Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 10.03.2021 -
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Die Parteien streiten um den Insolvenzbeschlag bzw. die Pfändbarkeit einer vom Beklagten an seine Mitarbeiterin gezahlte Corona-Prämie.
Die Klägerin ist mit Beschluss des Amtsgerichts C-Stadt vom 19.08.2015 zur Insolvenzverwalterin über das Vermögen von Frau M. bestellt worden. Diese war bei dem Beklagten ausweislich des schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 10 und 11 dA) befristet in dem Zeitraum vom 01.07. bis 31.12.2020 als Küchenhilfe beschäftigt. Im September 2020 zahlte der Beklagte an Frau M. neben dem Festlohn von 1.350,00 Euro brutto und Sonntagszuschlägen von 66,80 Euro brutto eine Corona-Unterstützung in Höhe von 400,00 Euro.
Ausgehend von einem pfändungsrelevanten Nettoverdienst im September 2020 (Festlohn zzgl. Corona-Unterstützung ohne Sonntagszuschläge) in Höhe von 1.440,47 Euro netto errechnete die Klägerin einen pfändbaren Betrag in Höhe von 182,90 Euro netto. Mit Schreiben vom 22.10.2020 forderte sie den Beklagten auf, diesen Betrag bis spätestens zum 05.11.2020 an sie abzuführen. Das lehnte der Beklagte mit E-Mail vom 29.10.2020 mit der Begründung ab, die Corona-Sonderzahlung sei unpfändbar.
Mit ihrer am 21.12.2020 beim Arbeitsgericht B. eingegangenen Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten weiter die Zahlung des nach ihrer Auffassung pfändbaren Betrages in Höhe von 182,99 Euro.
Erstinstanzlich hat die Klägerin die Auffassung vertreten, die Corona-Unterstützung sei pfändbar. Anders als im Pflegebereich, wo der Gesetzgeber nach §
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 182,99 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.11.2020 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, bei der Corona-Sonderzahlung handele es sich um eine im Rahmen des Üblichen liegenden Erschwerniszulage nach § 850 a Nr. 3 ZPO. Mit ihr habe die besondere Belastung für die Schuldnerin aufgrund der Covid-19 Pandemie und des daraus resultierenden höheren Risikos einer Übertragung der Erkrankung bei deren unmittelbaren Dienst am Kunden honoriert werden sollen. Bei dem vom Beklagten betriebenen Brauhaus in C-Stadt handele es sich um einen touristischen Hotspot in bester Lage, der auch im September 2020 eine hohe Besucherzahl verzeichnet habe.
Mit Urteil vom 10.03.2021 hat das Arbeitsgericht B. die Klage abgewiesen. Wegen der rechtlichen Erwägungen wird auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils (Seiten 3 bis 5 desselben, Bl. 50 bis 52 dA) Bezug genommen.
Das Urteil ist der Klägerin am 16.03.2021 zugestellt worden.
Mit am 23.03.2021 beim LAG Niedersachsen eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Prozesskostenhilfe für die von ihr hiergegen beabsichtigte Berufung beantragt. Diese ist ihr unter dem 06.05.2021 gewährt worden. Der entsprechende Beschluss ist der Klägerin unter dem 10.05.2021 zugestellt worden. Mit am selben Tag beim LAG Niedersachsen eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist begehrt, Berufung eingelegt und diese sogleich begründet.
Sie ist weiterhin der Auffassung, dass die vom Beklagten an die Schuldnerin Frau M. gezahlte Corona-Prämie pfändbar sei. Dafür spreche der Umkehrschluss aus §
Die Klägerin beantragt,
1. ihr Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist zu gewähren,
2. das Urteil des Arbeitsgerichts B. vom 10.03.2021 -
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Berufung der Klägerin schon für unzulässig und verteidigt im Übrigen das erstinstanzliche Urteil als zutreffend. Darüber hinaus trägt er nachstehendes vor:
Es sei ihm bei der Zahlung der Corona-Sonderzahlung an Frau M. darum gegangen, deren zusätzliches Risiko, sich bei der Arbeitsleistung mit dem Coronavirus anzustecken, zu kompensieren. Frau M. sei keineswegs ausschließlich als Küchenhilfe ohne Kundenkontakt beschäftigt worden. Da der Beklagte aufgrund des Arbeitseinkommens seinen Brauer nicht mehr habe als Thekenkraft beschäftigt habe, sei Frau M. gem. § 3 des Arbeitsvertrages auch als Thekenkraft und damit in unmittelbarem Kontakt zu Kundinnen und Kunden eingesetzt worden. Als solche habe sie Tablets und Teller zu den Gästen bringen müssen. Da der Gesetzgeber eine Corona-Unterstützung bis zu einem Betrag von 1.500,00 Euro gem. § 3 Nr. 11 a EStG steuerfrei gestellt habe, halte sich die vom Beklagten gezahlte Sonderzahlung in Höhe von 400,00 Euro im Rahmen des üblichen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird Bezug genommen auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze vom 10.05.2021, 14.06.2021 und 07.07.2021 sowie auf die in der mündlichen Verhandlung am 25.11.2021 wechselseitig abgegebenen Erklärungen.
