Die fiktive Abrechnung in der Unfallregulierung – die besten Praxistipps für Rechtsanwälte

Jeden Tag ereignen sich ca. 7.000 Verkehrsunfälle in Deutschland. Für den Geschädigten stellen sich dann schnell die Fragen „Was ist jetzt zu tun?“, „Wer ist zu benachrichtigen?“ Die Praxis der Unfallregulierung ist dabei nicht nur für Geschädigte, sondern auch für Rechtsanwälte nicht einfach zu überblicken. Daher soll dieser Artikel unserer Gastautorin Nadja Wollangk zunächst einen groben Überblick über die beiden Möglichkeiten der Regulierung, nämlich die fiktive und die konkrete Abrechnung, geben.

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Die fiktive Abrechnung als Herzstück des Verkehrszivilrechts

Die fiktive Abrechnung des Fahrzeugschadens nach einem Unfall ist ein Herzstück des Verkehrszivilrechts im Haftpflichtbereich.

Nachfolgend wird näher darauf eingegangen werden, was von der fiktiven Schadensabrechnung erfasst ist und wo genau die einzelnen Probleme liegen. Dabei soll zunächst von Reparaturschäden, auch von denen im Bereich der 130 Prozent Regelung, ausgegangen und abschließend dann auf die Totalschadenfälle eingegangen werden.

Fiktive Schadensabrechnung vs. konkrete Abrechnung

Das Gegenteil zur fiktiven Abrechnung ist die sogenannte konkrete Abrechnung, die aufgrund der Vorlage einer Reparaturrechnung erfolgt. Viele Probleme der fiktiven Abrechnung sind durch die Vorlage der Reparaturrechnung von vornherein nicht gegeben. Denn wenn die Haftung zu 100% besteht – und davon soll im Folgenden ausgegangen werden – muss die Versicherung das regulieren, was die Reparaturrechnung ausweist. Streitig sind in diesem Zusammenhang gegebenenfalls noch die Dauer des Nutzungsausfalls und die Wertminderung.

Die meisten Probleme treten hauptsächlich im Rahmen der fiktiven Abrechnung auf, weshalb sie auf diesen Seiten eingehender behandelt werden.

Zuvor sollen aber die folgenden Fragen näher beleuchtet werden, die ebenfalls von zentraler Bedeutung sind:

Wer ist Anspruchsinhaber, vor allem wenn das Fahrzeug finanziert oder geleast ist?

Anspruchsinhaber ist immer der Eigentümer des Fahrzeugs und damit derjenige, der im Kaufvertrag steht. Viele gehen irrig davon aus, dass der Halter auch Eigentümer ist. Darauf, wer als Halter im Fahrzeugschein eingetragen ist, kommt es aber gerade nicht an. Eigentümer, Halter und Versicherungsnehmer können verschiedene Personen sein. Auch in den Schadengutachten wird nahezu immer der Halter als Auftraggeber angegeben. Vor allem für die erfolgreiche gerichtliche Geltendmachung kommt es aber ausschließlich auf denjenigen an, der im Kaufvertrag steht – den Eigentümer.

Wurde das Fahrzeug nur finanziert, bleibt der Darlehensnehmer Eigentümer des Fahrzeugs und damit in aller Regel auch Anspruchsinhaber. Anderes kann sich aus den Finanzierungsbedingungen ergeben.

Anders ist es, wenn das Fahrzeug geleast ist. Dann ist und bleibt der Leasinggeber Eigentümer, mit der Folge, dass der Fahrzeugschaden (Reparaturkosten) zuzüglich der Wertminderung dem Leasinggeber zustehen, während die Kostenpauschale und der Nutzungsausfall vom Leasingnehmer beansprucht werden können.

Soll für die fiktive Abrechnung ein Gutachten oder doch besser ein Kostenvoranschlag eingeholt werden?

Die Antwort auf diese Frage erhalten Sie in diesem weiterführenden Beitrag über die fiktive Abrechnung nach Gutachten und nach Kostenvoranschlag. Klicken Sie hier.

Fiktive Abrechnung und Reparatur: Wann darf/kann repariert werden?

Eine brauchbare Fotodokumentation ist auch für eine weitere oft vom Geschädigten gestellte Frage wesentlich, nämlich ob bzw. wann das Fahrzeug repariert oder verkauft werden darf/kann.

Hat ein Sachverständiger Fotos angefertigt, die auch digital zur Verfügung stehen, steht einer unverzüglichen Reparatur bzw. einem unverzüglichen Verkauf nichts im Weg. Die Fotos ermöglichen sowohl der Versicherung als auch einem ggf. gerichtlich bestellten Sachverständigen unter Umständen noch nach Jahren eine Bewertung des Schadenumfangs und der Schadenhöhe vorzunehmen.

Anders sieht es aus, wenn keine Fotos oder nur normale angefertigt wurden. Der Geschädigte muss immer beweisen, welcher konkrete und abgrenzbare Schaden in welcher Höhe aus dem Unfallereignis entstanden ist. Liegen keine digitalen Fotos vor, kann das Fahrzeug schlimmstenfalls nicht repariert werden, bevor die Versicherung oder später im Verfahren der gerichtlich bestellte Sachverständige das Fahrzeug besichtigt haben. Gleiches gilt für den Verkauf des Unfallfahrzeugs.

Welche Schadenspositionen werden erstattet?

