9.2.8 Unsachliche Werturteile und Fragestellungen

Autor: Artkämper

Kurzüberblick

Offene Einschätzungen zur Rechtslage berechtigen nicht zur Richterablehnung (BGH, Urt. v. 10.01.2018 - 2 StR 76/17, Rdnr. 16 m.w.N.).

Etwas anderes gilt bei unnötigen und sachlich unbegründeten Werturteilen und Fragen, die darauf hindeuten, dass der Vorsitzende die Tatfrage für sich bereits abschließend entschieden hat (BGH, Beschl. v. 19.08.2014 - 3 StR 283/14, StV 2015, 4).

Auch der Erlass eines Haftbefehls in laufender Hauptverhandlung kann die Besorgnis der Befangenheit begründen (BGH, Beschl. v. 08.05.2014 - 1 StR 726/13, StRR 2014, 434 f.).

Sachverhalt

Der Angeklagte wird beschuldigt, am 12.04. mit der Straßenbahnlinie 1 von der Sozialstraße in die Lokalstraße in Bieringswalde gefahren zu sein, ohne den entsprechenden Fahrpreis zu entrichten, obwohl ihm die Erforderlichkeit der Bezahlung der Fahrt bekannt gewesen sei.

Der Vorsitzende weist nach Verlesung des Bundeszentralregisterauszugs, der 23 Vorstrafen wegen Erschleichens von Leistungen enthält, auf die nach dem derzeitigen Verfahrensstand für den Angeklagten zu erwartende längere Haftstrafe hin und kommentiert dies mit den Worten: "Sie sind ein notorischer Schwarzfahrer. Solche Leute wie Sie gehören in den Knast, und zwar ganz lange und ganz tief."

Hat der Befangenheitsantrag Aussicht auf Erfolg?

Lösung