Massegläubiger

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Massegläubiger bei unzulänglicher Insolvenzmasse

Von einer Masseunzulänglichkeit ist gem. § 208 InsO dann auszugehen, wenn die Insolvenzmasse zwar die Kosten des Verfahrens (§ 54 InsO) abdeckt, aber nicht ausreicht bzw. voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die übrigen Masseverbindlichkeiten zu befriedigen (siehe auch Teil 8/5.3).

Befriedigungsrangfolge bei Masseunzulänglichkeit

Gemäß § 209 InsO werden bei Masseunzulänglichkeit die Masseverbindlichkeiten, auch soweit diese Verpflichtungen nicht auf einen Geldbetrag gerichtet sind, nach folgender Rangordnung, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge berichtigt:

die Kosten des Verfahrens, zu denen gem. § 54 InsO die Gerichtskosten sowie die Vergütung des Verwalters, des vorläufigen Verwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses zählen (BGH v. 14.07.2016 - IX ZB 46/15); dies gilt auch im Fall einer Kostenstundung nach § 4a InsO (vgl. BGH v. 19.11.2009 - IX ZB 261/08); veräußert der Insolvenzverwalter nach eingetretener Masseunzulänglichkeit Massegegenstände, gehört die dabei anfallende Umsatzsteuer nicht zu den vorrangig zu berichtigenden Kosten des Insolvenzverfahrens (BGH v. 14.10.2010 - IX ZB 224/08);

die Masseverbindlichkeiten, die nach Eintritt der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören (Neumasseschulden), zu denen auch die in § 209 Abs. 2 InsO genannten Ansprüche zählen;

die übrigen Masseverbindlichkeiten (Altmasseschulden), unter diesen zuletzt der nach den §§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 InsO bewilligte Unterhalt.

Verwaltervergütung vor Masseverbindlichkeiten

Damit geht vor allem die Verwaltervergütung den Ansprüchen aus Verwalterhandlungen und gewählter Vertragserfüllung im Rang vor. Dies versetzt den Verwalter in die Lage, ohne einen Ausfall seiner Vergütung befürchten zu müssen, Masseverbindlichkeiten einzugehen. Damit ist aber gleichzeitig die Gefahr verbunden, dass der Verwalter Masseverbindlichkeiten auch bei drohender Masseunzulänglichkeit vorschnell eingeht. Zur Haftung des Verwalters für den Fall, dass er Masseverbindlichkeiten eingeht, obwohl die Masseunzulänglichkeit absehbar war, siehe auch Teil 5. Ist die Masse unzulänglich, steht das Beschwerderecht gegen die gerichtliche Festsetzung der Verwaltervergütung auch Massegläubigern zu, wenn durch die Festsetzung der nach § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorrangigen Verwaltervergütung ihre Befriedigung beeinträchtigt wird (BGH v. 20.12.2012 - IX ZB 19/10).

Neumasseschulden

Masseverbindlichkeiten, die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet werden, gehen den übrigen Masseverbindlichkeiten, also auch den Altmasseschulden vor (vgl. BGH v. 13.04.2006 - IX ZR 22/05).

Als Neumasseschulden gelten gem. § 209 Abs. 2 InsO insbesondere solche Ansprüche,

die sich aus einem gegenseitigen Vertrag ergeben, dessen Erfüllung der Verwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit gewählt hat; lehnt der Verwalter dagegen die Erfüllung ab, so sind die sich ergebenden Schadensersatzansprüche des Vertragspartners Altmasseschulden;

die sich aus einem Dauerschuldverhältnis (z.B. Arbeitsvertrag) ergeben, und zwar für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte, dies aber unterließ und damit zum Ausdruck brachte, dass er an dem Schuldverhältnis festhalten möchte (LAG Rheinland-Pfalz v. 07.07.2016 - 6 Sa 23/16);

die sich aus einem Dauerschuldverhältnis ergeben, soweit der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Masse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat; ist dies, wie z.B. bei der Freistellung von Arbeitnehmern während des Laufs der Kündigungsfrist, nicht der Fall, so sind deren Lohn- und Gehaltsansprüche Altmasseschulden.

Jahressonderzahlung als Neuverbindlichkeit

Wenn eine Jahressonderzahlung erst am Stichtag 01.12. entsteht, handelt es sich bei der Sonderzahlung eines Jahres insgesamt und nicht nur anteilig um eine Neumasseverbindlichkeit, wenn die Masseunzulänglichkeit vor dem Stichtag angezeigt wurde (LAG Düsseldorf v. 10.02.2016 - 12 Sa 1051/15).

