Urlaubsabgeltung: BAG klärt Verjährung und Verfall

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Ansprüche auf Urlaubsabgeltung können verjähren. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt mit Ende des Jahres, in dem Arbeitnehmer ausscheiden. Ansprüche verfallen auch nach tarifvertraglichen Ausschlussfristen. Endete das Arbeitsverhältnis vor dem EuGH-Urteil vom 06.11.2018 kann sich der Beginn der Verfall- bzw. Verjährungsfrist ggf. verlagern. Das hat das BAG mit zwei Urteilen entschieden.

 

Verjährung von Abgeltungsansprüchen - 9 AZR 456/20 

Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, nicht genommenen Urlaub nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten, unterliegt der Verjährung. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt in der Regel mit dem Ende des Jahres, in dem der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.

Endete das Arbeitsverhältnis vor der Entscheidung des EuGH vom 06.11.2018 (Az. C-684/16) und war es dem Arbeitnehmer nicht zumutbar, Klage auf Abgeltung zu erheben, konnte die Verjährungsfrist nicht vor dem Ende des Jahres 2018 beginnen.

 

Darum geht es

Die Beklagte betreibt eine Flugschule. Sie beschäftigte den Kläger seit dem 09.06.2010 als Ausbildungsleiter, ohne ihm seinen jährlichen Urlaub von 30 Arbeitstagen zu gewähren. Unter dem 19.10.2015 verständigten sich die Parteien darauf, dass der Kläger in der Folgezeit als selbstständiger Dienstnehmer für die Beklagte tätig werden sollte.

Mit der im August 2019 erhobenen Klage verlangte der Kläger u.a. Abgeltung von Urlaub aus seiner Beschäftigungszeit vor der Vertragsänderung. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen (u.a. LAG Niedersachsen, Urt. v. 20.08.2020 - 5 Sa 614/20).

 

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hatte beim BAG Erfolg, soweit er die Beklagte auf Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2010 bis 2014 in Höhe von 37.416,50 € in Anspruch nimmt. Bezogen auf Urlaubsabgeltung für das Jahr 2015 blieb sie erfolglos.

Der Senat hat am 20.12.2022 (Az. 9 AZR 266/20) entschieden, dass Urlaubsansprüche verjähren können, die dreijährige Verjährungsfrist jedoch erst am Ende des Kalenderjahres beginnt, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch informiert und ihn im Hinblick auf Verfallfristen aufgefordert hat, den Urlaub tatsächlich zu nehmen.

Hat der Arbeitgeber diesen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, kann der nicht erfüllte gesetzliche Urlaub aus möglicherweise mehreren Jahren im laufenden Arbeitsverhältnis weder nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen noch nach § 195 BGB verjähren und ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten.

Der Urlaubsabgeltungsanspruch unterliegt seinerseits der Verjährung. Die dreijährige Verjährungsfrist für den Abgeltungsanspruch beginnt in der Regel am Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es auf die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten ankommt. Die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bildet eine Zäsur.

Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist anders als der Urlaubsanspruch nicht auf Freistellung von der Arbeitsverpflichtung zu Erholungszwecken unter Fortzahlung der Vergütung gerichtet, sondern auf dessen finanzielle Kompensation beschränkt.

Die strukturell schwächere Stellung des Arbeitnehmers, aus der der EuGH die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei der Inanspruchnahme von Urlaub ableitet, endet mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Bei einer verfassungs- und unionsrechtskonformen Anwendung der Verjährungsregelungen kann die Verjährungsfrist nicht beginnen, solange eine Klageerhebung aufgrund einer gegenteiligen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zumutbar ist.

Von dem Kläger konnte bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 19.10.2015 nicht erwartet werden, seinen Anspruch auf Abgeltung des bis dahin nicht gewährten Urlaubs aus den Jahren 2010 bis 2014 gerichtlich durchzusetzen.

Der Senat ging zu diesem Zeitpunkt noch davon aus, dass Urlaubsansprüche mit Ablauf des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums unabhängig von der Erfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten automatisch verfielen.

Erst nachdem der EuGH mit Urteil vom 06.11.2018 neue Regeln für den Verfall von Urlaub vorgegeben hatte, war der Kläger gehalten, Abgeltung für die Urlaubsjahre von 2010 bis 2014 gerichtlich geltend zu machen.

Demgegenüber ist der Anspruch des Klägers auf Abgeltung von Urlaub aus dem Jahr 2015 verjährt. Schon auf Grundlage der früheren Rechtsprechung musste der Kläger erkennen, dass die Beklagte Urlaub aus diesem Jahr, in dem das Arbeitsverhältnis der Parteien endete, abzugelten hatte.

