SchlHOLG - Beschluss vom 27.04.2023
7 U 214/22
Normen:
StVG § 7 Abs. 1; StVG § 9; StVG § 17; StVG § 18 Abs. 1; StVO § 4 Abs. 1 S. 1 und S. 2; VVG § 115 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 254;
Vorinstanzen:
LG Lübeck, vom 18.11.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 3 O 42/22

Haftungsverteilung bei Auffahren eines Radfahrers auf einen plötzlich bremsenden Pkw

SchlHOLG, Beschluss vom 27.04.2023 - Aktenzeichen 7 U 214/22

DRsp Nr. 2023/9817

Haftungsverteilung bei Auffahren eines Radfahrers auf einen plötzlich bremsenden Pkw

1. Die Abwägung der wechselseitigen Unfallverursachungsbeiträge kann im Rahmen von §§ 9 StVG, 254 BGB zum vollständigen Ausschluss des Ersatzanspruchs führen, wenn das Verschulden des Geschädigten derart überwiegt, dass die vom Schädiger ausgehende Ursache völlig zurücktritt2. Bei einem typischen Auffahrunfall spricht der Anschein gegen den Auffahrenden. Es wird vermutet, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat, zu schnell gewesen ist oder schlicht unaufmerksam war und hierdurch grob gegen seine Verkehrspflichten verstoßen hat3. Der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug muss in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter diesem gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Dies gilt auch für Radfahrer, die sich im öffentlichen Straßenverkehr auf einer sportlich ambitionierten Übungs-Zeitfahrt befinden.4. Plötzliche Ereignisse wie ein Unfall oder drohende Gefahr sind typischerweise Anlass für abruptes Bremsen des vorausfahrenden Fahrzeugs, wofür gerade die Abstandsregeln gelten sollen.5. Korrigierendes Vorbringen einer Partei zur Sache in der mündlichen Verhandlung ist weder präkludiert noch von vornherein unglaubhaft. Der Vorgang unterliegt vielmehr der richterlichen Wertung.