9.2.71 Befangenheit bei Verstoß gegen das Mäßigungsgebot II

Autor: Artkämper

Kurzüberblick

Art. 101 Abs. 1 GG erlaubt einem Gericht, ein Verfahren auszusetzen, wenn es ein entscheidungserhebliches Gesetz für verfassungswidrig hält, und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen; die Normenkontrollklage kann daher - für sich genommen - keinen Grund zur Besorgnis der Befangenheit darstellen.

Die Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit gelten zwar auch für Staatsdiener, allerdings normiert § 33 Abs. 2 BeamtStG für Landes- und § 60 Abs. 2 BBG für Bundesbeamte (eine analoge Verpflichtung für Richter lässt sich aus § 39 DRiG ableiten), dass bei politischer Betätigung die Zurückhaltung zu wahren ist, die sich aus Rücksicht auf ihre Stellung und Amtspflichten ergibt; bei einem Verstoß gegen das Mäßigungsgebot kann ein Grund zur Besorgnis der Befangenheit bestehen.

Sachverhalt

Dem Angeklagten wird der Besitz von Cannabis vorgeworfen.

Der nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständige Richter am Amtsgericht Z hat kurze Zeit zuvor ein vergleichbares Verfahren ausgesetzt, um die Entscheidung über seinen beim Bundesverfassungsgericht gestellten Normenkontrollantrag in Bezug auf das Cannabis-Verbot abzuwarten. Der Richter hatte bereits 2002 - ohne Erfolg - prüfen lassen, ob das Verbot von Cannabis mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Auch in der Öffentlichkeit macht der Richter kein Hehl daraus, dass er die Legalisierung von Cannabis befürwortet.