Verkehrsrecht -

Autotechnik - Verständlich erklärt

Dieses Mal aus der Kategorie passive Sicherheit: Karosserie/Fahrgastzelle.

Unter passiver Sicherheit versteht man alle konstruktiven Maßnahmen, die dazu dienen, die Fahrzeuginsassen vor Verletzungen zu schützen, bzw. Verletzungsgefahren zu mindern. 

Die passive Sicherheit beinhaltet nicht nur den Schutz der Insassen, sondern auch den Schutz anderer Verkehrsteilnehmer (Fußgängerschutz / Partnerschutz).

Im Rahmen der passiven Sicherheit von Personenkraftwagen spielt die Konstruktion und die Materialauswahl der Karosserie und damit der Fahrgastzelle eine bedeutende Rolle.

Eine Vielzahl von Charaktereigenschaften werden von der Karosserie erwartet, die oftmals in sich einen Widerspruch darstellen. Die Fahrzeugkarosserie soll bei einer hohen Steifigkeit und einer stabilen Fahrgastzelle einen enormen Energieabbau durch Deformation für Front-, Heck-, und Seitenaufprall sicherstellen und dennoch die Insassen vor Verletzungen schützen. Diese Anforderungen sollen bei möglichst geringem Gewicht, begründet in der zu erzielenden Kraftstoffeinsparung erfüllt sein.

Es wird deutlich, dass an die Konstrukteure und Fahrzeughersteller eine scheinbar unlösbare Aufgabe gestellt wird. Durch internationale Gesetzgebung sind die Parameter noch weiter verschärft worden.

Ein erster Ansatz zur Erfüllung der Forderungen ist die Aufteilung der Karosserie in die Knautschzonen, vorne, hinten und seitlich am Fahrzeug und die Fahrgastzelle. Die Fahrgastzelle ist der Raum in dem sich die Fahrzeugpassagiere befinden. Sie ist als „Sicherheitskäfig“, ähnlich wie die im Motorsport verwendeten Überrollkäfige ausgeführt und wesentlich schwerer zu verformen als die definierten Knautschzonen. Bis zu einer bestimmten Intensität kann die Fahrgastzelle den notwendigen Überlebensraum für die Insassen sicherstellen.

Dieses Zonensystem bietet die Möglichkeit die jeweiligen Materialeigenschaften zu nutzen, um die bestmögliche Energieabsorbierung zu erreichen. Ziel ist es, bei allen denkbaren Kollisionsarten die Fahrgastzelle zu erhalten.

Die Technik:

Schon seit Jahrzehnten herrscht ein verbitterter Kampf um das ideale Material zur Erfüllung aller Anforderungen an die Karosserie. Lange Zeit wurde neben der klassischen Stahlkarosserie die Aluminium-Karosse in manchen Herstellerwerken für bestimmte Fahrzeugtypen favorisiert. Audi (A8, A2), Honda (NSX) und Jaguar (XJ) haben Fahrzeuge mit reinen Aluminium-Karosserien in Serie realisiert.

BMW hat in jüngster Zeit ein Fahrzeug mit „Mischbauweise“, den neuen 5er, auf den Markt gebracht. Hier bestehen der Vorderwagen aus Aluminium und der Rest des Fahrzeuges aus verschiedenen Stahlsorten.

Trotz vermehrter Anwendung von Aluminium, Magnesium und Kunststoffen im Automobilbau hat der Stahl seinen Lebenszyklus noch längst nicht erreicht. Durch den Einsatz von hoch- und höherfesten Stählen können heutige Karosserien extrem stabil bei geringem Gewicht und vertretbaren Kosten gebaut werden.

Die Festigkeit solcher hochfesten Stähle kann den vielfachen Wert von herkömmlichem Stahl erreichen, hat aber seine Grenzen in den Verformungsmöglichkeiten bei der Herstellung.

Der Herstellungsprozess bedingt noch verformbare Strukturen. Ab einer gewissen Härte des Materials sind nur noch bedingt Verformungen möglich, um Rissbildungen zu vermeiden.

Um diese Probleme zu umgehen hat man nach anderen Stahlsorten geforscht und ist zu den BH-Stählen gekommen. (BH= Bake Hardening, „hart backend“) diese Stähle haben nach der Herstellung eine sehr gute Verformbarkeit und erhalten ihre hohe Festigkeit erst nach einer Wärmebehandlung (dem Backen). Dies geschieht bei den heutigen Fahrzeugen nach der Lackierung im Einbrennofen bei ca. 250 ºC. Opel setzt diese Art des Stahls im Dachbereich / A-Säule beim neuen Vectra ein.

