Familienrecht -

Zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu heimlichen Vaterschaftstests und zum Recht auf Klärung der Abstammung (Urteil vom 13.02.2007 – 1 BvR 421/05)

Ein heimlich eingeholter Vaterschaftstest darf im gerichtlichen Verfahren nicht verwertet werden. Der Gesetzgeber muss aber zur Verwirklichung des Rechts des rechtlichen Vaters auf Kenntnis der Abstammung seines Kindes von ihm Verfahren allein zur Feststellung der Vateschaft bereitstellen.

Der Verfassungsbeschwerde lag der Fall einer Vaterschaftsanfechtungsklage zugrunde, die auf einen heimlich eingeholten DNA-Vaterschaftstest gestützt war. Die Zivilgerichte hatten die Verwertung des Gutachtens als Beweismittel abgelehnt.

I. Problemlage

Eine schlüssige Vaterschaftsanfechtungsklage erfordert die Darlegung konkreter Anhaltspunkte, welche die Annahme zulassen, dass das Kind nicht vom Scheinvater abstammt. In der familienrechtlichen Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, welche Anforderungen an die Schlüssigkeit und Substantiierung des Vortrags zu stellen sind, mit dem im Anfechtungsverfahren Zweifel an der Vaterschaft dargelegt werden müssen. Der BGH hat dazu wiederholt ausgeführt, die schlichte Behauptung, nicht leiblicher Vater des Kindes zu sein, reiche nicht aus. Vielmehr müsse der Anfechtende Umstände vortragen, die objektiv geeignet seien, Zweifel an der Abstammung des Kindes zu wecken (vgl. BGH, Urteil vom 22.04.1998 - XII ZR 229/96 -, NJW 1998, 2976; Urteil vom 30.10.2002 - XII ZR 345/00 -, NJW 2003, 585). Dies sei erforderlich, um das betroffene Kind vor Klagen ins Blaue hinein zu bewahren (vgl. BGH, NJW 1998, 2976).

Moderne Untersuchungsmethoden machen es seit einiger Zeit möglich, erheblich präziser als mit früher angewandten Verfahren und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit festzustellen, ob ein Kind von dem Mann, der rechtlich als sein Vater gilt, abstammt. Mittlerweile werden solche "Vaterschaftstests" auch von privaten Laboren zu erschwinglichen Preisen für jedermann angeboten. Dies ermöglicht es Männern, die Zweifel an ihrer Vaterschaft hegen, mit Hilfe kleinster, vom Kind und von sich genommener Körperpartikel als genetische Untersuchungsproben auch heimlich und ohne Wissen des Kindes und seiner Mutter oder gar gegen deren Willen eine solche Untersuchung in Auftrag zu geben und hierdurch zu erfahren, ob ihre Zweifel an ihrer Vaterschaft begründet sind.

II. Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Verwertbarkeit heimlicher DNA-Gutachten

Der BGH hatte sich in zwei Verfahren mit der Frage zu befassen, ob der Vortrag einer Vaterschaftsanfechtungsklage auf das Ergebnis eines heimlich durchgeführten Vaterschaftstests gestützt werden kann. Dies hat der BGH (FamRZ 2005, 340 und FamRZ 2005, 342) dahingehend entschieden, dass heimlich veranlasste Vaterschaftstests rechtswidrig und die aus solchen Tests gewonnenen Erkenntnisse zur Darlegung eines für die Schlüssigkeit der Vaterschaftsanfechtungsklage erforderlichen Anfangsverdachts nicht geeignet seien. Hiergegen hat einer der betroffenen Anfechtungskläger Verfassungsbeschwerde eingelegt.

III. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Die Entscheidung des BVerfG vom 13.02.2007 lässt sich auf folgende Grundaussagen zusammenfassen:

1. Heimliche Vaterschaftstests sind rechtswidrig

Ein heimlich eingeholter Vaterschaftstest verletzt das Persönlichkeitsrecht des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausformung als informationelles Selbstbestimmungsrecht und das von Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Sorgerecht der Mutter.

Das von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasste Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1, 43). Zu diesen grundrechtlich geschützten Daten gehören auch solche, die Informationen über genetische Merkmale einer Person enthalten, aus denen sich durch Abgleich mit den Daten einer anderen Person Rückschlüsse auf die Abstammung ziehen lassen (vgl. BVerfGE 103, 21, 32). Zwar muss der Einzelne Einschränkungen dieses Rechts hinnehmen, die im überwiegenden Interesse anderer oder der Allgemeinheit liegen. Solche Beschränkungen bedürfen jedoch einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen ergeben und die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht (vgl. BVerfGE 65, 1, 44).