Im deutschen Recht werden im Rahmen der fiktiven Abrechnung grundsätzlich alle Schadenpositionen erstattet, die auch bei der konkreten Abrechnung erstattet werden, mit Ausnahme der Mehrwertsteuer. Ist der Geschädigte zum Vorsteuerabzug berechtigt, wird der Schaden auch bezüglich der Sachverständigen- und Rechtsanwaltskosten stets nur netto reguliert.

Die Mehrwertsteuer wird immer nur dann erstattet, wenn sie auch tatsächlich angefallen ist. Angefallen ist sie, wenn der Geschädigte durch Vorlage einer Reparaturrechnung nachweist, dass er den auf die tatsächlichen Reparaturkosten angefallene Mehrwertsteuer bezahlt hat.

Hinweis: Zu beachten ist hier die neuere BGH-Rechtsprechung: „Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, kann er den Ersatz von Umsatzsteuer nicht verlangen. Dies gilt auch dann, wenn im Rahmen einer durchgeführten Reparatur tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig (hier: Teilreparatur zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit des Unfallfahrzeugs).” BGH, Urteil vom 5. April 2022 - VI ZR 7/21

 

Zu den erstattungsfähigen Schadenpositionen gehören grundsätzlich

1. Reparaturkosten

Reparaturkosten sind die zur Wiederherstellung erforderlichen Kosten, die entweder durch ein Sachverständigengutachten oder einen Kostenvoranschlag ermittelt werden.

In aller Regel werden die Versicherungen die eingereichten Gutachten, unter dem Hinweis auf die dem Geschädigten obliegende Schadenminderungspflicht, einer Prüfung unterziehen, um zu ermitteln, ob alle aufgeführten Kosten auch wirklich unfallbedingt entstanden und deren Beseitigung erforderlich sind. Nur in seltenen Fällen regulieren Versicherungen 1:1 entsprechend dem eingereichten Gutachten. Zu den immer wieder gestrichenen Positionen gehören die Stundenverrechnungssätze, Verbringungskosten, Kosten der Beilackierung und UPE-Aufschläge (Ersatzteilaufschläge).

2. Kostenpauschale

Nach einem Unfall muss der Geschädigte unter Umständen einigen Aufwand betreiben, um die Versicherung des Unfallgegners in Erfahrung zu bringen, seinen Schaden zu melden, sowohl die von der gegnerischen Versicherung als auch unter Umständen von der eigenen Versicherung übersandten Fragebögen auszufüllen und zurückzusenden. Für diese Aufwendungen erstattet die gegnerische Versicherung dem Geschädigten die sogenannte Unkostenpauschale, die sich auf 20,00 € bis 25,00 € beläuft. Außergerichtlich zahlen viele Versicherungen noch die 25,00 €. Richter sprechen in aller Regel lediglich noch 20,00 € zu und begründen dies damit, dass den Geschädigten aufgrund von mittlerweile üblichen Telefonflatrates keine höheren Kosten mehr entstehen.

3. Sachverständigenkosten

Sofern der Schaden nicht im Bagatellschadenbereich (s.o.), das heißt bis 1.000,00 € liegt, darf der Geschädigte einen Sachverständigen seiner Wahl mit der Erstellung eines Schadengutachtens beauftragen. Die Versicherung ist verpflichtet die dadurch entstandenen Kosten ebenfalls vollumfänglich zu erstatten. Aber auch hier kürzen Versicherer mit der immer wieder gleichen Begründung und dem Hinweis auf überhöhte Sachverständigenkosten.

4. Tankkosten (nur im Totalschadenfall)

Oftmals verfügen Fahrzeuge, die aufgrund eines Totalschadens nicht mehr fahrfähig sind, noch über einen vollen Tank. Da sie nicht mehr fahrfähig sind, kann der Kraftstoff nicht verbraucht werden. Daher stellt sich die Frage, ob der Geschädigte auch einen Anspruch auf Erstattung der Tankkosten hat.

Versicherungen lehnen eine Erstattung mit dem Hinweis darauf ab, dass die Tankkosten Teil des Wiederbeschaffungs- bzw. Restwertes sind, weil sowohl Neu- als auch Gebrauchtfahrzeuge mit Tankinhalt veräußert werden. Meines Erachtens überzeugt diese Argumentation schon daher nicht, da Fahrzeuge immer nur mit einem minimalen Tankinhalt verkauft werden. Gerade wenn das verunfallte Fahrzeug direkt vor dem Unfall vollgetankt wurde, erwirbt der Geschädigte bei Kauf eines Ersatzfahrzeuges kein entsprechendes Äquivalent.

Zu beachten ist, dass eine pauschale Geltendmachung der Tankkosten nicht in Betracht kommt. Allenfalls wenn der Geschädigte die Tankquittung vorlegen und konkret angeben kann, wieviel Liter sich noch im Tank befanden, kann die Geltendmachung erfolgreich sein.

5. Bereitstellungskosten

Muss der Sachverständige für die Besichtigung des Fahrzeugs und damit die Erstellung des Gutachtens eine Hebebühne in Anspruch nehmen, berechnet die Werkstatt dafür entsprechende Bereitstellungskosten. Diese Bereitstellungskosten werden von den Haftpflichtversicherungen reguliert.

Nadja Wollangk, Rechtsanwältin & Fachanwältin für Verkehrsrecht in Berlin

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