27.1.8 Rechte des Nebenklägers (§ 397 StPO) und Wirkung der Nebenklage

...

27.1.8.3 Recht auf Hinzuziehung eines Beistands, § 397 Abs. 2 StPO

Gemäß § 397 Abs. 2 StPO ist der Nebenkläger berechtigt, sich durch einen Beistand (im Folgenden "Nebenklägervertreter") vertreten zu lassen (Personenkreis: § 138 StPO), der zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung berechtigt und vom Hauptverhandlungstermin zu benachrichtigen ist. Dieses Recht besteht schon vor Anklageerhebung, auch wenn sich der Nebenkläger dann dem Verfahren nicht anschließt (§ 406g Abs. 1 StPO). Unter den Voraussetzungen des § 397a Abs. 1 StPO ist ihm auf seinen Antrag hin schon im Ermittlungsverfahren ein anwaltlicher Beistand zu bestellen.

Ein Wechsel in der Person des nach § 397 StPO bestellten Beistands eines Nebenklägers kommt analog § 143 StPO nur dann in Betracht, wenn hierfür tragfähige Gründe vorliegen. Ein bloßer Kanzleiwechsel reicht dafür nicht aus (BGH, NStZ 2010, 714).

Kein Verbot der Mehrfachvertretung

Mehrere Nebenkläger können sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Das Verbot der Mehrfachvertretung nach § 146 StPO gilt für die Nebenklage nicht (BeckOK StPO/Weiner, 37. Ed., § 397 Rdnr. 2, § 397a Rdnr. 23). In jüngerer Vergangenheit wurde mit Blick auf Großverfahren wie den NSU-Prozess oder das Loveparade-Verfahren diskutiert, wie eine Mehrfach- oder Gruppenvertretung legitim begründet und umgesetzt werden kann (zur Diskussion um die frühere Rechtslage Pues, StV 2014, 304; Berger, NStZ 2019, 251; vgl. ferner Meyer-Goßner/Schmitt, § 397 Rdnr. 11 m.w.N.). Die Rechtsprechung hat schon zum bisherigen Rechtszustand in einzelnen Fällen eine Einschränkung des Nebenklagebeistandsrechts durch Gruppen- oder Mehrfachvertretung auch ohne gesetzliche Grundlage für zulässig gehalten (vgl. OLG Hamburg, NStZ-RR 2013, 153, 154; OLG Köln, Beschl. v. 18.04.2013 - 2 Ws 207/13, BeckRS 2013, 8020 unter II. der Gründe; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.03.2015 - III-1 Ws 40/41/15, BeckRS 2015, 14047 Rdnr. 8 ff.).

Modernisierung des Strafverfahrens: Bündelung der Nebenklagevertretung gem. § 397b StPO

Durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019 (BGBl I, 2121, 2123, in Kraft getreten am 13.12.2019) hat der Gesetzgeber das Bedürfnis nach numerischer Reduzierung der Nebenklagevertreter auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und mit § 397b StPO eine Regelung über die "Gemeinschaftliche Nebenklagevertretung" geschaffen (zur Neuregelung Claus, NStZ 2020, 57, 61 f.). Danach kann bei Interessengleichlagerung mehreren Nebenklägern ein gemeinschaftlicher Nebenklagevertreter bestellt werden (§ 397b Abs. 1 Satz 1 StPO). Die neugeschaffene Regelung verfolgt eine doppelte Zweckrichtung: Erstens soll eine effektive Durchführung einer Hauptverhandlung bewahrt werden, die bei einer Vielzahl von Nebenklägern erschwert und in die Länge gezogen werden kann (näher Berger, NStZ 2019, 251 f.). Nach Einschätzung einer vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eingesetzten Expertenkommission geraten Gerichte "an die Grenzen des prozessual Machbaren (…), wenn besonders umfangreiche Verfahren mit vielen Nebenklägern und damit auch vielen Rechtsbeiständen verhandelt werden" (Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, Stand Oktober 2015, S. 146, abrufbar unter www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF/Abschlussbericht_Reform_StPO_Kommission.pdf?__blob=publicationFile&v=2). Ein zweiter von der Neuregelung verfolgter Zweck erweist sich bei näherem Hinsehen als dogmatisch fragwürdig: Die Entwurfsbegründung geht davon aus, die Bündelung der Nebenklagevertretung verbessere "die Chance des Verurteilten auf Resozialisierung (…), die durch die Auferlegung der Kosten einer großen Zahl von Nebenklägern gemindert sein könnte" (BT-Drucks. 19/14747, S. 39; so auch schon OLG Hamburg, NStZ-RR 2013, 153 f.). Diese Resozialisierungserwägung setzt voraus, dass der Angeklagte verurteilt wird, was aber erst mit Rechtskraft feststeht. Kann damit zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Bündelung gerade noch nichts über die Resozialisierungsbedürftigkeit des Angeklagten ausgesagt werden, so handelt es sich bei dem Resozialisierungstopos ersichtlich um ein die Interessen des Angeklagten nur vorgeblich berücksichtigendes Argument.