Auch der Sorgerechtsinhaber ist vor ungewollten Zugriffen auf das genetische Datenmaterial eines Kindes zu schützen. Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistet den Eltern das Recht und die Verantwortung, Sorge für ihr Kind zu tragen. Zur elterlichen Sorge gehört auch, im Interesse des Kindes darüber zu entscheiden, ob jemand genetische Daten des Kindes erheben und verwerten darf. Um dem Sorgeberechtigten hierbei den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz zukommen zu lassen, kann von der Rechtsordnung nicht toleriert werden, dass ein heimlich eingeholter Vaterschaftstest der Kenntniserlangung über die Abstammung eines Kindes dient.

2. Recht auf Kenntnis der Abstammung

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet sowohl das Recht des Mannes auf Kenntnis der Abstammung des ihm rechtlich zugeordneten Kindes als auch die Verwirklichung dieses Rechts.

Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde sichern jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann (vgl. BVerfGE 35, 202, 220). Verständnis und Entfaltung der Individualität sind dabei mit der Kenntnis der für sie konstitutiven Faktoren eng verbunden, wozu auch die Abstammung zählt (vgl. BVerfGE 79, 256,268). Sie nimmt im Bewusstsein des Einzelnen eine Schlüsselstellung für seine Individualitätsfindung wie für sein Selbstverständnis und sein familiäres Verhältnis zu anderen ein. Die Möglichkeit, sich als Individuum nicht nur sozial, sondern auch in Bezug auf die Abstammung in eine Beziehung zu anderen zu setzen, wird deshalb vom Schutz des Persönlichkeitsrechts mit umfasst und begründet ein Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung ebenso wie es einem Mann das Recht auf Kenntnis einräumt, ob ein Kind von ihm abstammt (vgl. BVerfGE 108, 82, 105).

3. Verwirklichung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung

Zum Recht eines Mannes auf Kenntnis, ob ein Kind von ihm abstammt, gehört auch das Recht, die Möglichkeit eröffnet zu bekommen, in einem Verfahren die Abstammung eines Kindes von ihm klären und feststellen zu lassen. Zwar verleiht das Persönlichkeitsrecht kein Recht auf Verschaffung von Kenntnissen, es schützt aber vor der Vorenthaltung erlangbarer Informationen (vgl. BVerfGE 79, 256, 269). Dieser Schutz ist nur dann gewährleistet, wenn ein Verfahren eröffnet ist, das einem Mann Zugang zu den ihm vorenthaltenen Informationen ermöglicht, die für die Kenntnis der Abstammung eines Kindes von ihm erforderlich sind. Zwar wird das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht schrankenlos gewährt, sondern unterliegt der gesetzgeberischen Ausgestaltung. Unterlässt der Gesetzgeber es jedoch, die Verwirklichung des Grundrechts auf Kenntnis der Abstammung in einem dafür geeigneten Verfahren zu ermöglichen, liegt in diesem Unterlassen ein Grundrechtsverstoß, denn die Grundrechte enthalten nicht nur Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber der öffentlichen Gewalt, sondern stellen zugleich Wertentscheidungen der Verfassung dar, aus denen sich Schutz- und Handlungspflichten für die staatlichen Organe ergeben.

4. Derzeitige Rechtslage unzureichend

a) Faktische Möglichkeit der Kenntniserlangung bietet keinen hinreichenden Schutz

Die derzeitige Rechtslage stellt zur Verwirklichung des Grundrechts auf Kenntnis der Abstammung kein geeignetes Verfahren zur Verfügung. Für einen Mann, der bei Zweifeln an seiner Vaterschaft für ein Kind klären möchte, ob dieses von ihm abstammt, besteht zwar die Möglichkeit, auf privatem Wege mit Einwilligung des Kindes beziehungsweise seiner sorgeberechtigten Mutter unter Verwendung auch von Genmaterial des Kindes ein Vaterschaftsgutachten einzuholen und dadurch Kenntnis über die Abstammung zu erlangen. Dieser Weg ist jedoch allein vom Willen anderer abhängig und rechtlich verschlossen, wenn Kind oder Mutter ihre Einwilligung verweigern. Diese faktische Möglichkeit, sich privat Kenntnis von der biologischen Vaterschaft zu verschaffen, reicht nicht aus, den gebotenen Schutz zukommen zu lassen. Dies zeigt sich gerade dann, wenn die Einwilligung vom Kind bzw. der Mutter zur Einholung eines Vaterschaftsgutachtens fehlt.

b) Vaterschaftsanfechtungsverfahren verfolgt andere Zielrichtung

Das Vaterschaftsanfechtungsverfahren nach §§ 1599 Abs. 1, 1600 BGB verfolgt eine andere Zielrichtung und ist kein Verfahren, das dem Recht des Vaters allein auf Kenntnis der Abstammung des Kindes von ihm in verfassungsgemäßer Weise Rechnung trägt. Denn es beendet die rechtliche Vaterschaft, wenn sich im Verfahren erweist, dass das Kind nicht von seinem rechtlichen Vater abstammt. Dabei kommt es zwar auch zur Klärung der Vaterschaft. Wegen seines überschießenden Zieles der rechtlichen Trennung vom Kind wird aber das Anfechtungsverfahren nicht dem Recht eines Mannes auch auf bloße Kenntnis der Abstammung eines Kindes von ihm gerecht. Der Wunsch eines rechtlichen Vaters kann sich allein darauf richten, zu wissen, ob das Kind wirklich von ihm abstammt, ohne zugleich seine rechtliche Vaterschaft aufgeben zu wollen. Auch die gesetzlichen Voraussetzungen, unter denen die Vaterschaft angefochten werden kann, sind, bezogen auf die Verfolgung des Interesses, Kenntnis von der Abstammung seines Kindes zu erlangen, unverhältnismäßig.