Ansprüche des Vermieters

Ansprüche des Vermieters unbeweglicher Gegenstände stellen in der Zeit nach Insolvenzeröffnung Masseverbindlichkeiten dar. Mietschulden vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit sind Altmasseschulden. Mietschulden danach sind Neumasseschulden mit Tilgungsvorrang, wenn ihre Entstehung dem Insolvenzverwalter zugerechnet werden kann, weil er von dem ihm zustehenden Kündigungsrecht nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt Gebrauch gemacht hat oder die Mietsache nutzt, obwohl er dies pflichtgemäß hätte verhindern können. Verbindlichkeiten, deren Entstehen der Verwalter nicht ausweichen kann, sind Altmasseverbindlichkeiten. Weist der Insolvenzverwalter nach, dass die Masse auch zur Begleichung der Neumasseverbindlichkeiten nicht ausreicht, werden sie wie Altmasseschulden behandelt (OLG Zweibrücken v. 10.04.2019 - 1 U 101/17).

Neumasseschulden bei unwirksamer Kündigung des Arbeitsverhältnisses

§ 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO fingiert für Annahmeverzugsansprüche, die für die Zeit nach dem ersten Termin entstehen, zu dem der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit "kündigen konnte", den Rang einer Neumasseverbindlichkeit. Aus dieser gesetzlichen Formulierung folgt, dass der Insolvenzverwalter zur Vermeidung von Neumasseverbindlichkeiten Dauerschuldverhältnisse, die er für die weitere Verwertung und Verwaltung der Masse nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht mehr benötigt, frühestmöglich beenden muss. Zur Vermeidung von Neumasseverbindlichkeiten genügt es darum nicht, dass eine Kündigung zum erstmöglichen Termin nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit erklärt wird. Die Kündigung muss auch wirksam sein. Das Arbeitsverhältnis muss spätestens zu dem von § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO festgelegten Termin tatsächlich beendet sein. Hat der Insolvenzverwalter nicht rechtzeitig (wirksam) gekündigt, gelten die Annahmeverzugsansprüche aus der Zeit nach dem ersten möglichen Kündigungstermin auch dann als Neumasseverbindlichkeiten i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO, wenn der Verwalter den Arbeitnehmer freigestellt hat (BAG v. 22.02.2018 - 6 AZR 868/16).

Sozialplanansprüche

Keine Berücksichtigung finden bei Masseunzulänglichkeit die Ansprüche aus einem Sozialplan (vgl. § 123 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 InsO; vgl. Teil 6/7.8.4).

Anzeige der Masseunzulänglichkeit

Feststellung durch das Insolvenzgericht ist nicht erforderlich

Voraussetzung für die Anwendung des § 209 InsO und auch für den Eintritt der sonstigen Wirkungen der Masseunzulänglichkeit ist grundsätzlich deren Anzeige durch den Insolvenzverwalter gem. § 208 InsO (vgl. BAG, ZIP 2002, 628; siehe auch Teil 8/5.3.2). Eine ausdrückliche Feststellung der Masseunzulänglichkeit durch das Insolvenzgericht ist nicht erforderlich. Auch auf die Kenntnis des einzelnen Massegläubigers kommt es demnach nicht an. Ungeachtet einer solchen Kenntnis ist mithin ein Massegläubiger, der etwa im Rahmen einer Zwangsvollstreckung in Massegegenstände nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit Zahlungen erhält, verpflichtet, diese zurückzuerstatten, soweit sie den Anteil übersteigen, den er nach § 209 InsO zu beanspruchen hat.

Verspätete Anzeige

Zeigt der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit dem Insolvenzgericht verspätet an oder unterlässt er die Anzeige gänzlich, so ist davon unabhängig die Rangfolge des § 209 InsO zu beachten (BGH v. 19.11.2009 - IX ZB 139/07). Werden Massegläubiger trotz Masseunzulänglichkeit voll befriedigt, so haben diejenigen Massegläubiger, die in der Folge nur noch eine gekürzte Quote auf ihre Forderungen erhalten oder ganz ausfallen, einen Schadensersatzanspruch gem. § 61 InsO gegen den Verwalter (siehe Teil 8/5.3). Eine Rückzahlungspflicht seitens der bevorteilten Massegläubiger besteht insoweit nicht. Die in § 209 Abs. 1 InsO für den Fall der Masseunzulänglichkeit zwingend vorgegebene Berichtigungsreihenfolge kann der Verwalter nicht dadurch außer Kraft setzen, dass er die gebotene Anzeige verspätet vornimmt oder einfach unterlässt. Vielmehr ist der Verwalter schon nach dem Wortlaut des § 209 InsO bei eingetretener (§ 208 Abs. 1 Satz 1 InsO) oder voraussichtlicher (§ 208 Abs. 1 Satz 2 InsO) Masseunzulänglichkeit verpflichtet, die dort verbindlich vorgegebene Tilgungsreihenfolge einzuhalten. Der Vorrang ist unabhängig davon, wann der Insolvenzverwalter die bestehende Masseunzulänglichkeit dem Insolvenzgericht anzeigt. Deshalb findet auch bei einer verspäteten Anzeige eine Aufteilung der Kosten für die Zeit vor und nach der Anzeige nicht statt (BGH v. 19.11.2009 - IX ZB 261/08).

