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Mindestlohn: Welche Zahlungen werden angerechnet?

Wann können Sonderzahlungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld beim Mindestlohn angerechnet werden? Nach einem BAG-Urteil hängt dies davon ab, ob Entgeltzahlungen eine Gegenleistung für die geleistete Arbeit darstellen und sie dem Arbeitnehmer endgültig verbleiben. Anders stellt sich dies bei Zahlungen dar, die nicht auf der Arbeitsleistung, sondern auf besonderen Zweckbestimmungen beruhen.

Sachverhalt

Die Servicekraft einer Cafeteria ist seit 1992 mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden beschäftigt. Neben dem Monatsgehalt von zuletzt 1.391,36 €, das auf Basis des vereinbarten Stundensatzes vergütet wird, sieht der Arbeitsvertrag die Zahlung von Überstunden-, Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschlägen vor. Darüber hinaus erhält die Servicekraft Urlaubsgeld und eine Sonderzuwendung (Weihnachtsgeld), die im Mai bzw. November des jeweiligen Jahres fällig sind.

Nachdem die Servicekraft das Angebot ihrer Arbeitgeberin abgelehnt hatte, die Jahressonderzahlungen durch eine wertgleiche Erhöhung der monatlichen Bezüge abzulösen,  schloss diese im Dezember 2014 eine Betriebsvereinbarung mit folgender Regelung: „Arbeitsvertraglich vereinbarte Sonderzahlungen (Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld) sind in Höhe von 1/12 für jeden Kalendermonat zur betriebsüblichen Fälligkeit der Monatsvergütung zur Zahlung fällig.“ Seit Januar 2015 zahlt die Arbeitgeberin monatlich neben dem vereinbarten Bruttogehalt unter den Bezeichnungen „Urlaubsgeld 1/12“ und „Sonderzuwendung 1/12“ jeweils weitere 57,97 € aus. Damit war die Arbeitnehmerin aber nicht einverstanden und klagte.

Das ArbG Brandenburg/Havel hat die Klage mit Urteil vom 19.08.2015 (3 Ca 260/15) abgewiesen, das LAG Berlin-Brandenburg die dagegen gerichtete Berufung mit Urteil vom 12.01.2016 (19 Sa 1851/15) zurückgewiesen. Die (zugelassene) Revision der Klägerin hat das BAG mit Urteil 25.05.2016 (5 AZR 135/16) zurückgewiesen.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Der Arbeitgeber schuldet den gesetzlichen Mindestlohn für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde. Er erfüllt den Anspruch von Entgeltzahlungen, die er als Gegenleistung für erbrachte Arbeit leistet, soweit diese Zahlungen dem Arbeitnehmer endgültig verbleiben. Die Erfüllungswirkung fehlt nur solchen Zahlungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf die tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung (z.B. § 6 Abs. 5 ArbZG) beruhen. Auch vorbehaltlos und unwiderruflich in jedem Kalendermonat zu 1/12 geleisteten Jahressonderzahlungen kommt Erfüllungswirkung für den jeweiligen Monat zu.

Folgerungen aus der Entscheidung

Das BAG hat mit dem Urteil vom 25.06.2016 eine Richtungsentscheidung von grundsätzlicher Bedeutung für die Auslegung des Mindestlohngesetzes (MiLoG) getroffen. Zum einen steht fest, dass der gesetzliche Anspruch auf Mindestlohn nur für effektiv geleistete Arbeit geschuldet wird. Folglich wird für Zeiten der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 3 EntgFG), Entgeltfortzahlung für Feiertage (§ 2 Abs. 1 EntgFG) und der Vergütung für Zeiten bezahlten Urlaubs (§ 11 BUrlG) der gesetzliche Mindestlohn nicht unmittelbar geschuldet (so schon BAG, Urt. v. 13.05.2015 – 10 AZR 191/14, – 10 AZR 335/14 für Branchenmindestlohn nach AEntG).

Außerdem hat das BAG für die Frage, welche Vergütungsbestandteile geeignet sind, den gesetzlichen Mindestlohnanspruch zu erfüllen, ein Regel-Ausnahme-Verhältnis begründet. Grundsätzlich erfüllt jede Entgeltzahlung, die der Arbeitgeber als Gegenleistung für tatsächlich erbrachte Arbeit leistet, den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Dabei kommt es nicht auf die Bezeichnung der Leistung an, sondern auf das gemeinsame Verständnis der Parteien. Wird Urlaubsgeld unabhängig davon gewährt, ob tatsächlich Urlaub in Anspruch genommen wird, handelt es sich um eine „saisonale Sonderleistung“, nicht hingegen um eine Leistung, die dazu bestimmt ist, erhöhte Aufwendungen für Urlaub abzugelten.

Sicher ist damit, dass Zuschläge nach § 6 Abs. 5 ArbZG und vermögenswirksame Leistungen nach dem 5. VermBG sowie Zahlungen, die ausdrücklich die Betriebstreue honorieren, nicht geeignet sind, den gesetzlichen Mindestlohnanspruch zu erfüllen. Von ganz wesentlicher Bedeutung ist die Tatsache, dass das BAG der abweichenden Fälligkeitsregelung in der Betriebsvereinbarung Vorrang vor den ausdrücklichen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen eingeräumt hat.

Hierin liegt eine ausdrückliche Bestätigung des Urteils vom 05.03.2013 (1 AZR 417/12), dass vom Arbeitgeber gestellte Arbeitsbedingungen grundsätzlich betriebsvereinbarungsoffen sind. Die Betriebsparteien konnten deshalb durch Betriebsvereinbarung unabhängig von der Günstigkeit des Arbeitsvertrags normative und zwingende Regelungen schaffen. Die Vorschrift des § 271 Abs. 2 BGB hätte es dem Arbeitgeber nur erlaubt, das im Mai fällige Urlaubsgeld vor Fälligkeit auszuzahlen, nicht aber den Fälligkeitszeitpunkt hinauszuschieben.

Praxishinweis

Der Gesetzgeber hat mit Schaffung des MiLoG, das in Bezug auf die wesentlichen arbeitsrechtlichen Regelungen doch sehr übersichtlich gestaltet ist, erhebliche Rechtsunsicherheit hervorgerufen. Offensichtlich ist das BAG bemüht, der Rechtspraxis so schnell wie möglich Rechtssicherheit zu verschaffen. Zwischen der Verkündung des Urteils des LAG Berlin-Brandenburg am 12.01.2016 und dem Urteil des BAG sind gerade einmal viereinhalb Monate vergangen. Über die Revision gegen das Urteil des LAG Köln vom 15.10.2015 (8 Sa 540/15) hat das BAG am 29.06.2016 entschieden. Es gilt also, die rasante Entwicklung der Rechtsprechung zu beobachten.

BAG, Urt. v. 25.05.2016 - 5 AZR 135/16

Quelle: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Kolmhuber