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Rechtsmissbräuchliche Abmahnung

Eine Abmahntätigkeit, die sich so verselbstständigt hat, dass sie in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zu der eigentlichen gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht, kann rechtsmissbräuchlich sein. Demnach kann in diesem Zusammenhang auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung rechtsmissbräuchlich sein. Das hat das OLG Hamm im einstweiligen Rechtsschutz entschieden.

Darum geht es

Im Juni/Juli 2015 erwirkte die Verfügungsklägerin, eine Konsumartikelhändlerin aus Bielefeld, die u.a. Briefkästen im Zwischenhandel vertreibt, gegen einen Hersteller von Briefkästen vor dem Landgericht Hagen eine einstweilige Verfügung, die dem Hersteller den Vertrieb von Briefkästen mit den wettbewerbswidrig verwandten Produktkennzeichnungen „umweltfreundlich produziert“ und „geprüfte Qualität“ untersagt.

Einen Tag nach der mündlichen Verhandlung in dem Hagener Verfahren führte die Verfügungsklägerin sog. „Marktsichtungen“ durch, um weitere Verkäufer der Briefkästen zu ermitteln, die diese ebenfalls mit den wettbewerbswidrigen Produktkennzeichnungen vertrieben. Sie machte ca. 50 Unternehmen ausfindig und beauftragte den für sie bereits im Hagener Prozess tätigen Anwalt, auch diese Unternehmen abzumahnen.

Nach Erhalt eines Vorschusses begann der Anwalt mit dem Versand der Abmahnungen. Eine von diesen erhielt die verfügungsbeklagte Handelsgesellschaft aus Köln, die die in Frage stehenden Briefkästen über eine Internetplattform zum Verkauf anbot. Binnen weniger Tage versandte der Anwalt der Verfügungsklägerin an insgesamt 43 Händler Abmahnungen, erst danach gingen erste Unterwerfungserklärungen der abgemahnten Händler ein. Innerhalb der ersten sechs Wochen wurden insgesamt 71 Abmahnungen ausgesprochen, zwischenzeitlich ist ihre Zahl auf über 200 gestiegen.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Der im vorliegenden Verfahren gegen die Verfügungsbeklagte gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist erfolglos geblieben. Das OLG Hamm hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen.

Nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb sei das Verfolgen eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs rechtsmissbräuchlich, so der Senat, wenn es unter Berücksichtigung der gesamten Umstände vorwiegend dazu diene, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. Hiervon sei im vorliegenden Verfahren auszugehen. Die umfangreiche Abmahntätigkeit der Verfügungsklägerin habe in keinem vernünftigen Verhältnis zu ihrer eigentlichen gewerblichen Tätigkeit gestanden.

Beim Versand der ersten 43 Abmahnungen, u.a. auch an die Verfügungsbeklagte, sei die Verfügungsklägerin ein erhebliches Kostenrisiko eingegangen. Bei den binnen sieben Tagen versandten Abmahnungen sei vernünftigerweise nicht mit dem zwischenzeitlichen Eingang einer nennenswerten Anzahl strafbewehrter Unterlassungserklärungen zu rechnen gewesen. Durch ihr Vorgehen hätten der Verfügungsklägerin hohe Kosten entstehen können.

So fielen bereits für die 43 Abmahnungen Anwaltskosten von über 42.000 € an. Berücksichtige man zudem, dass ein nicht unerheblicher Teil der eingeleiteten Abmahnvorgänge in gerichtliche Auseinandersetzungen münde, erhöhe sich das Kostenrisiko. Insgesamt entstünden Anwalts- und Gerichtskosten von über 250.000 €, wenn ein Drittel der Abmahnvorgänge in der Hauptsache über eine gerichtliche Instanz und ein weiteres Drittel über zwei gerichtliche Instanzen auszufechten sei, was bereits eine für die Verfügungsklägerin günstige, moderate Entwicklung beschreibe.

Dieses Kostenrisiko stehe in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zu der eigentlichen wirtschaftlichen Betätigung der Verfügungsklägerin. Nur beim Verkauf von Briefkästen und ähnlichen Produkten trete die Verfügungsklägerin in Konkurrenz zur Verfügungsbeklagten. Ordne man diesem Marktsegment die dem Senat bekannt gegebenen Werte zum gesamten Jahresüberschuss der Verfügungsklägerin aus 2013 (ca. 5.500 €) und zu ihrem gesamten Eigenkapital aus 2013 (ca. 300.000 €) zu, bestehe kein kaufmännisch vernünftiges Verhältnis zwischen Gewinn und Eigenkapital und der zu beurteilenden Abmahntätigkeit mehr.

Das Kostenrisiko der Abmahntätigkeit belaufe sich dann auf das ca. 50-fache des erzielten Jahresgewinns. Die mit den Abmahnungen verbundenen Kosten zehrten das im Betrieb vorhandene Eigenkapital (nahezu) vollständig auf. Ein derartig hohes Kostenrisiko gehe ein vernünftig handelnder Kaufmann grundsätzlich nicht ein.

OLG Hamm, Urt. v. 15.09.2015 - 4 U 105/15

Quelle: OLG Hamm, Pressemitteilung v. 20.11.2015