Bekanntmachung der Anzeige

Die vom Verwalter angezeigte Masseunzulänglichkeit ist durch das Gericht öffentlich bekanntzumachen. Den (bekannten) Massegläubigern ist die Anzeige besonders zuzustellen (§ 208 Abs. 2 InsO).

Weitere Wirkungen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit

Kein Leistungsurteil für Altmassegläubiger

Zunächst hindert die Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht die weitere Verwaltung und Verwertung der Masse durch den Verwalter (vgl. § 208 Abs. 2 InsO; siehe auch Teil 8/5.3.3). Trotz Anzeige der Masseunzulänglichkeit kann ein Altmassegläubiger jedenfalls in Höhe der auf ihn entfallenden Quote auf Leistung klagen, sobald der Insolvenzverwalter Schlussrechnung gelegt hat (§§ 66, 211 Abs. 2 InsO) und die vorrangigen Masseverbindlichkeiten gem. § 209 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO berichtigt sind (BGH v. 14.12.2017 - IX ZR 118/17). Ansonsten kann ein Altmassegläubiger kein Leistungsurteil mehr erlangen, sobald der Verwalter vorträgt, er habe die Masseunzulänglichkeit angezeigt. Aufgrund des nach § 210 InsO für Altmasseverbindlichkeiten bestehenden Vollstreckungsverbots fehlt für ein Leistungsurteil das Rechtsschutzbedürfnis (BAG, ZIP 2002, 628; OLG Celle, OLGReport Celle 2001, 61). Es besteht nur noch ein rechtliches Interesse auf Feststellung, ob die geltend gemachten Ansprüche Masseverbindlichkeiten darstellen oder nicht (OLG Köln, ZIP 2001, 1422). Für ein Kostenfestsetzungsverfahren bedeutet dies, dass anstelle eines Kostenfestsetzungsbeschlusses nur noch ein die Kostenschuld feststellender Beschluss ergehen darf (LAG Baden-Württemberg, ZIP 2001, 657). Ein Kostenfestsetzungsbeschluss ist von einem Zahlungstitel in einen Feststellungstitel abzuändern, wenn infolge der Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch ein Rechtsschutzinteresse an einem Zahlungstitel nicht mehr gegeben ist. Dass die Anzeige der Masseunzulänglichkeit erst nach Erlass des angefochtenen Beschlusses erfolgte und infolgedessen erst im Beschwerdeverfahren vorgebracht worden ist, steht ihrer Berücksichtigung im Beschwerdeverfahren nicht entgegen, da die Beschränkungen des § 529 Abs. 1 ZPO im Beschwerdeverfahren nicht gelten (OLG Frankfurt v. 19.11.2018 - 18 W 196/18).

Nicht erfüllbare Neumasseverbindlichkeiten

Reicht die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu erwirtschaftende Insolvenzmasse nicht aus, um alle Neumassegläubiger voll zu befriedigen, ist auf den Einwand des Insolvenzverwalters hin auch für diese Gläubiger nur noch eine Feststellungsklage zulässig; die Voraussetzungen sind vom Verwalter im Einzelnen darzulegen und erforderlichenfalls nachzuweisen (BGH, ZIP 2003, 914).

Verjährung von Masseverbindlichkeiten

Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Insolvenzverwalter hat nicht die Hemmung der Verjährung zur Folge. § 206 BGB ist auf die Anzeige der Masseunzulänglichkeit weder direkt noch entsprechend anwendbar. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Insolvenzverwalter ist kein Akt höherer Gewalt. Sie hindert den Gläubiger auch nicht allgemein an der Rechtsverfolgung und damit der Hemmung der Verjährung. Auch wenn eine Leistungsklage unzulässig ist (BGH v. 13.04.2006 - IX ZR 22/05), steht dem Altmassegläubiger eine Feststellungsklage offen. Auch diese hemmt gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB die Verjährung. Die Parteien können auch ein Stillhalteabkommen vereinbaren. Es steht dem Abschluss eines Stillhalteabkommens nicht entgegen, dass der Beklagte sich wegen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit auf ein gesetzliches Leistungsverweigerungsrecht berufen kann. Die wiederholten Hinweise des Insolvenzverwalters, er werde selbstverständlich die geltend gemachte Forderung in die Masseschuldtabelle aufnehmen und als Masseverbindlichkeit berücksichtigen, führen nicht zur Hemmung der Verjährung (BGH v. 14.12.2017 - IX ZR 118/17).