VerfGH Berlin vom 12.01.1993
VerfGH 55/92
Normen:
StPO §§ 112 ff.;
Fundstellen:
JR 1993, 99
JZ 1993, 259
JuS 1993, 594
MDR 1993, 154
NJ 1993, 128
NJW 1993, 515
NStZ 1993, 298 (Ls)
RAnB 1993, 53 (Ls)
StV 1993, 84

VerfGH Berlin - 12.01.1993 (VerfGH 55/92) - DRsp Nr. 1993/2416

VerfGH Berlin, vom 12.01.1993 - Aktenzeichen VerfGH 55/92

DRsp Nr. 1993/2416

»1. Die Verfassung von Berlin enthält als ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz ein Grundrecht des einzelnen auf Achtung seiner Menschenwürde durch die staatliche Gewalt. 2. Auf das Grundrecht auf Achtung der Menschenwürde kann sich auch berufen, wer schwerer Straftaten beschuldigt ist, die in unerträglicher Weise gegen die Wertordnung der Verfassung verstoßen. 3. Die in der Verfassung von Berlin gewährleisteten Grundrechte sind für die rechtsprechende Gewalt des Landes Berlin in den Grenzen der Art. 142, 31 GG auch bei der Anwendung von Bundesrecht beachtlich. Enthalten das Grundgesetz und die Verfassung von Berlin inhaltsgleiche Grundrechtsgarantien, so hat der Verfassungsgerichtshof auf die Rüge der Verletzung des entsprechenden Landesgrundrechts durch die auf Bundesrecht beruhende Entscheidung eines Berliner Gerichts als Vorfrage die Vereinbarung dieser Entscheidung mit dem identischen Bundesgrundrecht zu prüfen. 4. Es verletzt das Grundrecht auf Achtung der Menschenwürde, wenn ein Strafverfahren fortgesetzt wird, obwohl nach den tatrichterlichen Feststellungen davon auszugehen ist, daß der Angeklagte infolge schwerer und unheilbarer Erkrankung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Ende des Strafverfahrens in erster Instanz nicht mehr erleben wird.