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
A
Die gem. § 64 Abs. 2 a) ArbGG statthafte Berufung ist zulässig.
I.
Der Klägerin ist gem. § 233 ZPO wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung, § 66 Abs. 1 ArbGG, Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren.
1.
Die Klägerin war wegen Mittellosigkeit und somit ohne ihr Verschulden verhindert, die Fristen zur Einlegung der Berufung einzuhalten.
a)
Das durch Bedürftigkeit begründete Unvermögen einer Partei, einen Rechtsanwalt mit der notwendigen Vertretung zur Vornahme von fristwahrenden Prozesshandlungen zu beauftragen, begründet eine unverschuldete Versäumung von Rechtsmittelfristen, wenn die Partei alles in ihren Kräften Stehende und ihr Zumutbare getan hat, die Frist zu wahren (LAG Rheinland-Pfalz, 06.09.2018 -
b)
Die Klägerin hat am 23.03.2021 und damit innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist beim LAG Niedersachsen Prozesskostenhilfe für die Durchführung der Berufung gegen das ihr am 16.03.2021 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts B. beantragt. Diese ist ihr mit dem am 10.05.2021 zugestellten Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 06.05.2021 bewilligt worden.
2.
Mit Schriftsatz vom 10.05.2021 - beim LAG Niedersachsen eingegangen am selben Tag -, hat die Klägerin innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist gem. § 234 ZPO Berufung eingelegt und damit die versäumte Prozesshandlung gem. § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO nachgeholt sowie gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt.
II.
Die inhaltlich ausreichende Berufungsbegründung ist ausgehend von der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 16.03.2021 mit am 10.05.2021 beim LAG Niedersachsen eingegangem Schriftsatz rechtzeitig erfolgt, § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG.
B
Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von 182,99 Euro nebst Zinsen. Das von der Schuldnerin, Frau M., im September 2020 beim Beklagten erzielte Einkommen in der Gesamthöhe von 1.507,27 Euro netto ist insgesamt unpfändbar und damit dem Zugriff der Klägerin der Schuldnerin entzogen.
Das Berufungsgericht macht sich zunächst die zutreffenden erstinstanzlichen Entscheidungsgründe zu eigen, verweist auf diese und stellt dieses fest, § 69 Abs. 2 ZPO.
Die Berufungsbegründung veranlasst folgende ergänzende Anmerkungen:
I.
Auch im Insolvenzrecht hat der Gesetzgeber grundsätzlich anerkannt, dass das Existenzminimum nicht dem Zugriff der Gläubiger unterliegt. Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO gehören unpfändbare Forderungen nicht zur Insolvenzmasse. Sie sind dem Insolvenzverwalter nicht nach §§ 148 Abs. 1, 80 Abs. 1 InsO zur Verwaltung übertragen. Nur der pfändbare Teil des Arbeitsentgeltes fällt in die Insolvenzmasse und kommt daher in der Privatinsolvenz des Arbeitnehmers dessen Gläubigers zu Gute. So wird dem Schuldner der unantastbare Bereich persönlicher und lebensnotwendiger Güter bewahrt (BAG 29.01.2014 - 6 AZR 345/12 - Rn. 24).
II.
Unpfändbar sind nach der im Insolvenzverfahren, § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, entsprechend geltenden Bestimmung des § 850 a Nr. 3 ZPO Aufwandsentschädigungen, Auslösungsgelder und sonstige soziale Zulagen für auswärtige Beschäftigungen, das Entgelt für selbstgestelltes Arbeitsmaterial, Gefahrenzulagen sowie Schmutz- und Erschwerniszulagen, soweit diese Bezüge den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen.
III.
Dass danach der der Schuldnerin im September gewährte Sonntagszuschlag in Höhe 66,80 Euro dem Zugriff der Klägerin als unpfändbarer Gehaltsbestandteil nach § 850 a Nr. 3 ZPO entzogen war, ist zwischen den Parteien nicht im Streit (vgl. BAG 23.08.2017 -
IV.
