Familienrecht, Sozialrecht -

Amtshaftung bei fehlenden Kita-Plätzen

Können Eltern Amtshaftungsansprüche (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Artikel 34 Satz 1 GG) geltend machen, wenn die Kommunen keinen Betreuungsplatz für ihre Kinder zur Verfügung stellen? Der BGH hat dies vorbehaltlich eines Verschuldens des Trägers im Grundsatz bejaht. In den  Entscheidungsfällen hatten Eltern Schadensersatz wegen Verdienstausfällen verlangt.

Darum geht es

Die Klägerinnen der drei Parallelverfahren beabsichtigten, jeweils nach Ablauf der einjährigen Elternzeit ihre Vollzeit-Berufstätigkeit wieder aufzunehmen. Unter Hinweis darauf meldeten sie für ihre Kinder wenige Monate nach der Geburt bei der beklagten Stadt Bedarf für einen Kinderbetreuungsplatz für die Zeit ab der Vollendung des ersten Lebensjahres an. Zum gewünschten Termin erhielten die Klägerinnen von der Beklagten keinen Betreuungsplatz nachgewiesen.

Für den Zeitraum zwischen der Vollendung des ersten Lebensjahres ihrer Kinder und der späteren Beschaffung eines Betreuungsplatzes verlangen die Klägerinnen Ersatz des ihnen entstandenen Verdienstausfalls (unter Anrechnung von Abzügen für anderweitige Zuwendungen und ersparte Kosten belaufen sich die Forderungen auf 4.463,12 €, 2.182,20 € bzw. 7.332,93 €).

Das Landgericht Leipzig hat den Klagen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht Dresden die Klagen abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass die beklagte Stadt zwar ihre aus § 24 Abs. 2 SGB VIII folgende Amtspflicht verletzt habe; die Erwerbsinteressen der Klägerinnen seien von dieser Amtspflicht aber nicht geschützt. Hiergegen richten sich die Revisionen der Klägerinnen.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten wegen Schadensersatzansprüchen aus Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Artikel 34 Satz 1 GG) zuständige III. Zivilsenat des BGH hat die Urteile des Oberlandesgerichts Dresden aufgehoben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Das Gericht hat im Einklang mit beiden Vorinstanzen das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung der beklagten Stadt bejaht. Eine Amtspflichtverletzung liegt bereits dann vor, wenn der zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe einem gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII anspruchsberechtigten Kind trotz rechtzeitiger Anmeldung des Bedarfs keinen Betreuungsplatz zur Verfügung stellt.

Die betreffende Amtspflicht ist nicht durch die vorhandene Kapazität begrenzt. Vielmehr ist der verantwortliche öffentliche Träger der Jugendhilfe gehalten, eine ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen selbst zu schaffen oder durch geeignete Dritte - freie Träger der Jugendhilfe oder Tagespflegepersonen – bereitzustellen. Insoweit trifft ihn eine unbedingte Gewährleistungspflicht.

Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts bezweckt diese Amtspflicht auch den Schutz der Interessen der personensorgeberechtigten Eltern. In den Schutzbereich der Amtspflicht fallen dabei auch Verdienstausfallschäden, die Eltern dadurch erleiden, dass ihre Kinder entgegen § 24 Abs., 2 SGB VIII keinen Betreuungsplatz erhalten.

Zwar steht der Anspruch auf einen Betreuungsplatz allein dem Kind selbst zu und nicht auch seinen Eltern. Die Einbeziehung der Eltern und ihres Erwerbsinteresses in den Schutzbereich des Amtspflicht ergibt sich aber aus der Regelungsabsicht des Gesetzgebers sowie dem Sinn und Zweck und der systematischen Stellung von § 24 Abs. 2 SGB VIII.

Mit dem Kinderförderungsgesetz, insbesondere der Einführung des Anspruchs nach § 24 Abs. 2 SGB VIII, beabsichtigte der Gesetzgeber neben der Förderung des Kindeswohls auch die Entlastung der Eltern zu Gunsten der Aufnahme oder Weiterführung einer Erwerbstätigkeit. Es ging ihm - auch - um die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben und, damit verbunden, um die Schaffung von Anreizen für die Erfüllung von Kinderwünschen.

Diese Regelungsabsicht hat auch im Gesetzestext ihren Niederschlag gefunden. Sie findet sich insbesondere in den Förderungsgrundsätzen des § 22 Abs. 2 SGB VIII bestätigt. Der Gesetzgeber hat hiermit zugleich der Erkenntnis Rechnung getragen, dass Kindes- und Elternwohl sich gegenseitig bedingen und ergänzen und zum gemeinsamen Wohl der Familie verbinden.

Demnach kommt ein Schadensersatzanspruch der Klägerinnen aus Amtshaftung in Betracht, so dass die Berufungsurteile aufgehoben worden sind. Wegen noch ausstehender tatrichterlicher Feststellungen zum Verschulden der Bediensteten der Beklagten und zum Umfang des erstattungsfähigen Schadens hat der BGH die drei Verfahren nicht abschließend entschieden, sondern an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

In diesem Zusammenhang hat der BGH auf Folgendes hingewiesen: Wird der Betreuungsplatz nicht zur Verfügung gestellt, so besteht hinsichtlich des erforderlichen Verschuldens des Amtsträgers zugunsten des Geschädigten der Beweis des ersten Anscheins. Auf allgemeine finanzielle Engpässe kann die Beklagte sich zu ihrer Entlastung nicht mit Erfolg berufen, weil sie nach der gesetzgeberischen Entscheidung für eine ausreichende Anzahl an Betreuungsplätzen grundsätzlich uneingeschränkt - insbesondere: ohne „Kapazitätsvorbehalt“ - einstehen muss.

BGH, Urteile v. 20.10.2016 - III ZR 278/15, II ZR 302/15 und II ZR 303/15

Quelle: BGH, Pressemitteilung v. 20.10.2016