Beurteilung der Neuregelung

Im Ergebnis ist die Schaffung des § 397b StPO zu begrüßen, und zwar nicht nur, weil damit erstmals eine eigene gesetzliche Grundlage für die Bündelung der Nebenklagevertretung geschaffen wird, sondern neben den aufgezeigten Effizienzerwägungen auch und vornehmlich deshalb, weil damit im Hauptanwendungsbereich der Bündelung - Umfangsverfahren mit zahlreichen Geschädigten - einer Verschiebung der strafprozessualen Arithmetik der Kräfteverhältnisse begegnet werden kann (Pues, StV 2014, 304, 305; Jahn/Bung, StV 2012, 754, 757; Berger, NStZ 2019, 251). Dass die legitimen Belange einzelner Nebenkläger differieren können, ist demgegenüber - allgemein und unabhängig vom jeweiligen Einzelfall - geringer zu gewichten. Interessenunterschieden trägt die Neuregelung bereits dadurch Rechnung, dass § 397b Abs. 1 Satz 1 StPO im konkreten Einzelfall eine Mehrfachvertretung von vornherein nur bei einem Interessengleichlauf zulässt und dem in der Rechtsprechung vereinzelt vertretenen Standpunkt, ein mehreren Nebenklägern beigeordneter Rechtsanwalt könne bei unterschiedlicher Interessenlage prozessuale Befugnisse explizit nur im Namen eines bestimmten Nebenklägers ausüben (so OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.03.2015 - III-1 Ws 40-41/15, BeckRS 2015, 14047 Rdnr. 11), eine Absage erteilt (dies unter Verweis auf § 356 StGB schon zum alten Rechtszustand fordernd BeckOK StPO/Weiner, 37. Ed., § 397a Rdnr. 24). Ohnehin bieten die im Nebenklageweg verfolgten Interessen in der Rechtspraxis kein breites Spektrum (so aber Özata, HRRS 2017, 197, 198), sondern stellen sich im Großen und Ganzen als homogen dar. Es geht regelmäßig um Genugtuung durch Teilnahme am Strafprozess und die Möglichkeit, dort seine besonderen Belastungen gegenüber den Verfahrensbeteiligten darzulegen, um die Verfolgung des eigenen Rehabilitations- und Vergeltungsinteresses durch das Bemühen oder um die weitgehende und umfassende Aufklärung des Sachverhalts (zusammenfassend Berger, NStZ 2019, 251, 252 m.w.N.). Auch wenn diese Interessen innerhalb der Nebenkläger oder einer Gruppe von Nebenklägern unterschiedlich ausgeprägt sein können, lassen sie sich kaum als gänzlich verschieden oder gar entgegengesetzt begreifen.

Interessengleichlagerung bei mehreren Angehörigen eines Getöteten

Die - nicht abschließende - Regelung des § 397 Abs. 1 Satz 2 StPO, die gleichgelagerte Interessen mehrerer Nebenklagevertreter vermutet, wenn sich mehrere Angehörige eines durch eine rechtswidrige Tat Getöteten (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO) als Nebenkläger anschließen, greift die bisherige obergerichtliche Rechtsprechung auf, wonach eine Mehrfachvertretung insbesondere bei mehreren Hinterbliebenen eines getöteten Tatopfers in Betracht kommen kann (OLG Hamburg, NStZ-RR 2013, 153, 154; OLG Köln, Beschl. v. 18.04.2013 - 2 Ws 207/13, BeckRS 2013, 8020 unter II. der Gründe; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.03.2015 - III-1 Ws 40/41/15, BeckRS 2015, 14047 Rdnr. 8 ff.). Insofern kann das Gericht auch mehrere Gruppen von Nebenklägern bilden, die jeweils gleichgelagerte Interessen verfolgen, und jeder Gruppe jeweils einen gemeinschaftlichen Nebenklagevertreter beiordnen. Nach der Entwurfsbegründung ist es für die Einteilung der Gruppen ohne Belang, ob die Nebenkläger Anspruch auf Bestellung eines Beistands nach § 397a Abs. 1 StPO haben oder Prozesskostenhilfe nach § 397a Abs. 2 StPO erhalten (BT-Drucks. 19/14747, S. 39).

