Insolvenzmasse

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Einmalige Bezüge

Massezugehörigkeit

Bezieht der Schuldner keine regelmäßig wiederkehrenden Einkünfte, sondern z.B. als freiberuflich Tätiger oder als Handwerker einmalige Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste von unterschiedlichen Drittschuldnern, so sind diese Vergütungen grundsätzlich ohne Einschränkung pfändbar und fallen damit im vollen Umfang in die Insolvenzmasse (BGH v. 20.03.2003 – IX ZB 388/02; BGH v. 05.04.2006 – IX ZB 169/04). Auf einmalige Bezüge ist die Regelung des § 850c ZPO nicht anwendbar. Ein Pfändungsschutz und damit eine Freistellung von der Massezugehörigkeit kommt deshalb nur über die Vorschrift des § 850i ZPO in Betracht. Die entsprechende Entscheidung trifft auf Antrag des Schuldners das Insolvenzgericht (§ 36 Abs. 4 InsO; vgl. Teil 3/7.11). Antragsberechtigt sind daneben der Insolvenzverwalter sowie die dem Schuldner gegenüber Unterhaltsberechtigten.

Anwendungsbereich des § 850i ZPO

Als einmalige Bezüge gelten auch nicht wiederkehrende Einkünfte, die im Zusammenhang mit einem abhängigen Arbeitsverhältnis stehen, wie z.B.

Leistungen, die aus Anlass der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bezahlt werden, wie etwa eine Abgangsentschädigung nach §§ 9, 10 KSchG (BAG v. 13.11.1991 – 4 AZR 39/91) oder eine Sozialabfindung nach §§ 112, 113 BetrVG (BAG v. 13.11.1991 – 4 AZR 20/01; AG Dortmund v. 19.03.2021 – 254 IK 39/15);

das Entlassungsgeld eines Soldaten (vgl. OLG Dresden v. 19.02.1999 – 13 W 1457/98).

Scheinselbständige

Dagegen ist das Weihnachts- oder Urlaubsgeld, auch wenn es nur einmal jährlich bezahlt wird, als wiederkehrende Leistung anzusehen. Die Kapitalzahlung aus einer Lebensversicherung stellt ebenfalls keine einmalige Vergütung i.S.d. § 850i ZPO dar. Nicht nach § 850i ZPO, sondern gem. § 850c ZPO bestimmt sich der Pfändungsschutz auch für sogenannte Scheinselbständige, also für Personen, die ausschließlich für einen Auftraggeber eine nach außen als selbständig beschriebene Tätigkeit ausüben.

Kapitaleinkünfte

Nach der mit Wirkung ab 01.07.2010 geänderten Fassung des § 850i ZPO umfasst die Vorschrift neben nicht wiederkehrend zahlbaren Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste auch sonstige Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen darstellen (BGH v. 26.06.2014 – IX ZB 88/13). Danach sind z.B. auch Einkünfte aus Kapitalvermögen wie Zinsen oder Mieteinnahmen umfasst. Auch die durch die Arbeitsleistung der vom Schuldner beschäftigten Arbeitnehmer erwirtschafteten Einkünfte werden geschützt. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 16/7615, S. 18) ist der Begriff der "sonstigen Einkünfte" autonom und nicht etwa anhand des EStG auszulegen. Es muss sich aber wohl um Einkünfte handeln, die dem Unterhalt des Schuldners und seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen zu dienen bestimmt sind. Der Pflichtteilsanspruch gehört nach Ansicht des BGH nicht dazu (BGH v. 07.04.2016 – IX ZB 69/15).

Durch Lebensversicherung gesicherte Pensionszusage

Erhält der Schuldner aus einer Kapitallebensversicherung, die ihm zur Sicherung für Ansprüche aus einer für seine Tätigkeit als Geschäftsführer erteilten Pensionszusage wirksam verpfändet ist, nach Pfandreife eine Einmalleistung, kann er hierfür Pfändungsschutz nach § 850i ZPO für sonstige Einkünfte geltend machen. Dem steht nicht entgegen, dass die Voraussetzungen des besonderen Pfändungsschutzes bei Altersrenten nicht gegeben sind (BGH v. 29.04.2021 – IX ZB 25/20).

Auflösung einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung

Der Vergleichsbetrag, den der Schuldner aufgrund der Vereinbarung über die Aufhebung der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung erhalten soll, zählt zu seinen sonstigen Einkünften gem. § 850i Abs. 1 Satz 1 ZPO (LG Berlin v. 24.01.2022 – 84 T 97/21).

Kautionsrückzahlungsanspruch

Der Kautionsrückzahlungsanspruch des Mieters gehört nicht zu den sonstigen, von ihm selbst erwirtschafteten Einkünften. Allein der Umstand, dass der Mieter ein Mietkautionsguthaben zur Rückzahlung eines Darlehens benötigt, das ihm zur Finanzierung der Mietsicherheit für ein neues Mietverhältnis gewährt worden ist, begründet keine sittenwidrige Härte des Insolvenzbeschlags (BGH v. 21.02.2019 – IX ZB 7/17).

