Familienrecht -

Örtliche Zuständigkeit beim Streit um die elterliche Sorge eines Kindes

Das OLG Hamm hat zur Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entschieden.

Nach dieser Vorschrift wird das zuständige Gericht durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

amtlicher Leitsatz
»1. Im Falle eines Streits um die elterliche Sorge eines Kindes ist dasjenige Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das betroffene minderjährige Kind seinen Wohnsitz hat. Hatte das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung einen Doppelwohnsitz und sind bereits zwei Verfahren an den jeweiligen Gerichten im Gange, so entsteht die örtliche Zuständigkeit bei dem Gericht, bei dem das Verfahren zuerst anhängig gemacht wird.

2. Durch die Vorschrift des § 621 Abs. 2 ZPO wird eine ausschließliche Zuständigkeit nur für solche Familiensachen begründet, die bei Anhängigwerden der Ehesache noch nicht (bei einem anderen Gericht) rechtshängig sind.«

Sachverhalt
Das OLG Hamm hatte über die Zuständigkeit in einem familienrechtlichen Streit um die das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern für den gemeinsamen Sohn zu entscheiden. Der Vater wohnt im Bezirk des Amtsgerichts Gelsenkirchen, die Mutter im Bezirk des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer.

Am 29.05.2006 hat das Familiengericht Gelsenkirchen den Antrag des Vaters auf Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts förmlich der Kindesmutter zugestellt. Mit Beschluss vom 17.11.2006 hat das Familiengericht Gelsenkirchen das Verfahren an das Familiengericht Gelsenkirchen-Buer verwiesen, mit der Begründung, dass dort die Ehesache (Scheidung) anhängig sei. Wegen Nichtablauf des Trennungsjahres wurde das dortige cheidungsverfahren nach Eingang des Scheidungsantrags jedoch nicht weiter betrieben. Mit Beschluss vom 23.02.2007 hat das Familiengericht Gelsenkirchen-Buer die Übernahme des Verfahrens betreffend die elterliche Sorge des Kindes abgelehnt. Daraufhin hat sich das Familiengericht  Gelsenkirchen durch Beschluss vom 13.03.2007 für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Senat zur Entscheidung über die Zuständigkeit vorgelegt.

Aus den Gründen

Da beide Familiengerichte sich (zunächst) durch begründeten und dem jeweils anderen Gericht zugestellten Beschluss für örtlich unzuständig erklärt haben, sind die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO gegeben.

Die örtliche Zuständigkeit des Familiengerichts Gelsenkirchen folgt aus den §§ 36 Abs. 1 Satz 1, 43 Abs. 1, 64 Abs. 3 Satz 2 FGG. Danach ist dasjenige Gericht für die Regelung der elterlichen Sorge örtlich zuständig, in dessen Bezirk das betroffene minderjährige Kind seinen Wohnsitz hat.

Dass das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung im Sorgerechtsverfahren entsprechend dem Wohnsitz der Eltern, von denen es seinen Wohnsitz ableitet (§§ 7 Abs. 2, 11 BGB), einen Doppelwohnsitz hatte, steht der Begründung des Zuständigkeit des Familiengerichts Gelsenkirchen nicht entgegen. In diesem Fall der Wahlzuständigkeit entsteht die örtliche Zuständigkeit bei dem Gericht, bei dem das Verfahren (zuerst) rechtshängig gemacht wird. Rechtshängig wurde das Verfahren betreffend die elterliche Sorge durch Zustellung der Antragsschrift an die Kindesmutter durch das Amtsgericht Gelsenkirchen am 29.05.2006 (§§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO).

Die örtliche Zuständigkeit des Familiengerichts Gelsenkirchen ist nicht durch die Verweisung des Rechtsstreits an das Familiengerichts Gelsenkirchen-Buer nach § 621 Abs. 3 ZPO aufgehoben worden. Eine zuständigkeitsbegründende Verweisung nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass die Ehesache beim Familiengericht in Gelsenkirchen-Buer rechtshängig geworden ist. Daran fehlt es, denn eine förmliche Zustellung des Scheidungsantrags der Kindesmutter an den Kindesvater in dem dort anhängigen Scheidungsverfahren ist nicht erfolgt.

Die örtliche Zuständigkeit des Familiengerichts Gelsenkirchen-Buer folgt auch nicht aus § 621 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Zwar ist die Scheidungssache weiterhin beim Familiengericht Gelsenkirchen-Buer anhängig, 621 Abs. 2 ZPO begründet jedoch eine ausschließliche Zuständigkeit nur für solche Familiensachen, die bei Anhängigwerden der Ehesache noch nicht - bei einem anderen Gericht - rechtshängig sind.

Das folgt aus § 621 Abs. 2 Satz 2 ZPO, wonach sich die örtliche Zuständigkeit für eine Familiensache vor Anhängigkeit der Ehesache nach den allgemeinen Vorschriften richtet und aus § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO, wonach eine einmal bei Rechtshängigkeit begründete Zuständigkeit des Prozessgerichts durch eine nachträgliche Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt wird (sog. perpetuatio fori).

Eine Durchbrechung der allgemeinen Regel des § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO wird, wie sich aus der Verweisungsmöglichkeit des § 621 Abs. 3 ZPO ergibt, vor Rechtshängigkeit der Ehesache nicht eröffnet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach Rechtshängigwerden einer Familiensache bei einem anderen - mit der Ehesache nicht befassten Gericht - in der Regel davon ausgegangen werden kann, dass sich das damit befasste Gericht bereits in den Sach- und Streitstand eingearbeitet hat. Um eine unnötige zusätzliche Belastung der Gerichte zu vermeiden, erscheint es in einem solchen Fall gerechtfertigt, dass die mit der Verweisungsmöglichkeit nach § 621 Abs. 3 ZPO bezweckte Konzentration aller Familiensachen der Parteien bei dem mit der Ehesache befassten Gericht erst dann eintritt, wenn feststeht, dass das Eheverfahren tatsächlich dort geführt wird. Das ist - wegen der vom Eintritt der Rechtshängigkeit abhängigen Sperrwirkung des § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO - erst dann sichergestellt, wenn Rechtshängigkeit der Ehesache eingetreten ist.

Quelle: OLG Hamm - Beschluss vom 30.04.07