Die fünf insolvenzrechtlichen Corona-Maßnahmen im Überblick

Mit dem sogenannten COVD-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) (vergleiche Artikel 1 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID- 19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht, BGBl I v. 27.03.2020, S. 569 f.) soll durch eine Reihe von Sofortmaßnahmen eine infolge der Corona-Pandemie drohende Insolvenzwelle bei Unternehmen und insbesondere bei Startups vermieden werden.

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Das Gesetz sieht im Bereich des Insolvenzrechts im Wesentlichen fünf Maßnahmen vor:

1.Teilweise Aussetzung der Regelung zur Anmeldung der Insolvenz

Die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler einer juristischen Person sind verpflichtet, ohne schuldhaftes Zögern, spätestens nach drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Eröffnungsantrag zu stellen, wenn die juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet wird, § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO.

Diese Verpflichtung trifft gem. § 15a Abs. 2 Satz 2 InsO auch die organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter oder die Abwickler bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist.

Entsprechendes gilt für Vorstände von Vereinen.

Zu beachten ist dabei, dass es sich bei der genannten Frist um eine Höchstfrist handelt.

Geschäftsleiter, die folglich keinen oder jedenfalls keinen rechtzeitigen Insolvenzantrag stellen, haften für die aus der Pflichtverletzung resultierenden Schäden persönlich.

Die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO ist darüber hinaus strafbewehrt.

Die haftungsbewehrte und teilweise auch strafbewehrte dreiwöchige Insolvenzantragspflicht wird rückwirkend vom 01.03.2020 vorübergehend bis zum 30.09.2020 ausgesetzt. Die Rückwirkung soll verhindern, dass die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für einige Unternehmen bereits zu spät kommen kann.

Dies gilt jedoch nur für Fälle, in denen die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht. Zudem soll erforderlich sein, dass Aussichten auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen. Antragspflichtige Unternehmen sollen die Gelegenheit erhalten, ein Insolvenzverfahren durch Inanspruchnahme staatlicher Hilfen, gegebenenfalls aber auch im Zuge von Sanierungs- oder Finanzierungsvereinbarungen, abzuwenden.

Die Regelung über die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gilt zunächst für die Unternehmen, deren Antragspflicht sich unmittelbar aus der Regelung des § 15a InsO ergibt. Sie gilt aber auch für Unternehmen, deren Antragspflicht, aus einem Verweis auf die diese Regelung folgt.

Ist der Schuldner eine natürliche Person, so kann auf die Verzögerung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Zeitraum 01.03. bis 30.09.2020 keine Versagung der Restschuldbefreiung gestützt werden.

2. Regelungen zur Geschäftsführerhaftung für Auszahlungen trotz Insolvenzreife

Hierzu enthält § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG eine Regelung:

Dieser regelt eine vorübergehende Aussetzung der gesellschaftsrechtlichen Zahlungsverbote, die beispielsweise aus § 64 GmbHG folgen, nach Eintritt der materiellen Insolvenz, die die Geschäftsführung verpflichten, der Gesellschaft die Zahlungen zu ersetzen, welche nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden.

Nach der Neuregelung gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 64 Satz 2 GmbHG, § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG,

§ 130a Abs. 1 Satz 2 HGB und § 99 Satz 2 GenG).

Geschäftsleiter haften während der Aussetzung der Insolvenzantragspflichten nur eingeschränkt für Zahlungen, die sie nach Eintritt der Insolvenzreife des Unternehmens vornehmen.

Insbesondere erfasst werden sollen Zahlungen, die der Aufrechterhaltung bzw. Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs oder auch der Umsetzung eines Sanierungskonzeptes dienen.

Insoweit sind die bisher strengen Grenzen aufgeweicht und die nun zulässigen Zahlungen gehen deutlich über das hinaus, was bisher möglich war. So werden auch rückständige Lieferantenrechnungen in laufender Geschäftsbeziehung und bei bestehender Abhängigkeit bezahlt werden können. Auch können Investitionen getätigt werden.

