Erbrecht -

Auslegung eines gemeinschaftlichen notariellen Testaments

OLG München, Beschluss vom 16.07.2012 - 31 Wx 290/11

Auch in einem notariellen Testament kann eine Pflichtteils- und Wiederverheiratungsklausel für einen dahingehenden Willen der Erblasser sprechen, dass ihre Kinder trotz Fehlens einer ausdrücklichen Schlusserbeneinsetzung Erben nach dem Letztversterbenden sein sollen.

Darum geht es:

Der 2010 verstorbene Erblasser errichtete 1992 zusammen mit seiner im Jahr 2000 vorverstorbenen Ehefrau ein notarielles Testament, in dem diese sich gegenseitig als Erben einsetzen. Wörtlich heißt es weiter:
„Der überlebende Teil ist hinsichtlich unseres beweglichen und unbeweglichen Vermögens unbeschränkter Vollerbe, falls er nicht wieder heiratet. Sollte der überlebende Teil wieder heiraten, so wird er nur als Vorerbe eingesetzt. Er ist als solcher hinsichtlich unseres beweglichen und unbeweglichen Vermögens von allen gesetzlichen Beschränkungen befreit, soweit dies möglich und nicht durch Teilungsanordnung bezüglich einzelner Gegenstände gesondert geregelt ist. Der Nacherbfall tritt mit der Wiederverheiratung des überlebenden Teils ein.
Als Nacherben bestimmen wir unsere gemeinschaftlichen ehelichen Abkömmlinge ... zu gleichen Teilen...
Sollte einer unserer Erben nach dem Tode des Erstversterbenden die Auszahlung seines Erbteils verlangen, so soll er auf den Pflichtteil gesetzt werden. Sollte der vorgenannte Fall eintreten, so soll das Kind, das die Auszahlung verlangt hat, auch nach dem Tod des Längstlebenden nur seinen Pflichtteil erhalten."
Im Jahr 2007 errichtete der Erblasser ein weiteres notarielles Testament, in dem er seine Lebensgefährtin als Alleinerbin einsetzte und die Kinder ausdrücklich auf den Pflichtteil setzte. Zudem widerrief er sämtliche früheren Verfügungen von Todes wegen.
Die Lebensgefährtin beantragte auf Grundlage dieses Testaments einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweist. Hiergegen wandten sich die beiden Kinder des Erblassers. Sie sind der Auffassung, dass sie durch das gemeinschaftliche Testament von 1997 wechselbezüglich und damit bindend als Schlusserben bestimmt wurden.
Das Nachlassgericht wies den Antrag der Ehefrau zurück.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Ehefrau hatte ebenfalls keinen Erfolg.
Der Erblasser konnte wegen § 2289 Abs. 1 BGB analog nicht erneut testieren. Die Eheleute hatten im gemeinschaftlichen Testament von 1997 eine Schlusserbeneinsetzung getroffen, die wechselbezüglich i.S.d. § 2270 BGB war. Der Widerruf im zweiten Testament war wegen § 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB unwirksam.
Zunächst legt das OLG München das gemeinschaftliche Testament von 1997 dahingehend aus, dass trotz der fehlenden expliziten Regelung eine Schlusserbeneinsetzung gewollt war.
Insbesondere würde hierfür die von den Testierenden angeordnete kombinierte Pflichtteils- und Wiederverheiratungsklausel sprechen. Diese legt den Schluss nahe, dass die Eheleute eine umfassende und abschließende Verfügung über ihr Nachlassvermögen treffen und sie auch den zweiten Erbfall regeln wollten. Zudem weist die Anordnung beider Klauseln in Kombination darauf hin, dass die Eheleute ihr Vermögen als Einheit angesehen haben und davon ausgingen, dass die gemeinsamen Kinder grundsätzlich nach dem Tod des überlebenden Ehegatten das dann noch vorhandene gemeinsame Vermögen erhalten sollten.
Durch die ausdrückliche Nacherbeneinsetzung im Wiederverheiratungsfall und der Anordnung der Pflichtteilsklausel findet sich im Testament auch eine hinreichende Andeutung für eine Schlusserbeneinsetzung.
Anschließend legte das OLG München das gemeinschaftliche Testament dahingehend aus, dass die Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder wechselbezüglich und damit bindend ist. Hilfsweise hätte auch ergänzend die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB herangezogen werden können.

Folgerungen aus der Entscheidung:

Die Entscheidung zeigt fast lehrbuchmäßig auf, wie ein gemeinschaftliches Ehegattentestament auszulegen und die Wechselbezüglichkeit i.S.d. § 2270 BGB zu ermitteln ist.
Ob die Anordnung lediglich einer Pflichtteilsklausel (ohne Wiederverheiratungsklausel) den Schluss nahe legt, dass die Pflichtteilsberechtigten auch ohne explizite Regelung Schlusserben werden sollen, wird bisher in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beantwortet. Es liegen sogar unterschiedliche OLG-Rechtsprechungen vor.
Da im vorliegenden Testament jedoch daneben bzw. in Kombination auch eine Wiederverheiratungsklausel angeordnet worden war, musste diese Frage hier nicht durch das OLG München entschieden werden.

Praxishinweis:

Immer wieder kommt es vor, dass insbesondere in handschriftlichen gemeinschaftlichen Testamenten die ausdrückliche Schlusserbeneinsetzung der Kinder „vergessen" wird.
Bei der Auslegung eines solchen Testaments sind sämtliche zugänglichen Erkenntnismittel auszuschöpfen.
Innerhalb des Testaments können daher die Wortwahl und weitere Anordnungen wie z.B. eine Pflichtteils- und/oder Wiederverheiratungsklausel auf eine gewollte Schlusserbeneinsetzung hinweisen.

Quelle: RA Ralf Mangold - vom 23.10.12