Geht es lediglich um die (rechtsfolgenlose) Verfolgung dieses Ziels der Kenntniserlangung von der Abstammung, steht diesem Recht des Vaters kein entsprechend gewichtiges, schützenswertes Interesse von Kind und Mutter gegenüber. Daher wäre es nicht gerechtfertigt, ein Verfahren zur Klärung und Feststellung der Abstammung an dieselben Darlegungslasten und Fristen zu binden, die für die Anfechtungsklage maßgeblich sind. Wegen der Rechtsfolgenlosigkeit reicht es zur Eröffnung eines solchen Verfahrens – das gerade kein Vaterschaftsanfechtungsverfahren ist - aus, wenn der rechtliche Vater Zweifel an der Abstammung des Kindes von ihm vorträgt.

5. Auftrag des Bundesverfassungsgerichts an den Gesetzgeber: Schaffung eines (zunächst rechtsfolgenlosen) Verfahrens zur Abstammungsklärung

Das BVerfG hat dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum 31.03.2008 ein rechtsförmiges Verfahren zu schaffen, in dem die Abstammung eines Kindes von seinem rechtlichen Vater geklärt und die Tatsache ihres Bestehens oder Nichtbestehens festgestellt werden kann, ohne daran zugleich Folgen für den rechtlichen Status des Kindes zu knüpfen.

Auf welche Weise der Gesetzgeber seiner Verpflichtung zur Bereitstellung eines Verfahrens allein auf Feststellung der Vaterschaft nachkommt, liegt in seiner Gestaltungsfreiheit. Allerdings ist er gehalten, Sorge dafür zu tragen, dass im Vaterschaftsanfechtungsverfahren das verfassungsrechtlich geschützte Interesse des Kindes, ggf. seine rechtliche und soziale familiäre Zuordnung zu behalten, auch weiterhin Berücksichtigung findet. So etwa kann er sicherstellen, dass die nun leichter zu erwerbende Kenntnis des rechtlichen Vaters, nicht biologischer Vater zu sein, im Anfechtungsverfahren in bestimmten Fällen nicht sogleich zur Beendigung der rechtlichen Vaterschaft führt.

IV. Ausblick

Die Kürze der dem Gesetzgeber gesetzten Frist dürfte sich daraus erklären, dass die Vorbereitungen im Bundesjustizministerium für die vom BVerfG geforderten gesetzgeberischen Maßnahmen bereits fortgeschritten sind. Dies lässt sich der Stellungnahme des Bundesministeriums zur Verfassungsbeschwerde und der Reaktion auf die Entscheidung entnehmen. Ausdrücklich eine Absage erteilt hat das BVerfG Erwägungen, durch gesetzliche Neuregelungen heimliche Vaterschaftstests zur Vorbereitung einer Vaterschaftsanfechtung zuzulassen (so eine Gesetzesinitiative des Landes Baden-Württemberg, BR-Drucks 280/05).

Es ist zu erwarten, dass der Gesetzgeber ein Verfahren schafft, mit dem es einem rechtlich als Vater geltenden Mann unter erleichterten Voraussetzungen ermöglicht wird, die Abstammung des Kindes von ihm klären zu lassen, wobei diese Klärung noch nicht zur Beseitigung der rechtlichen Vaterschaftszuordnung zu ihm führt. Ob die aus dieser Abstammungsklärung gewonnenen Erkenntnisse den Weg zu einem Vaterschaftsanfechtungsverfahren eröffnen, wird schon im Hinblick auf das verfassungsrechtlich geschützte Interesse des Kindes, ggf. seine rechtliche und soziale familiäre Zuordnung zu behalten, an weitere Voraussetzungen zu knüpfen sein.

Besondere Bedeutung dürfte bei entsprechenden gesetzlichen Neuregelungen der Frage des Übergangsrechts zukommen. Das Recht auf Klärung der Abstammung wird man auch in Altfällen nicht versagen können. Ob der Gesetzgeber aber selbst in den Fällen, in denen die Vaterschaftsanfechtungsfrist des § 1600b BGB bereits verstrichen ist, diese Klärung ausreichen lässt, um jeweils ein (neues) Vaterschaftsanfechtungsrecht zu eröffnen, darf mit Blick auf den Vertrauensschutz bezweifelt werden.

Quelle: RiOLG K.-J. Grün - Urteilsbesprechung vom 15.02.07