Massegläubiger

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Geltendmachung von Masseansprüchen

Verpflichtung des Verwalters

Die Geltendmachung und Berichtigung von Masseansprüchen erfolgt außerhalb des Insolvenzverfahrens (vgl. BGH, WM 1958, 903) und unabhängig von einer Erlösverteilung an die Insolvenzgläubiger. Grundsätzlich ist der Verwalter verpflichtet, von sich aus fällige Masseverbindlichkeiten zu begleichen. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, ist er durch den Gläubiger zur Erfüllung seiner Masseforderung aufzufordern.

Feststellung als Insolvenzforderung

Ein Massegläubiger wird nicht dadurch an der Geltendmachung seines Anspruchs gegen die Masse gehindert, dass er zunächst seinen Anspruch als Insolvenzforderung angemeldet und einen erhobenen Widerspruch mittels einer entsprechenden Feststellungsklage beseitigt hat (BGH v. 13.06.2006 - IX ZR 15/04).

Klage und Zwangsvollstreckung gegen die Masse

Erkennt der Verwalter einen Masseanspruch nicht an, so kann der Gläubiger auch während des Verfahrens gegen die Masse, vertreten durch den Verwalter klagen (vgl. BGH, KTS 1963, 176) und ein obsiegendes Urteil in Massegegenstände vollstrecken (vgl. RGZ 61, 261; siehe auch Teil 6/6.5.1).

Einschränkung der Zwangsvollstreckung

Diese Vollstreckungsmöglichkeit wird jedoch wie folgt eingeschränkt (siehe auch Teil 6):

gem. § 210 InsO, wonach eine Zwangsvollstreckung wegen sogenannter Altmasseschulden unzulässig ist, sobald der Verwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat (siehe auch Teil 4/5.7.3); diese Beschränkung gilt nicht für die sogenannten Neumasseschulden, kann aber in entsprechender Anwendung des § 210 InsO dann zum Tragen kommen, wenn Massearmut i.S.d. § 207 InsO eintritt (siehe auch Teil 4/5.8);

gem. § 90 Abs. 1 InsO, wonach eine Zwangsvollstreckung wegen Masseverbindlichkeiten, die nicht durch eine Rechtshandlung des Verwalters begründet worden sind, die also sogenannte oktroyierte Forderungen darstellen, für die Dauer von sechs Monaten seit der Eröffnung des Verfahrens unzulässig ist; diese Beschränkung gilt nicht für die in § 90 Abs. 2 InsO genannten Ansprüche;

gem. § 123 Abs. 3 Satz 2 InsO, wonach eine Zwangsvollstreckung in Massegegenstände wegen Sozialplanforderungen unzulässig ist.

Freigabe führt nicht zum Erlöschen des Anspruchs gegen die Masse

Wurde die Masse durch ein entsprechendes Räumungsurteil gegen den Insolvenzverwalter verpflichtet, ein Grundstück zu räumen, so kann der Verwalter durch die Freigabe des Grundstücks nicht mehr bewirken, dass diese Masseverbindlichkeit erlischt. Vielmehr schuldet die Masse ungeachtet einer entsprechenden Freigabeerklärung die Erfüllung des mietvertraglichen Räumungsanspruchs gem. § 546 BGB (BGH v. 02.02.2006 - IX ZR 46/05).

Verspätet bekanntgewordene Masseansprüche

Gemäß § 206 InsO ist die Berücksichtigung von verspätet bekanntgewordenen Masseansprüchen u.U. ausgeschlossen.

Im Einzelnen gilt:

Bei einer Abschlagsverteilung (siehe auch Teil 8/3.2) finden Masseansprüche innerhalb des Massebestands, der zur Auszahlung des festgesetzten Bruchteils (§ 195 InsO) erforderlich ist, dann keine Berücksichtigung, wenn die Ansprüche erst nach der Festsetzung dem Verwalter bekannt geworden sind;

bei der Schlussverteilung (siehe auch Teil 8/3.3) ist die Befriedigung aus dem Massebestand, der den Gegenstand dieser Verteilung bildet, für solche Masseansprüche ausgeschlossen, die dem Verwalter nicht bis zur Beendigung des Schlusstermins bekannt wurden;

bei der Nachtragsverteilung (siehe auch Teil 8/3.4) erfolgt dann keine Berücksichtigung aus dem Massebestand, der Gegenstand der Verteilung ist, wenn die Masseansprüche erst nach der öffentlichen Bekanntmachung (§§ 9, 188 InsO) dem Verwalter bekannt werden.

Hinterlegung

Allein die Tatsache, dass die Anschrift oder die Bankverbindung des Massegläubigers dem Insolvenzverwalter nicht bekannt ist, führt nicht zur Anwendbarkeit des § 206 InsO. Vielmehr ist in diesem Fall der auf den Massegläubiger entfallende Betrag zu dessen Gunsten zu hinterlegen.

Rückstellung

Ist darüber hinaus auch die genaue Höhe des Masseanspruchs dem Insolvenzverwalter unbekannt, weil z.B. der anspruchsberechtigte Arbeitnehmer die zur Berechnung notwendigen Angaben nicht mitteilt, so scheidet eine Hinterlegung zugunsten des Massegläubigers aus. In diesem Fall hat der Insolvenzverwalter eine Rückstellung in Höhe des maximal in Betracht kommenden Betrags zu bilden. Aufzulösen und ggf. einer Nachtragsverteilung zuzuführen ist diese Rückstellung aber wohl spätestens dann, wenn alle notwendigen Schritte unternommen wurden, um den Massegläubiger ausfindig zu machen.

