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Verbindlichkeit rechtskräftiger Entscheidungen bei Verstoß gegen EU-Recht

Auch nach Ansicht des EUGH sollen rechtskräftig gewordene gerichtliche Entscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können.

Ein nationales Gericht ist demnach grundsätzlich nicht zur Überprüfung und Aufhebung einer rechtskräftig gewordenen gerichtlichen Entscheidung verpflichtet, auch wenn sich zeigt, dass sie gegen Gemeinschaftsecht verstößt.

Sachverhalt:

Frau Kapferer, wohnhaft in Hall in Tirol (Österreich), erhielt als Verbraucherin von Schlank & Schick, einer in Österreich und anderen Ländern Versandhandel betreibenden Gesellschaft mit Sitz in Deutschland, des Öfteren Werbematerial mit Gewinnzusagen zugesandt. Einer an sie persönlich gerichteten Zuschrift zufolge sollte ein Gewinn in Höhe von 3 906,16 EUR für sie bereitstehen. Die Vergabe dieses Preises war von einer unverbindlichen Testbestellung abhängig. Frau Kapferer sandte Schlank & Schick einen Bestellschein zurück, es konnte jedoch nicht festgestellt werden, ob sie bei dieser Gelegenheit auch tatsächlich eine Warenbestellung vornahm.

Da Frau Kapferer den Preis, den sie ihrer Ansicht nach gewonnen hatte, nicht erhielt, machte sie nach dem österreichischen Gesetz über den Verbraucherschutz1 die Auszahlung des Gewinns geltend, indem sie beim Bezirksgericht Hall in Tirol beantragte, Schlank & Schick auf Zahlung von 3 906,16 Euro zuzüglich Zinsen zu verurteilen.

Unter Berufung auf die Gemeinschaftsverordnung über die gerichtliche Zuständigkeit2 machte Schlank & Schick geltend, dass den österreichischen Gerichten die internationale Zuständigkeit fehle. Das Bezirksgericht verwarf dieses Argument.

In der Sache wies das Bezirksgericht das Begehren von Frau Kapferer in vollem Umfang ab. Diese legte daher beim Landesgericht Innsbruck Berufung ein. Schlank & Schick griff hingegen die Entscheidung des Bezirksgerichts hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit nicht an, so dass diese rechtskräftig wurde. Da das Landesgericht Innsbruck Zweifel hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit des Bezirksgerichts hatte, beschloss es, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Frage vorzulegen, ob es nach dem EG-Vertrag verpflichtet ist, ein hinsichtlich der Entscheidung über die internationale Zuständigkeit rechtskräftiges Urteil zu überprüfen und aufzuheben, falls sich zeigen sollte, dass es gemeinschaftsrechtswidrig sei.


Entscheidung:

Der Gerichtshof weist auf die Bedeutung des Grundsatzes der Rechtskraft hin. Zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege sollen nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordene Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können.

Daher gebietet es das Gemeinschaftsrecht nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften zu dem Zweck abzusehen, eine in Rechtskraft erwachsene gerichtliche Entscheidung zu überprüfen und aufzuheben, falls sich zeigt, dass sie gegen Gemeinschaftsrecht verstößt.

Dieser Feststellung steht, wie der Gerichtshof ausführt, auch das Urteil in der Rechtssache C-453/00 (Kühne & Heinz, Slg. 2004, I-837) nicht entgegen. Außerdem war im Ausgangsverfahren nicht geltend gemacht worden, dass die den verfahrensrechtlichen Befugnissen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gesetzten Schranken nicht beachtet worden seien.

Quelle: EUGH - Pressemitteilung vom 13.03.06