In einem Verfahren gegen den Angekl. wegen u. a. Betruges in Tateinheit mit versuchter Steuerhinterziehung führte der Vorsitzende der Strafkammer einen Monat vor Beginn der Hauptverhandlung jeweils einzeln mit Verteidigung und StA, nach deren Auffassung die Freiheitsstrafe bei einem Geständnis des Angekl. mindestens fünf Jahre betragen sollte, vertrauliche Vorgespräche über eine Abkürzung der Verhandlung, die bei streitiger Durchführung die Vernehmung vieler Zeugen erforderlich gemacht und mindestens acht Monate gedauert hätte.
»Namens der Kammer«, ersichtlich aber ohne Beteiligung der Schöffen, erklärte der Vorsitzende - entgegen der Auffassung der StA - dem Verteidiger, »daß nach Kenntnis der Akten und demgemäß vorläufiger Bewertung ein Geständnis sich im Strafmaß so auswirken könne, wie dies (dem Staatsanwalt) bekannt ist«, daß dann also mit vier Jahren Freiheitsstrafe zu rechnen sei. Sollte die Hauptverhandlung etwas anderes ergeben, werde dem Angekl. ein entsprechender Hinweis erteilt. Dieser könne dann seinerseits neu entscheiden, ob er an seinem Geständnis festhalte oder nicht. Widerrufe er sein Geständnis, dürfe dieses - weil andernfalls unter Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens erlangt - nicht bewertet werden.
Der sachbearbeitende Staatsanwalt erwiderte auf die Anfrage des Vorsitzenden, daß er bei einem Geständnis mindestens fünf Jahre Freiheitsstrafe erwarte und zum Freigang ablehnend Stellung nehmen werde. In einem weiteren Gespräch erklärte der Vorsitzende nach der insoweit nicht in Abrede gestellten dienstlichen Äußerung dieses Staatsanwalts, er könne nach wie vor »ein Geständnis entgegennehmen und das mit 4 Jahren honorieren« und den Haftbefehl außer Vollzug setzen. Die StA könne dann ja eine - kaum aussichtsreiche - Strafmaßrevision einlegen. Sodann suchte der Vorsitzende den Abteilungsleiter des sachbearbeitenden Staatsanwalts und danach - wegen der urlaubsbedingten Abwesenheit des Leitenden Oberstaatsanwalts - dessen ständigen Vertreter auf. Beide lehnten es ab, dem StA Weisung zu dem Antrag in der Hauptverhandlung oder einer Stellungnahme zum offenen Vollzug zu erteilen.
Der Angekl. legte am ersten Verhandlungstag ein Geständnis entsprechend der Anklageschrift ab. - Die vorstehend genannten Ereignisse sowie der weitere Verfahrensfortgang veranlaßte die StA (BeschwF.), die drei Berufsrichter - jeden für sich - wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen (§ 24 Abs. 2 StPO). Das Ablehnungsgesuch beendete die BeschwF. damit, daß nunmehr zur Gewißheit geworden sei, daß der Vorsitzende ohne Beteiligung der StA weitestgehende prozeßerledigende Absprachen getroffen habe, daran festhalte und damit voreingenommen in die Hauptverhandlung gegangen sei; die vom Vorsitzenden entwickelte Linie werde von den berufsrichterlichen Beisitzern mitgetragen; sie seien in die Absprachen mit einbezogen. Die Strafkammer hat den Befangenheitsantrag mit anderen als den abgelehnten Richtern verworfen und den Angekl. wegen u. a. Betruges in Tateinheit mit versuchter Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt. Die auf eine Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO gestützte Revision hatte Erfolg.
[1.] »Nach § 24 Abs. 2 StP0 kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Das ist der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (BGHSt 21, 334, 341). Danach hat die BeschwF. den Vorsitzenden und den Berichterstatter mit Recht abgelehnt. Entgegen der Auffassung des LG kommt es nicht auf eine »verbindliche« Absprache, eine »endgültige« Festlegung an, sondern auf den nach außen deutlich gewordenen Eindruck von der inneren Haltung des Richters.