Auch die der Schuldnerin im September 2020 gezahlte Corona-Prämie in Höhe von 400,00 Euro ist unpfändbar und damit dem Zugriff der Klägerin der Schuldnerin entzogen, §§ 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 Satz 2 InsO. Es handelt sich dabei um eine Erschwerniszulage iSv. § 850 a Nr. 3 ZPO.
1.
Dem Rückgriff auf § 850 a Nr. 3 ZPO steht die Bestimmung in §
2.
Im Rahmen der gebotenen Auslegung erfasst der Begriff der Erschwernis in § 850 a Nr. 3 ZPO auch eine besondere Belastung bei der Arbeitsleistung (BAG 23.08.2017 -
3.
Die Tätigkeit der Schuldnerin im gastronomischen Betrieb des Beklagten im September 2020 war für diese mit besonderen Belastungen und gesundheitlichen Risiken verbunden.
a)
Die Klägerin hat im Kammertermin ausdrücklich unstreitig gestellt, dass die Schuldnerin im September 2020 nicht nur als Küchengehilfin, sondern auch als Thekenkraft und damit in unmittelbarem Kontakt zu der Kundschaft des Beklagten eingesetzt worden ist.
b)
Bei ihrer Tätigkeit hatte die Schuldnerin coronabedingte Abstandsregelungen einzuhalten, Hygienevorschriften und insbesondere die Maskenpflicht zu beachten. Zugleich war sie durch den Kundenkontakt einer höheren Gefahr ausgesetzt, sich mit Corona zu infizieren, als wenn sie die Tätigkeit im Betreib des Beklagten nicht verrichtet hätte. Daneben bestand für sie eine besondere psychische Belastung bei der Verrichtung der Arbeitsleistung. Seinerzeit gab es weder eine wirksame Medikation bei einer Corona-Erkrankung noch bestand die Möglichkeit, sich gegen eine Infektion impfen zu lassen. Welche gesundheitlichen Auswirkungen eine Coronainfektion haben konnte, war damals noch nicht geklärt. Insgesamt war die von der Schuldnerin geschuldete Arbeitsleistung deshalb mit besonderen Belastungen verbunden. Diese wollte der Beklagte über die Corona-Prämie kompensieren (vgl. AG Cottbus, 23.03.2021 -
4.
Der Sinn und Zweck der Einschränkung der Pfändbarkeit von Arbeitseinkommen nach § 850 a Nr. 3 ZPO spricht auch unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen dafür, die vom Beklagten geleistete Coronaprämie als Erschwerniszuschlag zu qualifizieren. Die Zwangsvollstreckungsbestimmungen der §§ 850 ff. ZPO sind darauf ausgerichtet, einerseits dem Gläubiger einen staatlich geregelten Weg zu eröffnen, um eine titulierte Forderung auch tatsächlich durchzusetzen. Aus Gläubigersicht ist es deshalb wichtig, weite Teile des Arbeitseinkommens des Schuldners der Pfändung zu unterwerfen, damit die Zwangsvollstreckung erfolgreich durchgeführt werden kann. Das Gleiche gilt für die Zugriffsmöglichkeit eines Insolvenzverwalters auf das Arbeitseinkommen des Schuldners. Diesem Gläubigerinteresse steht jedoch das verfassungsrechtlich geschützte Interesse des Schuldners an der Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenzgrundlage gegenüber. Diesen Schutzauftrag hat der Gesetzgeber in §§ 850 ff. ZPO umgesetzt und dem Arbeitnehmer einen angemessenen Schutz vor Pfändungen seines Arbeitseinkommens als wichtigstem Zugriffsobjekt der Zwangsvollstreckung gewährt (BAG 23.08.2017 -
5.
Zur Bestimmung des in § 850 a Nr. 3 ZPO verlangten "Rahmen des Üblichen", in dem Erschwerniszuschläge der Höhe nach pfändbar sind, kann aus Gründen der Praktikabilität an die gesetzgeberische Wertung in § 3 Nr. 11 a EStG angeknüpft werden (vgl. BAG 23.08.2017 -
III.
Das danach verbleibende Nettoentgelt der Schuldnerin im Monat September 2020 in Höhe von 1.040,47 Euro (1.507,27 Euro abzgl. 66,80 Euro unpfändbare Sonntagszuschläge und 400,00 Euro unpfändbare Corona-Prämie) ist gem. § 850 a ZPO insgesamt unpfändbar und damit nicht Bestandteil der Insolvenzmasse.
C
Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung gem. § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
D
Die Zulassung der Revision ist gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung veranlasst.