Erbrecht -

Sanktionswunsch berechtigt nicht zum Rücktritt vom Erbvertrag

Die Regelung des § 2295 BGB setzt die Beendigung der Leistungspflicht als Beweggrund für den Rücktritt vom Erbvertrag voraus. Dagegendient sie dem Erblasser nichtals Sanktion für Nicht- oder Schlechterfüllung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der schuldrechtlichen Verpflichtung.

Die Entscheidung: OLG München, Beschl. v. 16.04.2009 — 31 Wx 90/08, DRsp Nr. 2009/10879

Leitsätze:

1. Dass eine vertragsmäßige Erbeinsetzung „mit Rücksicht“ auf eine in einem gesonderten Überlassungsvertrag enthaltene Unterhaltsverpflichtung des Bedachten vorgenommen wurde, kann regelmäßig nicht allein aus dem Umstand geschlossen werden, dass beide Verträge am gleichen Tag abgeschlossen wurden.

2. Die Aufhebung der Gegenverpflichtung muss zumindest einen Beweggrund für den Rücktritt nach § 2295 BGB darstellen. Daran fehlt es, wenn der Erblasser die Aufhebung der Verpflichtung bestreitet.

Darum geht es
Die kinderlose, verwitwete Erblasserin verstarb am 05.04.2007; ihr Ehemann ist 1985 vorverstorben. Mit Erbvertrag vom 20.11.1970, der auch mit dem angenommenen Sohn des Erblassers aus erster Ehe geschlossen wurde, setzten sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben und den Sohn als Schlusserben ein. Mit notariellem Vertrag vom selben Tag übertrug der Ehemann seine in Gemeinschaft mit dem Sohn ausgeübte Zahnarztpraxis auf diesen. Der Sohn verpflichtete sich darin zur Zahlung einer wertgesicherten monatlichen Unterhaltsrente von 1.000 DM an den Übergeber auf dessen Lebensdauer und von 600 DM an die Ehefrau des Übergebers nach dessen Ableben. Mit der Beendigung seiner beruflichen Tätigkeit stellte der Sohn ab September 1999 die Zahlung der Unterhaltsrente an die Erblasserin ein, nach seinem Vortrag in Absprache mit dieser.

Im Jahr 2002 erteilte die Erblasserin dem Sohn eine notarielle Vorsorgevollmacht. Diese widerrief sie 2006 und forderte ihn außerdem zur Zahlung der Unterhaltsrente für die letzten sechs Jahre auf. Schließlich erklärte die Erblasserin mit notarieller Urkunde vom 30.06.2006 den Rücktritt vom Erbvertrag mit der Begründung, der Bedachte habe eine erteilte Vollmacht missbraucht, ihr Vermögen veruntreut und aus ihrer Wohnung Gegenstände entwendet. Wenige Tage später setze die Erblasserin ihre Nichte zur Alleinerbin ein. Der Nachlasswert beträgt rund 110.000 €.

Das Nachlassgericht kündigte mit Beschluss vom 08.02.2008 die Erteilung des von der Nichte beantragten Erbscheins an. Die Beschwerde des Sohnes hat das Landgericht zurückgewiesen. Seine hiergegen eingelegte weitere Beschwerde zum OLG hat Erfolg.

Entscheidungsgründe

Das Landgericht hat zu Unrecht angenommen, dass die Erblasserin wirksam nach § 2295 BGB vom Erbvertrag zurückgetreten sei.

Gemäß § 2295 kann der Erblasser von einer vertragsmäßigen Verfügung zurücktreten, wenn die Verfügung mit Rücksicht auf eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Bedachten, dem Erblasser für dessen Lebenszeit wiederkehrende Leistungen zu entrichten, insbesondere Unterhalt zu gewähren, getroffen ist und die Verpflichtung vor dem Tode des Erblassers aufgehoben wird.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Erbeinsetzung des Sohnes durch die Erblasserin jedoch nicht „mit Rücksicht auf die im Überlassungsvertrag übernommene Unterhaltsverpflichtung erfolgt. Vielmehr wurden am 20.11.1970 zwei gesonderte, notariell beurkundete Verträge abgeschlossen, nämlich der Praxisüberlassungsvertrag zwischen dem Ehemann der Erblasserin und seinem Sohn, in dem sich letzterer zur Zahlung der lebenslänglichen Unterhaltsrente an den Übergeber bzw. dessen Ehefrau verpflichtete, sowie der Erbvertrag zwischen den Ehegatten und dem Sohn, in dem sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben und den Sohn als Schlusserben einsetzten.