Entschließungs- und Auswahlermessen

Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 397b Abs. 1 StPO vor, so eröffnet die Vorschrift auf der Rechtsfolgenseite ein Entschließungs- und Auswahlermessen. Bei der Ausübung des Entschließungsermessens, ob eine Mehrfachvertretung überhaupt anzuordnen ist, hat das Gericht nach der Begründung des Gesetzentwurfs neben der Interessenlage der Nebenkläger weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen, wie die Wahrung der Rechte des Angeklagten, den Resozialisierungsgedanken oder die voraussichtliche Dauer und Komplexität des Verfahrens. Liegen sachliche Gründe vor, nach denen die Wahrnehmung der Interessen der Nebenkläger nur durch einen jeweils gesonderten Rechtsbeistand sachgerecht erfolgen kann, soll von der gemeinschaftlichen Nebenklagevertretung abgesehen werden (BT-Drucks. 19/14747, S. 39). Ohnehin dürfte bei der Ermessensausübung der Ausnahmecharakter des § 397b StPO zu berücksichtigen sein. Denn nach wie vor gilt für die Bestellung eines Rechtsanwalts für den Nebenkläger gem. § 397a Abs. 3 Satz 2 StPO die Bestimmung des § 142 Abs. 5 Satz 3 StPO entsprechend, wonach zwar kein Rechtsanspruch auf Beiordnung des gewünschten Rechtsanwalts besteht, der vom Nebenkläger bezeichnete Rechtsanwalt aber durch den Vorsitzenden zu bestellen ist, wenn kein wichtiger Grund entgegensteht. Die Anordnung der Mehrfachvertretung setzt also Ermessenskriterien voraus, die einen wichtigen Grund i.S.d. § 142 Abs. 5 Satz 3 StPO darstellen. Vor diesem Hintergrund stellt es einen Ermessensfehler dar, wenn das Gericht die Mehrfachvertretung mit der Begründung anordnet, der Nebenkläger habe keine sachlichen Gründe für die Beiordnung des von ihm gewünschten Rechtsanwalts genannt (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 18.04.2013 - 2 Ws 207/13, BeckRS 2013, 8020 unter II. der Gründe).

Auswahl des Anwalts

Auch die Auswahl des anwaltlichen Vertreters trifft das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Sachliche Auswahlkriterien können beispielsweise der Wille der (Mehrheit der) Nebenkläger, der Zeitpunkt der Bestellung und des Beiordnungsantrags (Prioritätsprinzip), die Ortsnähe des Kanzleisitzes zum Gerichtsort oder etwaige Verhinderungen infolge von Terminkollision des vorgeschlagenen Nebenklagevertreters sein. Rein fiskalische Erwägungen können den Eingriff in das Recht zur freien Wahl des Nebenklagevertreters nicht rechtfertigen (OLG Köln, Beschl. v. 18.04.2013 - 2 Ws 207/13, BeckRS 2013, 8020 unter II. der Gründe).

Der korrekten Ermessensausübung dient es, dass das Gericht, bevor es über die Bestellung oder Beiordnung eines gemeinschaftlichen Nebenklagevertreters entscheidet, den betroffenen Nebenklägern nach § 397b Abs. 2 Satz 1 StPO rechtliches Gehör gewähren soll. Aus § 397b Abs. 2 Satz 2 StPO ergibt sich, dass bereits erfolgte Bestellungen und Beiordnungen mit der Bestellung eines gemeinschaftlichen Nebenklagevertreters nicht ipso iure erlöschen, sondern der Aufhebungen bedürfen.

Vergütung des gemeinschaftlichen Nebenklagevertreters

Ein dem Nebenklagevertreter durch die gemeinschaftliche Nebenklagevertretung etwa entstehender Mehraufwand wird regelmäßig durch den Mehrvertretungszuschlag gem. Nr. 1008 VV RVG abgegolten. Unter den dort geregelten Voraussetzungen besteht nach § 51 RVG auch die Möglichkeit der Bewilligung einer Pauschgebühr.

In der neugeschaffenen Vorschrift des § 53a RVG ist der Vergütungsanspruch eines Rechtsanwalts geregelt, der infolge der Bündelung nicht im Bestellungs- oder Beiordnungsweg zum Zug gekommen ist. Die Vorschrift knüpft an § 397b Abs. 3 StPO an, wonach das Gericht die Beiordnungs- und Bestellungsfähigkeit festzustellen hat. Ist dies festgestellt, so ergibt sich der gegen die Staatskasse gerichtete Anspruch aus § 53a i.V.m. §§ 45 ff. RVG.

Wie wenig Durchschlagskraft die Regelung letztlich entfaltet, zeigt die Annahme des Gesetzentwurfs (BT-Drucks. 19/14747, S. 39), es solle dem Nebenkläger unbenommen bleiben, sich entweder unter Verzicht auf einen Bestellungs- bzw. Beiordnungsantrag oder zusätzlich zu dem gemeinschaftlichen Nebenklagevertreter durch einen Wahlnebenklagevertreter auf eigene Kosten vertreten zu lassen. Dadurch würde - allenfalls - der Kostensenkungszweck, nicht aber der Effizienzzweck der Regelung erreicht.

Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO

Die mit Anordnung der Bündelung der Nebenklage einhergehende Aufhebung einer erfolgten oder die Ablehnung einer Bestellung bzw. Beiordnung kann - wie schon nach der bisher geltenden Rechtslage - mit der Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO angefochten werden (OLG Köln, Beschl. v. 18.04.2013 - 2 Ws 207/13, BeckRS 2013, 8020 unter II. der Gründe). Antragsberechtigt ist insofern aber nur der Nebenkläger selbst, nicht der von der Bündelung betroffene Rechtsanwalt, der nicht bestellt bzw. als Beistand beigeordnet wird (OLG Köln, Beschl. v. 22.02.2013 - 2 Ws 100/13, BeckRS 2013, 17029 unter II. der Gründe).