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Widerspruchsrecht bei geringfügigem Belehrungsfehler

Welche Folgen hat es, wenn Versicherungsnehmer unzureichend über ihr Widerspruchsrecht belehrt werden? Der BGH hat entschieden, dass ein Bereicherungsanspruch nach § 242 BGB ausgeschlossen sein kann, wenn dem Versicherten durch einen geringfügigen Belehrungsfehler nicht die Möglichkeit genommen wurde, das Widerspruchsrecht im Wesentlichen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben.

Darum geht es

Die Klägerin machte aus behauptet abgetretenem Recht Ansprüche auf bereicherungsrechtliche Rückabwicklung fondsgebundener Lebens- und Rentenversicherungsverträge geltend. 

Diese Verträge wurden zwischen den jeweiligen Versicherungsnehmern und der Beklagten mit Versicherungsbeginn zum 01.11. und 01.12.2002 nach dem sogenannten Policenmodell des § 5a VVG a.F. abgeschlossen. Die Versicherungsnehmer kündigten die Verträge 2016 und 2017 und erklärten jeweils 2018 den Widerspruch nach § 5a VVG a.F.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen (Landgericht Berlin, Urt. v. 22.10.2020 – 24 O 26/20 und Kammergericht, Beschl. v. 09.07.2021 - 6 U 1139/20). 

Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Geltendmachung des Rückabwicklungsanspruchs der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. 

Ein vorrangiges schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers in den Fortbestand des Vertrags komme in Betracht, wenn Umstände vorlägen, die den Schluss darauf zuließen, dass der Versicherungsnehmer auch in Kenntnis seines Lösungsrechts vom Vertrag an diesem festgehalten hätte. Dies sei hier der Fall. 

Der Fehler der Belehrung über die einzuhaltende Schriftform anstelle der ausreichenden Textform für die Widerspruchserklärung könne die Versicherungsnehmer nicht ernsthaft von der Ausübung des Widerspruchsrechts innerhalb der bei ordnungsgemäßer Belehrung geltenden Frist abgehalten haben. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Der BGH hat entschieden, dass die Ausübung des Widerspruchsrechts gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt, wenn ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliegt, durch den dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. 

Denn dies stellt eine nur geringfügige, im Ergebnis folgenlose Verletzung der Pflicht des Versicherers zur ordnungsgemäßen Belehrung dar. 

Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht dies für den hier zu beurteilenden Fall angenommen, in dem den Versicherungsnehmern die unrichtige Information über ein Recht zum schriftlichen Widerspruch erteilt wurde, obwohl nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab 01.08.2001 gültigen Fassung ein Widerspruch in Textform genügte.

Die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Ausübung des Widerspruchsrechts in diesem Fall steht auch in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urt. v. 19.12.2019 - C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18), sodass eine Vorlage an diesen nicht veranlasst war. 

Dass der EuGH hiervon mit seinem Urteil vom 09.09.2021 (Az. C-33/20, C-155/20 und C-187/20) abweichen wollte, ist nicht ersichtlich. 

Diese Entscheidung bezieht sich auf Fälle, in denen eine der in Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.04.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. L 133 S. 66) vorgesehenen zwingenden Angaben fehlt. 

Insoweit äußert sich der EuGH zu der von ihm im Versicherungsvertragsrecht vorgenommenen Differenzierung nach der Bedeutung des Belehrungsmangels nicht. Die Frage, ob das Policenmodell mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union unvereinbar ist, war ferner nicht entscheidungserheblich. 

Auch im Fall einer unterstellten Unionswidrigkeit des Policenmodells ist es dem - im Wesentlichen - ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer, der sich aus den genannten Gründen nicht auf die geringfügige Fehlerhaftigkeit der Belehrung berufen kann, nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten.

Zum Einwand von Treu und Glauben war eine Vorlage an den EuGH ebenfalls nicht erforderlich. 

Die Maßstäbe für dessen Berücksichtigung sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt und die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens steht in Fällen wie dem vorliegenden damit in Einklang. Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Ausführungen des EuGH zum unionsrechtlichen Grundsatz des Rechtsmissbrauchs in dessen Entscheidung vom 09.09.2021(aaO). 

Für den Bereich der Lebensversicherungen hat der EuGH festgestellt, dass die Mitgliedstaaten die Modalitäten der Ausübung des Rücktrittsrechts und der Mitteilung von Informationen, insbesondere zur Ausübung dieses Rechts, im Einzelnen regeln können. 

Das gilt sowohl für die Zweite und Dritte Richtlinie Lebensversicherung als auch für die Richtlinien 2002/83/EG und die Solvabilität II-Richtlinie. Dabei müssen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass die praktische Wirksamkeit der Richtlinien gewährleistet ist (vgl. EuGH, Urt. v. 19.12.2019, aaO). 

Diese Rechtsprechung hat der EuGH im Anschluss an seine Entscheidung vom 09.09.2021 für die Rechtsfolgen der Nichterfüllung oder der nicht ordnungsgemäßen Erfüllung der in den Richtlinien vorgesehenen vorvertraglichen Mitteilungspflicht sowie in Bezug auf das dort niedergelegte Recht des Versicherungsnehmers auf Rücktritt vom Versicherungsvertrag bestätigt (vgl. EuGH, Urt. v. 24.02.2022 - C-143/20 und C-213/20 zur Richtlinie 2002/83/EG). 

Damit kommt es auf den allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts zum Rechtsmissbrauch und dessen Voraussetzungen hier nicht an, sondern im Bereich der Lebensversicherungsrichtlinien ist ein Rückgriff auf den nationalen Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB zulässig, soweit die praktische Wirksamkeit der Richtlinien – wie hier - nicht beeinträchtigt wird.

BGH, Urt. v. 15.02.2023 - IV ZR 353/21

Quelle: BGH, Pressemitteilung v. 15.02.2023

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