BVerfG - Beschluß vom 10.06.1975
2 BvR 1074/74
Normen:
GG Art. 3 Abs. 3 Art. 19 Abs. 4 Art. 20 Abs. 3 Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a Art. 103 Abs. 1 ; StPO § 44 Satz 2 ;
Fundstellen:
BVerfGE 40, 95
BayVBl 1976, 45
DRiZ 1975, 285
EuGRZ 1975, 380
HFR 1975, 505
MDR 1975, 996
NJW 1975, 1597
VersR 1975, 1139
Vorinstanzen:
AG Kaufbeuren, vom 05.09.1974 - Vorinstanzaktenzeichen Cs 438/74
II. LG Kempten, Beschluß vom 31.10.1974 - 2 Qs 400/74,

Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei sprachunkundigem Ausländer

BVerfG, Beschluß vom 10.06.1975 - Aktenzeichen 2 BvR 1074/74

DRsp Nr. 1994/2781

Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei sprachunkundigem Ausländer

»Der der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtige Ausländer, dem ein Strafbefehl (oder Bußgeldbescheid) in deutscher Sprache ohne eine ihm verständliche Belehrung über den Rechtsbehelf des Einspruchs zugestellt worden ist, kann im Falle des Fristversäumnisses nicht anders behandelt werden, als wenn die Rechtsmittelbelehrung unterblieben wäre.«

Normenkette:

GG Art. 3 Abs. 3 Art. 19 Abs. 4 Art. 20 Abs. 3 Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a Art. 103 Abs. 1 ; StPO § 44 Satz 2 ;

Gründe:

A.

I.

1. Das Amtsgericht Kaufbeuren erließ am 18. Juli 1974 gegen den Beschwerdeführer wegen des Vorwurfs des Betruges einen Strafbefehl über 1.500 DM, ersatzweise 75 Tage Freiheitsstrafe. Der Strafbefehl wurde am 30. Juli 1974 durch Niederlegung bei der Post zugestellt. Ihm war die übliche Rechtsmittelbelehrung in deutscher Sprache beigefügt. Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsbürger. Er lebt seit einigen Jahren in der Bundesrepublik Deutschland, kann jedoch die deutsche Sprache weder lesen noch schreiben.