Es gibt eine Vielzahl von Stahlsorten, die in den heutigen Fahrzeuggenerationen zum Einsatz kommen:

  • Höherfeste Stähle (IF-Stähle) für komplexe Ziehteile mit Streck- und Tiefziehbeanspruchung (z.B. Tür-Innenbleche, Seitenteile)

  • Höherfeste Streckziehstähle für Bauteile wie Türen, Hauben, Dächer

  • Bake-Hardening-Stähle für schwierige Tiefziehteile mit erhöhtem Festigkeitsanspruch. (z.B. Türen, Hauben, Dächer, Säulen)

  • Mikrolegierte, höherfeste Stähle für struktur- und crashrelevante Teile

Neben den verschiedensten Stahlsorten und einzelnen Komponenten aus anderen Materialien oder Verbundstoffen, werden in den heutigen Serienfahrzeugen so genannte „Tailored Blanks“ (maßgeschneiderte Platinen) in Einsatz gebracht.

Blanks nennt man Bleche, die direkt von der Stahlrolle kommen und nach Schnittmuster zugeschnitten werden. Diese Bleche sind sozusagen von der Stange und haben im gesamten Bauteil die gleichen Materialeigenschaften.

Tailored Blanks dagegen sind maßgeschneidert. Das einzelne Bauteil (Platine) hat verschiedene Materialstärken und verschiedene Materialeigenschaften, je nach Beanspruchung im Fahrbetrieb oder beim Crash. Die Bauteile können aus verschiedenen Materialien durch die unterschiedlichsten Fügetechniken hergestellt werden. Man erhält Bauteile mit sehr komplexen, aber genau definierten Eigenschaften, reduziert gleichzeitig das Gewicht und vermindert die Zahl der Einzelbauteile am Fahrzeug.

Tailored Blanks sind Stand der Technik und werden von fast jedem Fahrzeughersteller eingesetzt.

Problematisch sind diese Bauteile erst bei der Wiederherstellung von verunfallten Fahrzeugen, ähnlich wie bei der Sandwichbauweise sind Reparaturen im Bauteil selbst und somit bestimmte Abschnittsreparaturen nicht mehr durchführbar. Kein Reparateur kann ein Bauteil durchtrennen und durch Schweißen oder Löten einen Abschnitt anbringen, ohne die gewünschten Materialeigenschaften an dieser Stelle des Bauteils zu verändern. Für die Instandsetzungsbetriebe heißt es hier, nur komplette Bauteile sind austauschbar, Bauteile können nicht repariert werden.

Die Weiterentwicklung der Tailored Blanks sind die „Tailored Tubes".

Tailored Tubes sind Rohre, die ebenfalls unterschiedlich dick sein können. Diese Rohre bieten noch einmal mehr Steifigkeit und Gewichtseinsparungspotenzial. Normalerweise werden geschlossene Profile aus einzelnen gefertigten Halbschalen hergestellt, die dann verschweißt werden. Die tailored tubes sind laserverschweißte, dünnwandige Rohre, die vorgeformt werden und dann in einem speziellen Prozess ihre endgültige Form erhalten.

Das derzeit angewandte Verfahren heißt „Hydroforming“. Dabei wird das Rohr in ein Werkzeug mit der Negativform gelegt und dann mittels einer Hydraulikflüssigkeit von innen mit Druck beaufschlagt, so dass sich das Rohr an die Form anpasst. Thyssen-Krupp hat diese Bauteile entwickelt und sie werden u.a. schon im 3er Cabrio von BMW eingesetzt.

Fazit:

Auf der Suche nach dem idealen Material oder Materialmix für eine den heutigen Anforderungen entsprechende Karosserie wird Stahl auch in den nächsten Jahren eine tragende Rolle spielen. Der ideale Stahl lässt sich leicht in Form bringen und innerhalb eines Bauteils an die jeweiligen Beanspruchungen anpassen. Thyssen-Krupp hat diesen Traumstahl schon im Labor: L-IP-Stahl (Leichtbaustahl mit induzierter Plastizität). Dennoch werden die Fahrzeuge aus unterschiedlichen Stahlsorten mit den verschiedensten Herstellungsverfahren gebaut werden.

Diese aus heutiger Sicht notwendige Bauart macht die Instandsetzung teuer und sehr komplex. Bauteile können nicht mehr oder nur bedingt instand gesetzt werden, an die Fügetechniken (Schweißen / Löten / Kleben) und an die Reparaturbetriebe werden enorme Anforderungen gestellt. Bedingt durch diese Entwicklung sind wesentlich mehr Fahrzeuge nach einem Unfall als „wirtschaftlicher Totalschaden“ einzustufen und somit gibt es weniger Arbeit in den Werkstätten.

Quelle: Moser - Techniklexikon (Beitrag Nr. 6) vom 06.03.07