Es bleibt jedoch das Risiko der persönlichen Haftung in allen Fällen, in denen Gläubiger über die Situation des Schuldners getäuscht werden und dadurch einen Schaden erleiden. Es bleibt auch die Haftung gegenüber den Sozialversicherungsträgern und den Finanzämtern.

Auch die strafrechtlichen Tatbestände wie Bankrott nach § 283 StGB und Gläubigerbegünstigung nach § 283c StGB bleiben unberührt.

3. Behandlung von Krediten

Um die betroffenen Unternehmen nicht von der Kreditvergabe abzuschneiden, sind wesentliche Erleichterungen für die Rückzahlung von Krediten vorgesehen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG).

Demnach ist die bis zum 30.9.2023 erfolgende Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraum gewährten neuen Kredits sowie die im Aussetzungszeitraum erfolgte Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite als nicht gläubigerbenachteiligend (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG).

Der Anwendungsbereich der Regelungen erfasst sämtliche Arten von Krediten sowie jeden Kreditnehmer, nicht nur denjenigen, für den die Antragspflicht ausgesetzt ist. Nach der Gesetzesbegründung unterfallen der Regelung auch Warenkredite und andere Formen der Leistungserbringung auf Zeit.

Zu beachten ist insoweit, dass es sich um neue Kredite bzw. eine neue Liquiditätshilfe handeln muss. Umgehungsgeschäfte, bei denen nur eine „Neuverpackung“ einer bereits gewährten Hilfe erfolgt, ist nicht möglich.

Unter den Voraussetzungen des § 1 COVInsAG erfolgte Kreditgewährungen und Besicherungen im Aussetzungszeitraum sind zudem nicht als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung anzusehen  (§ 2  Abs. 1 Nr. 3 COVInsAG). Insoweit verweisen wir auch auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (z.B. BGH, Urt. v. 12.04.2016 - XI ZR 305/14).

Von dieser Regelung werden nicht nur neue Kredite, sondern auch Prolongationen und Novationen erfasst sein. Dies ist anders als in § 2 Abs. 1   Nr. 2 COVInsAG.

Die Rückzahlung dieser Darlehen ist nur bis einschließlich zum 30.09.2023 privilegiert.

Die Anwendung des § 2 Abs. 1 Nr. 2 und 3 COVInsAG ist auch auf Kredite und Kreditgeber, die im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme vergeben werden, erstreckt und dehnt insoweit die Fristen zeitlich sogar weiter aus (vgl. § 2 Abs. 3 COVInsAG). Für sie gilt der Anfechtungsausschluss auch, wenn der Kredit nach dem Ende des Aussetzungszeitraums gewährt oder besichert wird; von der Einschränkung des Ausschlusses des § 135 Abs. 1   Nr. 2 InsO auf Verfahren, die bis zum 30.09.2023 beantragt wurden, sind sie ebenfalls befreit. Die Schuldner haften insoweit unbefristet für deren Rückgewähr, ohne dass eine Anfechtung in Betracht käme.

4. Modifizierung der Anfechtungsrechte des Insolvenzverwalters

Die Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVIDInsAG modifiziert die Regelungen zur Insolvenzanfechtung.

Kongruente Deckungen (§ 130 oder § 133 InsO) aus der Zeit des Stillstands sind in aller Regel unanfechtbar.

Anfechtungsfrei sind nämlich Rechtshandlungen, die dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht haben, die dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte.

Dies gilt jedoch nicht, wenn dem anderen Teil bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind.

Hiermit werden Vertragspartner aus Dauerschuldverhältnissen wie Vermieter sowie Leasinggeber, aber auch Lieferanten geschützt.

