9.2.66 Keine Besorgnis der Befangenheit bei Anordnung einer Schweigeminute im Gerichtssaal?

Autor: Artkämper

Kurzüberblick

Die bloße Vorbefassung mit der Sache genügt nach ständiger Rechtsprechung für sich genommen nicht, um die Voreingenommenheit eines Richters zu befürchten; vielmehr müssen besondere Umstände hinzutreten, die geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit des Abgelehnten zu begründen (OLG Oldenburg, Beschl. v. 30.10.2020 - 1 Ws 362/20 m.w.N.).

Es kann dahinstehen, ob die Anordnung einer Gedenkminute von der Sachleitungsbefugnis des § 238 StPO gedeckt ist, denn ein Verfahrensfehler vermag die Besorgnis der Befangenheit nur bei willkürlichen oder grundlegende Prozessrechte einschränkenden Maßnahmen zu begründen; die Anordnung einer Schweigeminute ist jedenfalls dann nicht völlig unvertretbar, wenn sie explizit unabhängig von der Feststellung einer Schuldfrage durchgeführt wird und einer geordneten Abschiednahme der Nebenkläger dient (OLG Oldenburg, a.a.O. m.w.N.).

Sachverhalt

Den Angeklagten wird Mord durch Unterlassen in mehreren Fällen vorgeworfen. Als Mitarbeiter von zwei Kliniken seien sie mitverantwortlich für den Tod von Patienten, indem sie den gesondert verfolgten Krankenpfleger nicht davon abhielten, die Opfer durch Injektion verschiedener Medikamente zu töten. Zur Verhandlung und Entscheidung berufen ist die 5. Große Strafkammer, die auch im vorangegangenen Prozess gegen den Krankenpfleger erkannte.