29.1.5 Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren erster Instanz (Nr. 4106, 4112 oder 4118 VV RVG)

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29.1.5.3 Haftzuschlag

Die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren erster Instanz kann mit Haftzuschlag anfallen. Hierfür ist lediglich erforderlich, dass der (eigene) Mandant sich zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb dieses Verfahrensabschnitts (also ab Eingang der Anklageschrift oder Antragsschrift beim Gericht bis zur mündlichen Verkündung des Urteils erster Instanz) in Haft befindet (OLG Celle, StraFo 2008, 443 = AGS 2008, 490 = StRR 2009, 38 = RVGreport 2009, 427; OLG Hamm, RVGreport 2009, 149 = StRR 2009, 39). Der Haftzuschlag soll die Mehrarbeit des Verteidigers vergüten, welche sich für ihn daraus ergibt, dass sich sein Mandant in Haft befindet. Der Mandant muss sich nach wohl h.M. nicht in derselben Sache in Haft befinden, in welcher der Haftzuschlag abgerechnet werden soll (OLG Düsseldorf, AGS 2011, 227 = JurBüro 2011, 197 = RVGreport 2011, 143 = RVGprofessionell 2011, 61; OLG Hamm, RVGreport 2010, 27 = AGS 2010, 17; a.A. OLG Hamm, JurBüro 2005, 535).

Entstehen des Haftzuschlags

Es ist für das Entstehen des Haftzuschlags nach h.M. ausreichend, wenn sich der Mandant aus irgendeinem Grunde in Haft befindet. Damit ist nicht nur Haft i.S.d. Vorliegens eines richterlichen Haftbefehls gemeint, sondern es genügt auch jede sonstige staatlich angeordnete Freiheitsentziehung (wenn diese auch ggf. nur für sehr kurze Zeit erfolgt). Voraussetzung ist aber, dass die Freiheitsentziehung nicht nur angeordnet wurde, sondern auch tatsächlich erfolgt ist.

Ausreichend ist Untersuchungshaft, Strafhaft (LG Berlin, RVGreport 2011, 226 = StRR 2011, 4), Sicherungsverwahrung, Hauptverhandlungshaft nach § 230 Abs. 2 StPO, Unterbringung nach §§ 63 oder 64 StGB, einstweilige Unterbringung nach § 126a StPO, Unterbringung nach den PsychKGs der Bundesländer, Auslieferungs- oder Abschiebehaft, Polizeigewahrsam, vorläufige Festnahme nach §§ 127 ff. StPO (KG, StraFo 2006, 472 = RVGreport 2006, 310 = AGS 2006, 545; StraFo 2007, 482 = RVGreport 2007, 463 = StRR 2007, 359 = AGS 2008, 31; AGS 2008, 32), und eine Unterbringung nach § 72 Abs. 4 i.V.m. § 71 Abs. 2 JGG (OLG Jena, StraFo 2003, 219 = AGS 2003, 313; LG Düsseldorf, AGS 2014, 178).

Auch eine Anordnung zum Aufenthaltsort des Jugendlichen nach § 71 Abs. 1 JGG soll ausreichen (Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Vorbem. 4 VV Rdnr. 112). Ebenfalls reicht ein Übergangswohnheim zur Vorbereitung der Haftentlassung aus (OLG Jena, AGS 2009, 385 = NStZ-RR 2009, 224).

Der Haftzuschlag fällt auch dann an, wenn sich der Mandant im offenen Vollzug befindet (KG, StraFo 2007, 483 = AGS 2007, 619 = RVGreport 2007, 462 = StRR 2007, 359 = JurBüro 2007, 644; OLG Jena, AGS 2009, 385 = NStZ-RR 2009, 224; OLG Stuttgart, AGS 2010, 429 = RVGreport 2010, 388 = RVGprofessionell 2010, 169), dies auch bei weiteren Erleichterungen wie beispielsweise gewährtem Hafturlaub.

Nicht ausreichend ist hingegen ein außer Vollzug gesetzter Untersuchungshaftbefehl, wenn der Mandant auch tatsächlich aus der Haft entlassen worden ist. Der Haftzuschlag fällt auch dann nicht an, wenn sich der Mandant einer freiwilligen stationären Drogentherapie/Alkoholtherapie (z.B. nach §§ 35, 36 BtMG) unterzieht oder wenn er sich in betreutem Wohnen befindet.