Gerichtliche Anordnung auf Antrag des Schuldners

Bis zu einer entsprechenden Anordnung des Insolvenzgerichts steht der Vergütungsanspruch in vollem Umfang der Masse zu. Daran ändert ein später erlassener Beschluss des Insolvenzgerichts nichts. Insbesondere ergibt sich nicht nachträglich ein Bereicherungsanspruch des Schuldners. Möglich ist es jedoch, dass sich der Insolvenzverwalter gegenüber dem Schuldner für den Fall eines erfolgreichen Pfändungsschutzantrags zur Rückzahlung der eingenommenen Beträge verpflichtet. § 835 Abs. 4 ZPO n.F. findet im Insolvenzverfahren keine Anwendung. Die mit der Vorschrift normierte einmonatige Leistungssperre (Verwertungsmoratorium) bleibt im Insolvenzverfahren demnach unbeachtet.

Pfändungsschutz für Mieteinkünfte trotz Abtretung

Ein Schuldner, der seinen Lebensunterhalt aus erwirtschafteten Mieteinkünften bestreitet, kann im Insolvenzverfahren Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte beantragen, auch wenn die Mieteinkünfte im Zuge einer vereinbarten stillen Zwangsverwaltung an einen Gläubiger abgeführt werden, dem der Schuldner die Mietforderungen als Sicherheit abgetreten und dem er Grundschulden an den Mietobjekten bestellt hat. Der Pfändungsschutz nach § 850i ZPO kann als zwingende Vorschrift des Schuldnerschutzes im Zuge einer Forderungsabtretung auch nicht ausgeschlossen werden. Eine Einschränkung des in § 400 BGB normierten Abtretungsverbots kommt nur in Betracht, wenn der Zessionar dem Zedenten eine Leistung gewährt, die den Pfändungsschutz entbehrlich macht (BGH v. 01.03.2018 – IX ZB 95/15).

Zwangsverwaltung

Lediglich im Fall einer Anordnung der Zwangsverwaltung nach § 866 ZPO, §§ 146 ff. ZVG gelten nicht die auf die Zwangsvollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte beschränkten Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff. ZPO, sondern die besonderen Bestimmungen in § 149 ZVG. Diese sehen die Freistellung von Einkünften aus Miet- und Pachtverhältnissen bis zur Pfändungsgrenze des § 850c ZPO nicht vor (BGH v. 01.03.2018 – IX ZB 95/15; BGH v. 10.10.2019 – V ZB 154/18).

Wirkungen des gewährten Pfändungsschutzes

Das Insolvenzgericht hat dem Schuldner auf Antrag während eines angemessenen Zeitraums so viel zu belassen, als ihm nach freier Schätzung des Gerichts verbleiben würde, wenn sein Einkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn bestünde. Damit wird auf die Vorschriften der §§ 850 ff. ZPO Bezug genommen. Auf seinen Antrag hin kann z.B. einem Rentner auf dieser Basis das Mehreinkommen i.S.d. § 850a ZPO, das er zusätzlich zu seiner Altersrente aus einer selbständigen Tätigkeit erzielt, zur Hälfte belassen werden (BGH v. 26.06.2014 – IX ZB 87/13). Bei der Entscheidung sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners, insbesondere seine sonstigen Verdienstmöglichkeiten, frei zu würdigen. Unter Anwendung des § 850c ZPO hat das Insolvenzgericht demnach zu bestimmen, welcher Teil der Einkünfte dem Schuldner zu verbleiben hat. Der Begriff des "angemessenen Zeitraums" ist unter Berücksichtigung der im Einzelfall gegebenen Besonderheiten auszulegen. So kann eine Kündigungsabfindung den gesamten bis zum Eintritt des Rentenalters noch verbleibenden Zeitraum umfassen (LG Essen v. 24.10.1997 – 11 T 619/97). Bei einem Arzt oder Rechtsanwalt werden die monatlichen Einnahmen der Berechnung zugrunde zu legen sein, wobei Werbungskosten analog § 850a Nr. 3 ZPO berücksichtigt werden können (BGH v. 20.03.2003 – IX ZB 388/02). Die Zielsetzung des § 850i ZPO ist jedoch nicht darauf gerichtet, dem Schuldner die Fortführung seiner selbständigen Tätigkeit zu ermöglichen.

Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters

Wurde eine selbständige Tätigkeit des Schuldners gem. § 35 Abs. 2 InsO vom Verwalter freigegeben, so unterliegen die Einkünfte aus einer solchen Tätigkeit in voller Höhe nicht dem Insolvenzbeschlag, auch wenn sie die Freigrenzen des § 850c ZPO übersteigen. § 35 Abs. 2 InsO geht der Vorschrift des § 36 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 850i ZPO vor. Es besteht jedoch die in § 35 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 295a InsO normierte Abführungspflicht seitens des Schuldners (vgl. Teil 3/7.13.3).