswille). Wann dies der Fall ist wird nicht einheitlich beurteilt. Man wird unter Berücksichtigung der Tragweite der Anknüpfung erst dann von einem Gesamtverfügungswillen ausgehen können, wenn der Erblasser über rund 90% seines Vermögens verfügt hat (vgl. u.a.: BGH a.a.O.; OLG Celle, a.a.O.; BayObLG Rpfleger 2000, 217; FamRZ 1999, 1932). Maßgeblich ist auch hier grundsätzlich die Wertvorstellung des Erblassers zurzeit der Errichtung des Testaments und nicht der Zeitpunkt des Erbfalls.

Der so genannte Gesamtverfügungswille wird auch dann angenommen, wenn

  • der Erblasser andere Personen als die ausdrücklich Bedachten von der Rechtsnachfolge ausgeschlossen hat, z.B. durch die Formulierung „alle anderen bekommen nichts“ oder „eine Miterbengemeinschaft soll nicht erst entstehen“ (OLGR Düsseldorf 2007, 246);
  • der Erblasser alle seine Verwandten vom Erbe ausgeschlossen hat, weil nicht anzunehmen ist, dass die gesetzliche Erbfolge des Fiskus gewollt ist (BayObLG FamRZ 2005, 1202);
  • dem Bedachten Grundbesitz von nicht unerheblichem Wert zugewendet wurde (BayObLG FGPrax 2005, 126; Palandt/Edenhofer, 67. Aufl. Rn. 5 m.w.N.);
  • der Bedachte das „übrige Vermögen“ erhalten soll und damit alles, was nicht ausdrücklich als Zuwendung einzelner Gegenstände an andere Personen verteilt wurde, wenn dieses Restvermögen den Wert jeder einzelnen anderen Zuwendung erheblich übersteigt, selbst wenn es dann die anderweitigen Verfügungen insgesamt wertmäßig nicht übertrifft (BayObLG NJW-RR 2002,1232) und
  • Anordnungen, die sich auf die Lasten und Kosten des Nachlass beziehen, getroffen sind (BayObLG FamRZ 2005, 1202).

Hinweis:

Auch hier ist stets zu beachten, dass der Erblasser wissen und wollen muss, dass der jeweilige Zuwendungsempfänger nicht nur die mit dem Gegenstand verbundenen Rechte und Pflichten übernehmen, sondern auch die darüber hinausgehende Verantwortung für den Nachlass und dessen Abwicklung tragen soll.


2. Zuwendungen nach Vermögensgruppen

Diese Fallgruppe ist dann anzunehmen, wenn der Erblasser Vermögensteile aufgeführt und verschiedenen Person zugewendet hat, ohne Erbquoten festzulegen. Dabei kann es sich entweder um Vermächtnisse oder Erbeinsetzungen mit Teilungsanordnungen bzw. Vorausvermächtnissen handeln. Hier ist zunächst zu prüfen, ob die Einzelzuwendungen rechtlich auf gleicher Stufe stehen. Nur gleichstufige Erbeinsetzungen können als solche nach Vermögensgruppen aufgefasst werden.

Bestimmt z.B. der Erblasser, dass sein Freund sein Hausgrundstück und seine Haushälterin das Sparguthaben erhalten soll und hat er damit annähernd sein gesamtes Vermögen verteilt, kann davon ausgegangen werden, dass der Freund Alleinerbe und die Haushälterin Vermächtnisnehmerin geworden ist.

Zur Abgrenzung im Rahmen der Auslegung dient wiederum der Gesichtspunkt, ob der eine dingliche Berechtigung am Nachlass einschließlich der Haftung für Nachlassverbindlichkeiten erhalten soll, der andere lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den oder die Erben. Bei einem Geldvermächtnis dürfte letzteres der Fall sein.

Hat der Erblasser z.B. testiert: Meinen Grundbesitz in Koblenz soll mein Sohn A., meinen Grundbesitz in Köln soll mein Sohn B. und mein Wertpapierdepot bei der Postbank soll meine Tochter C. erhalten und handelte sich dabei um das wesentliche Vermögen des Erblassers, kann von einer Miterbeneinsetzung mit Teilungsanordnung ausgegangen werden. Die Miterbenanteile ermitteln sich nach den jeweiligen Wert des Zugewandten. Ist z.B. im vorliegenden Fall der Grundbesitz in Koblenz 500.000 EUR und diejenige in Köln eine 1.000.000 EUR und das Wertpapierdepot 500.000 EUR zum Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung wert gewesen, wären A. und C. Miterben zu je 1/4 und B. Miterbe zu 1/2.

Hinweis:

Tritt allerdings nach der Errichtung des Testamentes, z.B. beim Wertpapierdepot, eine wesentliche Veränderung des Wertes ein und stand für den Erblasser bei der Errichtung der Verfügung die Absicht im Vordergrund, dem Bedachten gerade diesen ohne Wertausgleich zukommen zu lassen, ist abweichend hiervon der Wert zurzeit des Erbfalls maßgebend (BayObLG FGPrax 2005, 162).

Könnte in dem vorgenannten Beispiel von einem derartigen Willen des Erblassers ausgegangen werden und wäre der Wert des Wertpapierdepots auf 1.000.000 EUR zum Zeitpunkt des Erbfalls angewachsen, dann verschöben sich die Miterbenanteile derart, dass B. und C. Miterben zu je 2/5 und A zu 1/5 geworden wäre.

Quelle: Uwe Gottwald, Vorsitzender Richter am Landgericht Koblenz - Beitrag vom 10.06.08