Es reicht damit aus, die wirtschaftliche Lage des Schuldners schlicht nicht zur Kenntnis zu nehmen, um in den Schutzbereich der Norm zu kommen. Die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder von einer Reihe von Beweisanzeichen, die für einen Benachteiligungsvorsatz des Schuldners sprechen könnten, schaden nicht. Für die Anfechtung kongruenter Deckungen bleibt damit praktisch nichts über.

§ 2 Abs. 4 Satz 2 Buchst. a)–e) COVInsAG erweitert den Schutz vor der Anfechtung nach § 131 oder § 133 InsO auf bestimmte inkongruente Deckungen, die im Folgenden enumerativ aufgeführt sind.

Es bleibt nur die Anfechtung bestimmter in der Aufzählung des zweiten Satzes nicht genannter inkongruenter Deckungen.

Geschützt sein sollen:

  • Leistungen an Erfüllung statt oder erfüllungshalber, wozu etwa Forderungsabtretungen statt Barzahlungen u.Ä. gehören;
  • Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisung des Schuldners, weil solche der Leistung des Geschuldeten wirtschaftlich gleichstehen;
  • die Bestellung einer anderen als der ursprünglich vereinbarten Sicherheit, wenn diese nicht werthaltiger ist, um damit die betriebswirtschaftliche sinnvolle Verwendung von Sicherungsgegenständen durch die Schuldnerin oder den Schuldner nicht zu behindern;
  • die Verkürzung von Zahlungszielen, um damit Vertragspartnern einen weitergehenden Anreiz für eine Fortsetzung der Vertragsbeziehungen zu bieten;
  • die Gewährung von Zahlungserleichterungen aus den vorstehend genannten Gründen.

Dieses Anfechtungsverbot wird allerdings eingeschränkt, wenn dem anderen Teil bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Insolvenzschuldners nicht zur Beseitigung der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind.

Das heißt:

Nach dem COVInsAG ist eine Insolvenzanfechtung nur dann möglich, wenn dem anderen Teil bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind. Wann dies der Fall ist, regelt das Gesetz nicht. Es ist jedoch anzunehmen, dass hierunter insbesondere solche Konstellationen fallen, bei denen der Gläubiger weiß, dass der Schuldner über einen „Berg an Alt-Verbindlichkeiten“ verfügt, der mögliche staatliche Hilfsmaßnahmen vollständig aufzehren wird. Die Beweislast für eine derartige Ausnahme liegt dann beim Insolvenzverwalter, für den dies durchaus eine hohe Hürde darstellen dürfte.

5. Einschränkung der Gläubigerrechte

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund eines Gläubigerinsolvenzantrags, der zwischen dem Tag nach der Verkündung des Gesetzes (d.h. am 28.03.2020; Art. 6 Abs. 3) und dem drei Monate nach dem Datum liegenden Tag, also dem 28.06.2020, gestellt worden ist/wird, setzt voraus, dass der Eröffnungsgrund bereits am 01.03.2020 vorlag (§ 3 COVInsAG). Dies ist eine Einschränkung für Gläubigeranträge, die nicht nur für Schuldner gilt, bei denen es eine Antragspflicht gibt, sondern für sämtliche Schuldner.

Die Regelung, die nach ihrem Wortlaut für alle Arten von Gläubigeranträgen – mithin auch für Anträge, die Verbraucher betreffen – gilt, führt zu einem faktischen Ausschluss von Gläubigeranträgen für die Dauer von drei Monaten. Kaum ein Gläubiger ist in der Lage, den Nachweis zu führen, dass der Eröffnungsgrund schon vor dem 01.03.2020 vorgelegen hat.

So erhalten die betroffenen Unternehmen Zeit für die Sanierungsbemühungen und Verhandlungen mit ihren Gläubigern.

Die Regelung ist jedoch nach der Begründung nicht auf außerhalb der Insolvenzordnung geregelte Antragsrechte der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und der zuständigen Aufsichtsbehörden anzuwenden (vgl. § 46b Abs. 1 KWG und § 312 Abs. 1 Versicherungsaufsichtsgesetz – VAG).

Becker / Brechmann

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