20.2.3 Befangenheitsantrag gegen Schöffen wegen eigenmächtiger Verschaffung von Aktenkenntnis

Autor: Dehne-Niemann

Kurzüberblick

Nach früher herrschender und auch heute noch verbreiteter Ansicht dürfen Schöffen als "Garanten der Unmittelbarkeit" keine Aktenkenntnis haben (RGSt 63, 120, 123 f.; BGH, NJW 1954, 483 f.; BGHSt 13, 73; 43, 360, 365 f.).

Die Kenntnis des Akteninhalts kann im Einzelfall die Besorgnis der Befangenheit eines Schöffen begründen. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Schöffe sich eigenmächtig die Aktenkenntnis verschafft hat und dadurch aus der Sicht eines verständigen Angeklagten zum Ausdruck gebracht hat, seine Überzeugungsbildung nicht mehr auf den Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) zu stützen, sondern den (auch) dafür gerade nicht maßgeblichen Akteninhalt heranzuziehen.

Sachverhalt

(Zunächst wie Prozesssituation 20.2.1 und 20.2.2). Während des weiteren Fortgangs der Hauptverhandlung bekommt der Angeklagte mit, dass sich der Schöffe X in einer Verhandlungspause einen Aktenband vom hinter der Richterbank stehenden Aktenwagen genommen und mit der Lektüre der Anklageschrift mitsamt dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen begonnen hat. Der Schöffe X ist dem Verteidiger V im Verlauf des Verfahrens schon mehrfach aufgefallen, weil er auf die Einlassung des Angeklagten mit sichtlicher Ungeduld und auf den Antrag des Verteidigers, die kommissarische Vernehmung zu wiederholen, mit einem genervten Augenrollen reagiert hat.