Insolvenzmasse

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Bedingt pfändbare Einkünfte

Die Frage der Massezugehörigkeit der in § 850b ZPO aufgelisteten bedingt pfändbaren Ansprüche wird vom BGH nicht einheitlich beantwortet. So wird etwa die Massezugehörigkeit der in § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO genannten Todesfall- oder Sterbegeldversicherung in dem dort genannten Umfang verneint (BGH v. 19.03.2009 – IX ZA 2/09). Die Unpfändbarkeit dieser Ansprüche ergibt sich im Übrigen auch aus deren Zweckbestimmung851 ZPO).

Berufsunfähigkeitsversicherung

Dagegen werden die unter § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO fallenden Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung als massezugehörig angesehen, soweit dies der Billigkeit entspricht (BGH v. 03.12.2009 – IX ZR 189/08; BGH v. 15.07.2010 – IX ZR 132/09).

Berufsunfähigkeitszusatzversicherung

Problematisch ist die mit einer Lebensversicherung kombinierte Berufsunfähigkeitszusatzversicherung ("BUZ") im Hinblick darauf, dass die Kündigung der Lebensversicherung auch die Berufsunfähigkeitsversicherung umfasst. Um der Berufsunfähigkeitsversicherung den gesetzlich normierten Pfändungsschutz zukommen zu lassen, wäre davon auszugehen, dass das Recht zur Kündigung der Lebensversicherung nur dann ausgeübt werden kann, wenn die Voraussetzungen für eine der Billigkeit entsprechende Pfändung vorliegen.

Demgegenüber steht nach Ansicht des BGH die Einheitlichkeit des Vertrags, der zusammen mit einer Kapitallebensversicherung den Abschluss einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung vorsieht, i.d.R. weder der Abtretung von Ansprüchen allein aus der Lebensversicherung noch einer Übertragung des Kündigungsrechts für die Lebensversicherung entgegen (BGH v. 04.12.2009 – V ZR 9/09).

In der Insolvenz des Versicherungsnehmers bedeutet dies, dass der Insolvenzverwalter die mit einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung kombinierte Lebensversicherung kündigen kann, um einen evtl. Rückkaufswert zur Masse zu ziehen, dies auch dann, wenn die Kündigung der Lebensversicherung das Erlöschen der Berufsunfähigkeitsversicherung zur Folge hat.

Billigkeitsprüfung

Die Billigkeitsprüfung i.S.d. § 850b Abs. 2 ZPO, bei der alle in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalls zu würdigen sind, obliegt dem Insolvenzgericht, wenn der Insolvenzverwalter beantragt, bedingt pfändbare Bezüge des Schuldners für pfändbar zu erklären, um sie wie Arbeitseinkommen zur Masse zu ziehen. So kann etwa bei der Bestimmung des pfändbaren Betrags auf den Anlass und die Art der Leistung, die der Schuldner bezieht, deren Höhe sowie die ihm im Fall der Pfändung verbleibenden Bezüge Rücksicht genommen werden. Bezieht er beispielsweise eine Rente wegen Verletzung des Körpers oder der Gesundheit, können von ihm dargelegte erhöhte Bedürfnisse in Rechnung gestellt werden. Sind die Bezüge besonders hoch, kann dies zu einer entsprechend erhöhten Pfändbarkeit führen. Erforderlich ist auch hier eine umfassende und nachvollziehbare Gesamtwürdigung, in die alle in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalls einfließen. Sind keine besonderen Umstände ersichtlich, kann die Pfändbarkeit auch anhand der Freigrenzen des § 850c Abs. 1 ZPO bestimmt werden. Diese Vorschrift, auf die in § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO ausdrücklich verwiesen ist, belegt im Übrigen auch, dass eine Bestimmung der Pfändbarkeit nach billigem Ermessen dem Insolvenzverfahren durchaus nicht fremd ist. Streiten Insolvenzverwalter und Schuldner um die Massezugehörigkeit von bedingt pfändbaren Einkünften des Schuldners oder ist die Frage der Pfändbarkeit im Rahmen eines Anfechtungsprozesses zu beantworten, muss die Billigkeitsentscheidung vom Prozessgericht getroffen werden (BGH v. 03.12.2009 – IX ZR 189/08; BGH v. 15.07.2010 – IX ZR 132/09).

§ 850b ZPO ist nicht nur auf Renten, Einkünfte und Bezüge von Arbeitnehmern und Beamten, sondern auch von anderen Personen, insbesondere Selbständigen, anwendbar (BGH v. 15.07.2010 – IX ZR 132/09).

Taschengeldanspruch

Zu den Ansprüchen i.S.d. § 850b ZPO gehören auch solche des Ehegatten auf Zahlung eines Taschengeldes gegen den anderen Ehegatten (BGH v. 19.03.2004 – IXa ZB 57/03). Der haushaltsführende Ehegatte hat, sofern nicht das Familieneinkommen durch den notwendigen Grundbedarf der Familienmitglieder restlos aufgezehrt wird, gegen den anderen Anspruch auf Zahlung eines Taschengeldes, das i.d.R. 5–7 % des verfügbaren Nettoeinkommens ausmacht (OLG Frankfurt v. 10.09.2008 – 6 UF 1/08).

Altenteil

Auch fortlaufende Bezüge, die ein Schuldner aufgrund eines Altenteils bezieht, sind nach § 850b Abs. 1 Nr. 3 ZPO nur bedingt pfändbar. Zum Begriff des Altenteils vgl. BGH vom 04.07.2007 – VII ZB 86/06.

Sterbegeldversicherung

Ansprüche aus einer nur auf den Todesfall abgeschlossenen Lebensversicherung (Sterbegeldversicherung) sind, auch wenn die Versicherungssumme 5.400 € übersteigt, nach § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO insoweit unpfändbar, als sie sich auf der Grundlage einer diesen Betrag nicht übersteigenden Versicherungssumme ergeben (BGH v. 12.12.2007 – VI ZB 47/07). In diesem Umfang gehören die Ansprüche aus einer solchen Versicherung nicht zur Insolvenzmasse. Zur Berechnung des Rückkaufswerts vgl. AG Erfurt vom 24.02.2021 – 5 C 2091/19.

Ansprüche gegen private Krankenversicherung

Ein Anspruch des insolvent gewordenen Versicherungsnehmers gegen seine private Krankenversicherung auf Erstattung von Heilbehandlungskosten fällt in die Ist-Masse, auch wenn der Anspruch nach § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO nur bedingt pfändbar ist (LG Köln v. 08.10.2003 – 23 S 48/03). Nicht betroffen ist dagegen der Versicherungsvertrag selbst ("Stammrecht"); er kann demnach nicht vom Insolvenzverwalter gekündigt werden. Ausgezahlte Beihilfen des Dienstherren für Aufwendungen im Krankheitsfall gehören zur Insolvenzmasse eines Beamten, der Anspruch auf diese Leistung jedoch erst, wenn sich seine Zweckbindung zugunsten des Gläubigers, dessen Forderung als Aufwand der konkreten Beihilfegewährung zugrunde liegt, erledigt hat (BGH v. 08.11.2007 – IX ZB 221/03). Nach Ansicht des BGH (v. 19.02.2014 – IV ZR 163/13) entspricht es nicht der Billigkeit i.S.d. § 850b ZPO, dass Gläubiger des Schuldners auf zukünftige Erstattungsleistungen des Krankheitskostenversicherers zugreifen dürfen, die ausschließlich der Abdeckung neu entstandener tatsächlicher krankheitsbedingter Aufwendungen dienen.