Haftung des Schuldners

In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass Schuldner der durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters nach Verfahrenseröffnung begründeten Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 InsO) der Insolvenzschuldner ist, sich die Haftung während des Verfahrens jedoch auf die Gegenstände der Insolvenzmasse beschränkt (zweifelnd hinsichtlich der im eröffneten Verfahren anfallenden Einkommensteuerschuld: BFH v. 28.11.2017 - VII R 1/16). Für die nach Beendigung des Insolvenzverfahrens noch offenen Masseverbindlichkeiten haftet der Schuldner demnach nur mit dem Vermögen, das ihm aus dem Insolvenzverfahren überlassen wurde (BGH v. 25.11.1954 - IV ZR 81/54; LAG München v. 08.03.1990 - 4 Sa 564/89). Es handelt sich um eine dem Verfahren immanente Haftungsbeschränkung. Für diese ist maßgeblich, dass der Verwalter nicht befugt ist, den Schuldner persönlich mit seinem insolvenzfreien Vermögen zu verpflichten, weil seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 80 Abs. 1 InsO auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen beschränkt ist (BGH v. 24.09.2009 - IX ZR 234/07). Etwas anderes gilt für die sogenannten oktroyierten Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 90 InsO, die wie etwa Forderungen aus Mietverträgen über unbewegliche Sachen bereits vor Insolvenzeröffnung begründet waren (§ 108 InsO). Für solche Verbindlichkeiten haftet der Schuldner auch nach Beendigung des Insolvenzverfahrens mit seinem gesamten Vermögen und seinen Einkünften (BGH v. 28.06.2007 - IX ZR 73/06). Gleiches gilt nach Ansicht des BGH für Masseverbindlichkeiten, deren Entstehung auf eine freie Entscheidung des Schuldners zurückzuführen ist. Daher treffe den Schuldner für Steuerforderungen aus der Zeit einer schwachen vorläufigen Insolvenzverwaltung, die von § 55 Abs. 4 InsO kraft Gesetzes zu Masseverbindlichkeiten erklärt werden, eine uneingeschränkte Nachhaftung, weil das Verwaltungs- und Verfügungsrecht für die die Steuerforderungen begründenden Rechtshandlungen beim Schuldner liege (BGH v. 28.01.2021 - IX ZR 54/20). Der Gläubiger einer solchen Forderung kann sich bereits während des eröffneten Verfahrens durch Klage gegen den Schuldner einen Titel verschaffen, aus dem er spätestens nach Beendigung des Insolvenzverfahrens und schon während einer eventuell laufenden Wohlverhaltensperiode die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben kann. Das Vollstreckungsverbot des § 294 InsO gilt nicht für Massegläubiger (BGH v. 28.06.2007 - IX ZR 73/06). Handelt es sich bei der Schuldnerin um eine OHG, für deren Verbindlichkeiten die Gesellschafter gem. § 128 HGB persönlich haften, so können diese Gesellschafter über die Regelung des § 93 InsO nicht weitergehend verpflichtet werden als die schuldnerische Gesellschaft (BGH v. 24.09.2009 - IX ZR 234/07).

Haftung des Verwalters

Kann eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Verwalters begründet worden ist (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 erste Alternative InsO), aus der Masse nicht voll erfüllt werden, so ist der Verwalter dem Massegläubiger zum Ersatz des negativen Interesses verpflichtet (§ 61 Satz 1 InsO; BGH v. 13.02.2014 - IX ZR 313/12), soweit der Verwalter bei der Begründung der Verbindlichkeit erkennen konnte, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen wird (siehe auch Teil 5/4.4 und Teil 8/5.3). Es muss sich um eine pflichtwidrige Begründung von Masseverbindlichkeiten handeln (BGH v. 06.05.2004 - IX ZR 48/03). Dabei rechtfertigt es auch die Erhaltung von Arbeitsplätzen nicht, einen Geschäftsbetrieb fortzuführen, wenn keine Chance besteht, die neu eingegangenen Verbindlichkeiten voll zu befriedigen (vgl. BGH, KTS 1973, 251). Macht der Insolvenzverwalter geltend, dass er gem. § 61 Satz 2 InsO bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde, trägt er hierfür die Beweislast (vgl. OLG Schleswig, ZInsO 2002, 256; OLG Celle, ZInsO 2003, 1147). Die Nichterfüllbarkeit ist dem Insolvenzverwalter erkennbar, wenn ihm dies wahrscheinlicher hätte erscheinen müssen als die Erfüllbarkeit (LG Köln, NZI 2002, 607). Aus dem Erfordernis des Entlastungsbeweises in § 61 Satz 2 InsO ergibt sich für den Insolvenzverwalter die Verpflichtung, ständig zu kontrollieren, ob die Masse zur Erfüllung der Masseverbindlichkeiten ausreicht. Dafür ist regelmäßig erforderlich, dass er einen der Liquiditätssteuerung dienenden Finanzplan erstellt, in dem der Mittelbedarf und die zu seiner Deckung erwarteten Mittel gegenübergestellt werden (LG Köln, NZI 2003, 652).

Haftungsbegrenzung

Bestanden für den Massegläubiger Anhaltspunkte dafür, dass die Erfüllung der begründeten Ansprüche gefährdet sein könnten, kann sich der zu ersetzende Schaden unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens reduzieren (vgl. LG Bielefeld, NZI 2004, 321).

Geltendmachung des Einzelschadens

Bei dem Schadensersatzanspruch aus § 61 InsO wegen Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten handelt es sich um einen Individualanspruch, der während des Insolvenzverfahrens von den geschädigten Massegläubigern gegen den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann. § 92 InsO findet keine Anwendung (BGH v. 09.08.2006 - IX ZB 200/05). Dasselbe gilt für Ansprüche der Massegläubiger gegen den Insolvenzverwalter gem. § 60 InsO wegen einer pflichtwidrigen Verkürzung der Masse (siehe auch Teil 5/4.3).