Arbeitsrecht -

Überstunden: Anspruch von Teilzeitbeschäftigten bei Tarifvertrag

Teilzeitbeschäftigte haben Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge, wenn ihre individuell vereinbarte Arbeitszeit überschritten ist. Dem widersprechende tarifvertragliche Regelungen verstoßen gegen § 4 Abs. 1 TzBfG. Das hat das BAG entschieden. Ein Anspruch kann demnach auch dann bestehen, wenn die Tarifvertragsparteien ihrer diskriminierenden Regelungen noch nicht korrigiert haben.

Darum geht es

Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gilt der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer/innen in den Unternehmen des bayerischen Groß- und Außenhandels vom 23.06.1997 (MTV). Dieser sieht für Vollzeitbeschäftigte eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 37,5 Stunden vor. 

Nach § 9 Ziff. 1 Abs. 2 Satz 2 MTV ist bis „einschließlich der 40. Wochenstunde kein Mehrarbeitszuschlag zu zahlen, danach sind 25 % zusätzlich zu vergüten.“ Der Kläger ist bei der Beklagten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30,8 Stunden beschäftigt.

Der Kläger hat geltend gemacht, § 9 Ziff. 1 Abs. 2 Satz 2 MTV benachteilige ihn wegen seiner Teilzeitarbeit unzulässig gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten. 

Unter Beachtung des Pro-rata-temporis-Grundsatzes aus § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG könne er einen Mehrarbeitszuschlag beanspruchen, sobald er seine vertragliche Wochenarbeitszeit von 30,8 Stunden um 1,2 Stunden überschreite. 

Die Vorinstanzen haben seine Klage auf Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen abgewiesen (u.a. LAG Nürnberg, Urt. v. 11.08.2022 - 5 Sa 316/21).

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG Erfolg. 

Der Senat hat entschieden, dass § 9 Ziff. 1 Abs. 2 Satz 2 MTV Teilzeitbeschäftigte iSv. § 4 Abs. 1 TzBfG benachteiligt und insoweit gemäß § 134 BGB nichtig ist, als er für diese keine - der vertraglichen Arbeitszeit entsprechende - anteilige Absenkung der Grenze für die Gewährung eines Mehrarbeitszuschlags vorsieht. 

Ein sachlicher Grund für die Benachteiligung ist nicht gegeben. Bei dessen Prüfung haben die Gerichte für Arbeitssachen aufgrund des Unionsrechtsbezugs von § 4 Abs. 1 TzBfG nicht lediglich eine Willkürkontrolle vorzunehmen, sondern die vom EuGH vorgegebenen Anforderungen zu beachten. 

Danach lässt sich die Zuschlagsregelung nicht damit rechtfertigen, dass eine wöchentliche Arbeitszeit von mehr als 40 Stunden zu einer besonderen Belastung führt und daher im Interesse des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer vermieden werden soll. 

Diese Betrachtung trägt den Belastungen, mit denen die Mehrarbeit auch bei Teilzeitarbeitnehmern typischerweise verbunden ist, nicht hinreichend Rechnung.

Teilzeitbeschäftigten steht deshalb nach § 612 Abs. 2 BGB iVm. § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG der tarifvertragliche Mehrarbeitszuschlag zu, wenn sie ihre individuelle wöchentliche Arbeitszeit proportional zur Zuschlagsgrenze für Vollzeitbeschäftigte in § 9 Ziff. 1 Abs. 2 Satz 2 MTV überschreiten. 

Das konnte der Senat entscheiden, ohne den Tarifvertragsparteien zuvor Gelegenheit zur Beseitigung der Diskriminierung zu gewähren. Im Anwendungsbereich unionsrechtlich überformter Diskriminierungsverbote ist den Tarifvertragsparteien keine primäre Korrekturmöglichkeit einzuräumen.

Da das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen zu der vom Kläger geleisteten Mehrarbeit getroffen hat, hat der Senat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Hinweis: Der Fünfte Senat hat ein weiteres ähnlich gelagertes Verfahren entschieden (Az. 5 AZR 155/22).

BAG, Urt. v. 26.11.2025 - 5 AZR 118/23 

Quelle: BAG, Pressemitteilung v. 26.11.2025

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