Nachdem der Erbvertrag vom 20.11.1970 keine ausdrückliche Regelung dazu enthielt, ob die Erbeinsetzung des Sohnes „mit Rücksicht“ auf die Unterhaltsverpflichtung erfolgt ist, war dies durch Auslegung zu ermitteln.

Dabei kann allein aus der Tatsache, dass der Praxisüberlassungsvertrag und der Erbvertrag am selben Tag vor demselben Notar geschlossen worden sind, nicht geschlossen werden, dass eine vertragsmäßige Erbeinsetzung „mit Rücksicht“ auf eine in einem gesonderten Überlassungsvertrag enthaltene Unterhaltsverpflichtung des Bedachten vorgenommen wurde.

§ 2295 BGB wurde geschaffen, für sogenannte "Verpfründungsverträge" und ähnliche Verträge, bei denen sich der im Erbvertrag Bedachte verpflichtet, zum Ausgleich für die vertragsmäßige Zuwendung (Erbeinsetzung oder Vermächtnis) dem Erblasser auf Lebenszeit wiederkehrende Leistungen zu erbringen (vgl. Staudinger/Kanzleiter § 2295 Rn. 1). Die Verpflichtung des Bedachten muss den oder doch einen Beweggrund für die vertragsmäßige Verfügung des Erblassers darstellen (Staudinger/Kanzleiter § 2295 Rn. 2). Die Vertragsteile müssen sich einig sein über die Zweckgebundenheit der erbvertraglichen Zuwendung einerseits und der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung des Vertragspartners andererseits (Reimann/Bengel/J. Mayer § 2295 Rn. 7; einschränkend MünchKommBGB/Musielak 4. Aufl. § 2295 Rn. 3: der Bedachte muss den Zusammenhang kennen, ihm aber nicht ausdrücklich zustimmen).

Die gesamten Umstände und der Inhalt der notariell beurkundeten Verträge sprechen hier jedoch dafür, dass die Beteiligten bei Vertragsabschluss keinen Zusammenhang zwischen Praxisüberlassung und Erbvertrag herstellen wollten und die vom Sohn übernommene Unterhaltsverpflichtung ausschließlich die Gegenleistung für die Praxisüberlassung darstellen sollte.

Darüber hinaus fehlt es auch an den weiteren Voraussetzungen des § 2295 BGB für einen wirksamen Rücktritt vom Erbvertrag. Erforderlich ist, dass die rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Bedachten vor dem Tod des Bedachten aufgehoben bzw. beendet wird, sei es durch Rücktritt oder Kündigung. Nichterfüllung, nicht rechtzeitige Erfüllung oder Schlechterfüllung genügen nicht, weil sie als solche die Vertragspflicht des Bedachten zunächst unberührt lassen. Die Aufhebung der Leistungspflicht muss wenigstens einen Beweggrund für die Ausübung des Rücktrittsrechts darstellen. Im Gegensatz dazu hat die Erblasserin vorliegend nach dem von ihr am 30.06.2006 erklärten Rücktritt das Fortbestehen der Leistungspflicht des Sohnes geltend gemacht. Eine einvernehmliche Einstellung der Zahlung hat die Erblasserin nachdrücklich bestritten. Somit war keine Aufhebung der Leistungspflicht erfolgt und konnte folglich auch keinen Beweggrund für den Rücktritt der Erblasserin darstellen.

Quelle: Online-Redaktion - Beitrag vom 06.07.09