Verteilung der Masseerlöse

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Nachträglich ermittelte Massegegenstände

Einzelfälle

Gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO unterliegen auch solche Gegenstände der Nachtragsverteilung, die erst nachträglich, also nach der Schlussverteilung oder nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 203 Abs. 2 InsO) ermittelt worden sind (BGH v. 27.04.2017 – IX ZB 93/16; BGH v. 20.12.2018 – IX ZB 8/17). Hierunter fallen Gegenstände, die der Schuldner dem Verwalter verheimlicht oder ins Ausland verbracht hatte und so dem Verwalter unbekannt geblieben waren, ferner durch nachträgliche Aufdeckung einer Anfechtbarkeit nach § 129 InsO, ermittelte Ansprüche oder die Feststellung gesellschaftsrechtlicher Ansprüche nach § 82 AktG oder § 143 GmbHG.

Aufschiebend bedingte Ansprüche

Entsteht nach Beendigung des Insolvenzverfahrens ein Anspruch des Schuldners auf die Todesfallleistung aus einer Risikolebensversicherung, der davor aufschiebend bedingt durch den Eintritt des Versicherungsfalls begründet war, kommt die Anordnung einer Nachtragsverteilung in Betracht (BGH v. 18.12.2014 – IX ZB 50/13). Ansprüche des Schuldners auf die Todesfall- oder Erlebensfallleistung aus einer für die betriebliche Altersversorgung durch den Arbeitgeber abgeschlossenen Direktversicherung unterliegen der Nachtragsverwaltung, soweit die Ansprüche in die Insolvenzmasse fallen (BGH v. 20.12.2018 – IX ZB 8/17).

Aufschiebend bedingt, und zwar durch das Entstehen des Rückgewähranspruchs bei Wegfall des Sicherungszwecks ist auch der Erlösanspruch des Grundstückseigentümers aus einem durch Verzicht des eingetragenen Grundpfandrechtsgläubigers auf die Erlöszuteilung entstandenen Eigentümererlöspfandrecht (BGH v. 27.04.2017 – IX ZB 93/16). Ein solches Eigentümererlöspfandrecht entsteht in analoger Anwendung des § 1168 BGB dann, wenn ein Fremdgrundpfandrecht mit dem Zuschlag im Zwangsversteigerungsverfahren erlischt und der Gläubiger auf den Erlös, der auf das erloschene Recht entfällt, durch Erklärung gegenüber dem Versteigerungsgericht verzichtet (BGH v. 27.04.2017 – V ZR 270/10). Um einer Nachtragsverteilung zur Verfügung zu stehen, muss der Rückgewähranspruch bereits während des eröffneten Insolvenzverfahrens bestehen. Ansonsten handelt es sich um einen Neuerwerb und kann nicht einer Nachtragsverteilung zugeführt werden.

Anspruch auf Rückzahlung einer Mietkaution

Der Anspruch des Schuldners auf Rückzahlung einer geleisteten Mietkaution entsteht aufschiebend bedingt bereits mit der Leistung der Kaution (BGH v. 09.10.2014 – IX ZA 20/14). Nach Sinn und Zweck der Mietkaution ist der Anspruch auf Rückzahlung jedoch der Fortsetzung des Mietverhältnisses nach dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO zuzuordnen. Der Rückzahlungsanspruch kann in diesem Fall demnach nicht einer Nachtragsverteilung vorbehalten werden (BGH v. 13.07.2017 – IX ZB 33/16). Gibt der Insolvenzverwalter dagegen keine Enthaftungserklärung ab, so unterliegt die zurückzuerstattende Mietkaution einer Nachtragsverteilung. Dem steht weder ein Pfändungsschutz nach § 850i ZPO noch nach § 765a ZPO entgegen (BGH v. 21.02.2019 – IX ZB 7/17).

Irrtum des Verwalters über die Werthaltigkeit eines Gegenstands

Die Vorschrift des § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO erfasst auch Gegenstände, die der Verwalter zunächst nicht für verwertbar hielt und deswegen nicht zur Masse gezogen hat (BGH v. 18.11.2010 – IX ZA 36/10). So hat bereits das Reichsgericht zu der dem § 203 InsO entsprechenden Vorschrift des § 166 KO entschieden, dass Außenstände, die der Konkursverwalter wegen einer Aufrechnung mit einer vermeintlich höheren Gegenforderung zunächst nicht eingezogen hat, für die Nachtragsverteilung zur Verfügung stehen (RGZ 36, 20, 23). Das Gleiche gilt, wenn der Verwalter irrig der Meinung war, ein vom Insolvenzbeschlag erfasster Vermögensgegenstand sei bereits zusammen mit anderen Gegenständen veräußert worden (vgl. RGZ 25, 7, 9 f.). Ebenso verhält es sich mit bereits ausgebuchten Forderungen, die sich nachträglich als werthaltig erweisen (Uhlenbruck/Wegener, InsO, § 203 Rdnr. 11a). In diesen Fällen steht der Umstand, dass der Verwalter schon vor dem Schlusstermin Kenntnis von der Existenz des Vermögenswerts hatte, einer Nachtragsverteilung nicht entgegen; auf die Frage, ob seine Bewertung auf einer vorwerfbaren Fehleinschätzung beruht, kommt es nicht an (BGH v. 01.12.2005 – IX ZB 17/04).