Die Besorgnis der StA, die beteiligten Richter seien befangen, ist begründet, weil der Vorsitzende im Einvernehmen mit dem Beisitzer vor der Hauptverhandlung ohne Anwesenheit der anderen Verfahrensbeteiligten dem Verteidiger konkret, wenn auch nach außen hin unverbindlich, erklärt hat, welche Strafe bei einem Geständnis des Angekl. in Betracht kommt. Jeder vernünftige Prozeßbeteiligte - einschließlich des Angekl. -, der zu einem solchen Gespräch außerhalb der Hauptverhandlung nicht hinzugezogen worden ist, kann mit Recht befürchten, daß der Richter im Sinne der dem anderen Verfahrensbeteiligten in seiner Abwesenheit konkret genannten Strafe voreingenommen ist. Nach außen gegebene Hinweise auf eine Unverbindlichkeit oder Vorläufigkeit des Strafmaßes ändern daran nichts. Sie sind nicht geeignet, die Annahme der störend beeinflußten Unvoreingenommenheit des Richters in Frage zu stellen. Entscheidend ist nicht, daß »feste Zusagen« gegeben worden sind, sondern der einem Verfahrensbeteiligten vermittelte Eindruck, der Richter mit einer »vorgebildeten Meinung« an der Hauptverhandlung mitwirkt. Das gilt um so mehr, wenn - wie hier - durch Pressionen und durch den tatsächlichen Verfahrensablauf deutlich gemacht wird, daß die beteiligten Richter bemüht sind, die genannten Vorstellungen zu verwirklichen, und wenn der Verdacht besteht, der Richter habe etwas zu verschweigen, weil er sich entgegen seiner dienstlichen Verpflichtung nicht umfassend erklärt (vgl. BGH, StV 1984,
[2.] Der Senat hat Anlaß, der in der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden zum Ausdruck gebrachten fehlerhaften Auffassung, die Zulässigkeit von Vorgesprächen »dieser Art« sei durch die höchstrichterliche Rechtspr. ausdrücklich anerkannt, entgegenzutreten. Das gilt auch für die im Vorbringen der BeschwF. erkennbare Ansicht, eine »Erörterung unter sechs Augen«, also mit Beteiligung des Staatsanwalts, sei rechtlich unbedenklich. Vertrauliche, also ohne Mitwirkung aller Prozeßbeteiligten, einschließlich des Angekl. und der Schöffen, getroffene Absprachen über die Höhe der Strafe bei einem bestimmten Verhalten des Angekl. widersprechen - ebenso wie alle - »Zusagen bezüglich der Strafbemessung« (BGH, NStZ 1985,
Welche Strafe angemessen ist, kann das Gericht grundsätzlich erst beurteilen, wenn die Hauptverhandlung ergeben hat, was von dem Vorwurf gegen den Angekl. in welchem Umfang festgestellt ist, welche Umstände das begangene Unrecht kennzeichnen und welches Maß an Schuld anzunehmen ist. Wenn einzelne oder alle Mitglieder des Gerichts - vor allem über den Kopf eines Verfahrensbeteiligten hinweg - vertrauliche Absprachen für ein abgekürztes Verfahren treffen oder konkret anbieten, erwecken sie den Eindruck, daß ihnen an einer gerechten Abklärung aller für die Schuld und Strafe bedeutsamen Umstände nichts gelegen ist.
Dem Richter ist es nach der Rechtspr. des BGH nicht verwehrt, zur Forderung des Verfahrens - häufig zur Vorbereitung der Sitzung - mit den Prozeßbeteiligten auch außerhalb der Hauptverhandlung Führung aufzunehmen und eine sachgerechte Antragstellung anzuregen. Dabei muß er die gebotene Zurückhaltung wahren, um jeden Anschein der Parteilichkeit zu vermeiden (BGH, NStZ 1991,
Anmerkung von Ministerialdirigent Prof. Dr. Reinhard Böttcher, München, und Dr. Gunter Widmaier, Karlsruhe/München, in JR 1991,