Arbeitsrecht, Sozialrecht -

Betriebliche Altersvorsorge: Keine Pflicht zur Kündigung einer Direktversicherung

Grundsätzlich besteht – selbst bei einer finanziellen Notlage des Arbeitnehmers – keine Pflicht des Arbeitgebers, einen bestehenden Direktversicherungsvertrag auf Verlangen des versicherten Arbeitnehmers zu kündigen. Das hat das BAG für eine betriebliche Altersversorgung im Wege der Entgeltumwandlung entschieden. Bislang gab es hierzu unterschiedliche Ansichten von Gerichten.

Sachverhalt

Ein Arbeitnehmer, der seit dem 01.09.1986 bei einem Industrieunternehmen beschäftigt ist, schloss im Jahr 2000 bei der A Lebensversicherung AG eine Lebensversicherung ab. Am 13.03.2001 schlossen die Arbeitsvertragsparteien eine Entgeltumwandlungsvereinbarung. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Barlohn in Höhe eines Betrags von rund 1.000 € jährlich wurde in einen Anspruch auf Verschaffung von Versicherungsschutz umgewandelt.

Die Arbeitgeberin verpflichtete sich, den umgewandelten Betrag in die Direktversicherung bei der A Lebensversicherung AG zu zahlen. Unter dem 14.05.2001 teilten die Arbeitsvertragsparteien der A AG mit, dass die Arbeitgeberin zukünftig Versicherungsnehmerin der vom Kläger abgeschlossenen Lebensversicherung sein solle. Der Lebensversicherungsvertrag wurde entsprechend angepasst und Ende 2009 ruhend gestellt. Der Vertragswert betrug am 01.12.2012 4.528,58 €.

Nachdem der Arbeitnehmer sich in einer finanziellen Notlage fühlte, kündigte er mit Schreiben vom 10.01.2013 den Versicherungsvertrag. Die Versicherungsgesellschaft bat die Arbeitgeberin daraufhin um Mitteilung, ob sie der Kündigung zustimme. Andernfalls sei eine Kündigung des Vertrages nicht möglich. Die Arbeitgeberin verweigert die Zustimmung. Der Arbeitnehmer hat das Unternehmen gerichtlich in Anspruch genommen, den bei der A AG bestehenden Lebensversicherungsvertrag zu kündigen.

Das ArbG Siegburg hat die Klage mit Urteil vom 19.11.2014 (4 Ca 981/14) als unbegründet abgewiesen. Das LAG Köln hat dagegen gerichtete Berufung mit Urteil vom 08.07.2016 (9 Sa 14/16) zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Das BAG hat die Revision zurückgewiesen.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Die im Betriebsrentengesetz geregelte Entgeltumwandlung dient dazu, den Lebensstandard des Arbeitnehmers im Alter zumindest teilweise abzusichern. Mit dieser Zwecksetzung wäre es nicht vereinbar, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber verlangen könnte, die Direktversicherung lediglich deshalb zu kündigen, um dem versicherten Arbeitnehmer die Möglichkeit zu verschaffen, das für den Versorgungsfall bereits angesparte Kapital für den Ausgleich von Schulden zu verwenden. Deshalb hat der Kläger hat kein schutzwürdiges Interesse an der begehrten Kündigung.

Folgerungen aus der Entscheidung

Im Fall einer Versorgungszusage im Durchführungsweg der Direktversicherung ist Versicherungsnehmerin die Arbeitgeberin. Der Arbeitnehmer ist nur insoweit beteiligt, als sein Leben das versicherte Risiko und er (un)widerruflich bezugsberechtigt ist. Ein Anspruch auf Kündigung des Direktversicherungsvertrags kann sich damit nur als vertragliche Nebenpflicht des Arbeitsverhältnisses ergeben. Hierzu bedarf es einer umfassenden Interessenabwägung.

Bisher lagen divergierende Entscheidungen vor. Vor dem LAG Köln hatte das LAG Düsseldorf im Urteil vom 13.06.1989 (3 Sa 449/89) einen solchen Anspruch verneint, das LAG Bremen hatte in einem jüngeren Urteil vom 22.06.2011 (2 Sa 76/10) einen solchen Anspruch hingegen bejaht.

Die Entscheidung des BAG schafft Rechtsklarheit. Trotz der notwendigen Interessenabwägung sind praktisch keine Fälle denkbar, in denen die privaten Vermögensverhältnisse des Arbeitnehmers eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Kündigung von Direktversicherungsverträgen auslöst. Dabei sprechen nach der Argumentation des BAG insbesondere sozialpolitische Erwägungen gegen einen solchen Anspruch.

Praxishinweis

Einvernehmlich können die Arbeitsvertragsparteien im laufenden Arbeitsverhältnis frei über – auch gesetzlich unverfallbare – Anwartschaften disponieren, solange Vereinbarungen nicht in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehen (BAG, Urt. v. 14.08.1990 – 3 AZR 301/89; BAG, Urt. v. 21.01. 2003 – 3 AZR 30/02).

Der Arbeitnehmer hätte also im vorliegend entschiedenen Fall mit der Arbeitgeberin die Aufhebung der Versorgungszusage gegen Zahlung einer Abfindung vereinbaren können, weil das Arbeitsverhältnis auf Dauer fortgesetzt werden sollte.

Solche Vereinbarungen gestalten sich in der Praxis gleichwohl äußerst schwierig. Handelt es sich um Versorgungsansprüche, die auf Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag beruhen, ist ein Verzicht auf unverfallbare Anwartschaften – für die Vergangenheit – nur mit Zustimmung der Betriebs- bzw. Tarifparteien möglich.

Werden die Versorgungsansprüche in einem kapitalgedeckten Durchführungsweg (Pensionskasse, Pensionsfonds, Direktversicherung) erworben, bei dem die Beiträge an den Versorgungsträgen nach § 3 Nr. 63 EstG steuerlich und nach §§ 14, 17 SGB IV i.V.m. § 1 Satz 1 Nr. 9 SvEV sozialversicherungsrechtlich privilegiert sind, führt die Aufhebung der Versorgungszusage unweigerlich zu erheblichen Rückabwicklungsrisiken für den Arbeitgeber. Diesen wird er sich – und zwar nach der vorliegenden Entscheidung des BAG zu recht – nicht aussetzen.

Für die Praxis sind also die Fälle der Abfindung von Versorgungsanwartschaften im laufenden Arbeitsverhältnis relevant, die auf Versorgungszusagen in den Durchführungswegen der Direktzusage und der Unterstützungskasse beruhen. Zu bedenken ist immer, dass der Rückkaufswert möglicherweise unter der Summe der Beiträge zurückbleibt.

BAG, Urt. v. 26.04.2018 - 3 AZR 586/16

Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Dr. Martin Kolmhuber