Ausgeschiedene Vermögenswerte – Freigabe

Dagegen unterliegen Gegenstände, die zur Zeit ihrer Ermittlung bereits rechtswirksam aus dem Vermögen des Schuldners ausgeschieden sind, ebenso wie solche, die zu keinem Zeitpunkt zur Insolvenzmasse zählten, nicht einer möglichen Nachtragsverteilung. Gibt der Verwalter z.B. Gegenstände aus der Masse frei und stellt sich nachträglich heraus, dass ein für unverwertbar gehaltener und deshalb freigegebener Gegenstand doch verwertbar war, so kann dieser Gegenstand von dem Dritten, an den ihn der Schuldner veräußert hat, nicht etwa zum Zwecke der Nachtragsverteilung herausverlangt werden (vgl. RGZ 25, 7, 9; RGZ 36, 20, 23; Uhlenbruck/Wegener, InsO, § 203 Rdnr. 14). Auch kann die Gegenleistung, die der Schuldner durch eine wirksame Verfügung über einen freigegebenen Gegenstand nach Verfahrensaufhebung erzielt, keiner Nachtragsverteilung unterworfen werden (BGH v. 03.04.2014 – IX ZA 5/14).

Anfechtung der Freigabeerklärung

Die Freigabeerklärung kann nach § 123 BGB angefochten werden. Eine Anfechtung nach § 119 BGB kann indes nicht damit begründet werden, dass sich der Insolvenzverwalter über den Wert des Massegegenstands irrte, da es sich insoweit um einen unbeachtlichen Motivirrtum handelt (BGH v. 03.04.2014 – IX ZA 5/14). In Betracht kommt aber eine Anfechtung wegen Irrtums über verkehrswesentliche Eigenschaften, wie etwa die tatsächliche Belastungssituation (HaKo-InsO/Lüdtke § 35 Rdnr. 67; a.A. MüKo-InsO/Peters, § 35 Rdnr. 100).

Pflichtteilsanspruch

Die Anordnung einer Nachtragsverteilung scheidet aus, wenn ein Vermögenswert dem Schuldner erst nach Verfahrenseröffnung zufließt. Dies gilt aber z.B. nicht für Zuflüsse, die in der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs begründet liegen, wenn der maßgebliche Erbfall während des eröffneten Insolvenzverfahrens eintrat. In diesem Fall gehört der Pflichtteilsanspruch, aufschiebend bedingt durch seine Anerkennung oder Rechtshängigmachung, zur Insolvenzmasse (BGH v. 02.12.2010 – IX ZB 184/09).

Falsche Beurteilung der Rechtslage

Zulässig ist die Anordnung einer Nachtragsverteilung auch dann, wenn sich erst nach der Schlussverteilung herausstellt, dass ein Gegenstand zur Masse gehört und alle Beteiligten irrtümlich davon ausgegangen waren, der Gegenstand gehöre nicht zur Insolvenzmasse. So kommen z.B. aufgrund einer Änderung der Rechtsprechung zum Kreditsicherungsrecht Gegenstände, die bislang als Sicherungsgut betrachtet wurden, als freie Masse in Betracht (vgl. Neuhof, NJW 1995, 937).

Vergessene Verwertung

Eine Nachtragsverteilung kann darüber hinaus auch dann angeordnet werden, wenn der Insolvenzverwalter die Verwertung eines zur Masse gehörenden Gegenstands, wie etwa ein Grundstück, schlichtweg vergessen hat. Hat allerdings der Schuldner nach Aufhebung des Verfahrens das Grundstück wirksam aufgelassen und liegen die weiteren Voraussetzungen des § 878 BGB vor, so kommt die Anordnung einer Nachtragsverteilung nicht mehr in Betracht (BGH v. 06.12.2007 – IX ZB 229/06).

Erstreckung auf die Gegenleistung

Der Zweck des § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO steht nach Ansicht des BGH (v. 26.01.2012 – IX ZB 111/10) jedoch der Annahme entgegen, in einem solchen Fall könne auch nicht auf die in das Vermögen des Schuldners geflossene Gegenleistung zugegriffen werden. Entscheidend sei vielmehr, dass das in der Masse vorhanden gewesene Vermögen der Verteilung zugeführt werden soll (vgl. BGH v. 02.12.2010 – IX ZB 184/09). Die Annahme, dass die Verwertbarkeit des Anspruchs zugunsten der Gläubiger davon abhängen soll, dass der Schuldner die Forderung noch nicht eingezogen hat, wäre mit der gesetzlichen Wertung des § 203 Abs. 1 InsO unvereinbar. Andernfalls könnte in derartigen Fällen die Nachtragsverteilung leicht vereitelt werden und hinge von reinen Zufälligkeiten ab.