Die dreijährige Verjährungsfrist begann deshalb Ende des Jahres 2015 und endete mit Ablauf des Jahres 2018. Der Kläger hat die Klage erst im Jahr 2019 erhoben.

BAG, Urt. v. 31.01.2023 - 9 AZR 456/20 

Hinweis: Beim Fristbeginn relevant ist EuGH, Urt. v. 06.11.2018 - C-684/16 [„Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften“].

 

Urlaubsabgeltung: Tarifvertragliche Ausschlussfrist - 9 AZR 244/20

Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, nicht genommenen Urlaub nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten, kann nach Maßgabe einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist verfallen.

Endete das Arbeitsverhältnis vor der Entscheidung des EuGH vom 06.11.2018 (Az. C-684/16) und oblag es dem Arbeitnehmer aufgrund der gegenläufigen Senatsrechtsprechung nicht, den Anspruch innerhalb der tarifvertraglichen Ausschlussfrist geltend zu machen, begann die Ausschlussfrist erst mit der Bekanntgabe des Urteils.

 

Darum geht es

Die Beklagte, ein Zeitungsverlag, beschäftigte den Kläger seit dem 01.04.2007 zunächst auf der Grundlage eines sog. Vertrags für Pauschalisten, sodann als angestellten Online-Redakteur.

Nach § 18 Nr. 1 Satz 1 des Manteltarifvertrags für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen (MTV) sind nicht erfüllte Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit geltend zu machen.

Während seiner Tätigkeit als Pauschalist vom 01.04.2007 bis zum 30.06.2010 erhielt er keinen Urlaub. Das Arbeitsverhältnis endete am 30.09.2014. Im August 2018 forderte der Kläger die Beklagte auf, insgesamt 65 Arbeitstage Urlaub aus den Jahren 2007 bis 2010 abzugelten.

Die Forderung in Höhe von 14.391,50 € brutto wies die Beklagte mit der Begründung zurück, ein etwaiger Anspruch des Klägers aus der Zeit seiner Tätigkeit als Pauschalist sei verfallen und verjährt. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen (u.a. LAG Düsseldorf, Urt. v. 21.01.2020 - 5 Sa 463/19).

 

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hatte beim BAG Erfolg. Sie führt zur Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann der Anspruch auf Abgeltung nicht genommenen Urlaubs als reiner Geldanspruch tariflichen Ausschlussfristen unterfallen. Daran hält der Senat fest.

Die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bildet eine Zäsur. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist anders als der Urlaubsanspruch nicht auf Freistellung von der Arbeitsverpflichtung zu Erholungszwecken unter Fortzahlung der Vergütung gerichtet, sondern auf dessen finanzielle Kompensation beschränkt.

Die strukturell schwächere Stellung des Arbeitnehmers, aus der der EuGH die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei der Inanspruchnahme von Urlaub ableitet, endet mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Der Kläger war bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.09.2014 nicht gehalten, seinen Anspruch auf Abgeltung des bis dahin nicht gewährten Urlaubs aus den Jahren 2007 bis 2010 der Beklagten gegenüber iSd. Ausschlussfristenregelung geltend zu machen.

Der Senat ging zu diesem Zeitpunkt noch davon aus, dass Urlaubsansprüche mit Ablauf des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums unabhängig von der Erfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten automatisch verfielen.

Erst nachdem der EuGH mit Urteil vom 06.11.2018 neue Regeln für den Verfall von Urlaub vorgegeben hatte, oblag es dem Kläger, Urlaubsabgeltung zu verlangen.

Der von dem Kläger erhobene Abgeltungsanspruch ist vor diesem Zeitpunkt auch nicht verjährt. Zwar steht der Anwendung der Verjährungsvorschriften der unabdingbare Schutz, den der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub genießt, nicht entgegen.

Nach den vom Senat mit weiteren Urteil vom 31.01.2023 (Az. 9 AZR 456/20) entwickelten Grundsätzen lief die Verjährungsfrist nicht vor dem Ende 2018. Der Kläger wahrte die gesetzliche Verjährungsfrist, indem er die Beklagte im Jahr 2018 auf Zahlung von Urlaubsabgeltung gerichtlich in Anspruch nahm.

Dennoch kann der Senat nach den vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend darüber befinden, ob die Beklagte Urlaubsabgeltung schuldet.

Das Landesarbeitsgericht wird nach der Zurückverweisung aufzuklären haben, ob der Kläger in den Jahren 2007 bis 2010, in denen er als Pauschalist redaktionelle Aufgaben für die Beklagte wahrnahm, im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig war.

BAG, Urt. v. 31.01.2023 - 9 AZR 244/20 

Hinweis: Beim Fristbeginn relevant ist EuGH, Urt. v. 06.11.2018 - C-684/16 [„Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften“].

BAG, Pressemitteilungen v. 31.01.2023

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