BVerfG - Beschluß vom 08.09.1997
1 BvR 1147/97
Normen:
GG Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Art. 20 Abs. 3 ; ZPO § 765a ;
Fundstellen:
BVerfG, HdM Nr. 117
DRsp IV(421)217d
GE 1997, 1390
InVo 1998, 103
NJW 1998, 295
NZM 1998, 21
WuM 1997, 591
ZMR 1997, 626
Vorinstanzen:
LG Dortmund, vom 07.05.1997 - Vorinstanzaktenzeichen 9 T 526/97

Räumungsschutz bei Gesundheits- und Lebensgefahr

BVerfG, Beschluß vom 08.09.1997 - Aktenzeichen 1 BvR 1147/97

DRsp Nr. 1998/1094

Räumungsschutz bei Gesundheits- und Lebensgefahr

1. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet die Vollstreckungsgerichte, bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 765a ZPO auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte zu berücksichtigen.2. Eine unter Beachtung dieser Grundsätze vorgenommene Würdigung aller Umstände kann in besonders gelagerten Einzelfällen (hier: Eigenbedarfsklage gegen einen 99-jährigen Mieter, der die Wohnung seit 38 Jahren bewohnt) dazu führen, daß die Vollstreckung für einen längeren Zeitraum und - in absoluten Ausnahmefällen - auf unbestimmte Zeit einzustellen ist.3. Ergibt die erforderliche Abwägung, daß die der Zwangsvollstreckung entgegenstehenden, unmittelbar der Erhaltung von Leben und Gesundheit dienenden Interessen des Schuldners im konkreten Fall ersichtlich schwerer wiegen als die Belange, deren Wahrung die Vollstreckungsmaßnahmen dienen soll, so kann der trotzdem erfolgende Eingriff das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und das Grundrecht des Schuldners aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzen.

Normenkette:

GG Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Art. 20 Abs. 3 ; ZPO § 765a ;

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem Räumungsurteil wegen Suizidgefahr.