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Gesellschafterbeschluss und Treuepflicht

Die Treuepflicht bindet den Gesellschafter nur im Ausnahmefall bei seiner Stimmabgabe in einer Gesellschafterversammlung. Ein Gericht darf einen gefassten Beschluss nicht allein deshalb beanstanden, weil er unzweckmäßig zu sein scheint. Die Beurteilung der Zweckmäßigkeit einer Maßnahme ist grundsätzlich Aufgabe der Gesellschafter. Das hat der BGH entschieden.

Sachverhalt

Die X-GmbH hielt Beteiligungen an verschiedenen anderen GmbHs, die jeweils Verbrauchermärkte betrieben. An ihr war die B-AG mit rund 78 % beteiligt. Die restlichen Anteile von knapp 22 % hielt die A-GmbH. Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung der X-GmbH erforderten eine Mehrheit von 80 %.

Die Geschäftsführung der X-GmbH erarbeitete Vorschläge für die Eröffnung neuer Standorte im In- und Ausland. Sie legte diese entsprechend der bisherigen Praxis den Gesellschaftern zur Zustimmung im Umlaufverfahren vor. Die B-AG teilte der Geschäftsführung mit, dass sie keine Einwände gegen die vorgeschlagenen Standortmaßnahmen habe, eine Vorlage an Organe der X-GmbH jedoch nicht erforderlich sei. Die A-GmbH beantragte gegenüber der Geschäftsführung der X-GmbH, die Beschlussfassung über die Standortmaßnahmen auf die Tagesordnung der bereits anberaumten nächsten Gesellschafterversammlung zu nehmen.

Die Gesellschafterversammlung der X-GmbH stimmte vielen der vorgeschlagenen Standortmaßnahmen einvernehmlich zu. In einigen Fällen stimmte die B-AG gegen die vorgeschlagenen Maßnahmen, in drei Fällen enthielt sie sich der Stimme; die A-GmbH stimmte in allen Fällen für die vorgeschlagenen Maßnahmen. Die B-AG hatte dazu vor der Abstimmung erklärt, dass sie in diesen Fällen nicht aus inhaltlichen, sondern nur aus formalen Gründen eine ablehnende Stimme abgebe oder sich enthalte, weil diese Maßnahmen jeweils nicht von der Gesellschafterversammlung zu beschließen seien, sondern von der Geschäftsführung ohne Zustimmung der Gesellschafter durchgeführt werden könnten.

Mit ihrer Klage hat die A-GmbH sowohl die Nichtigerklärung der mit der Stimmenmehrheit der B-AG beschlossenen Ablehnung als auch die Feststellung begehrt, dass in diesen Fällen sowie in den Fällen, in denen sich die B-AG der Stimme enthalten habe, jeweils positiv festgestellt werde, dass die Gesellschafterversammlung der A-GmbH die Umsetzung der jeweiligen Standortmaßnahmen beschlossen habe.

Das LG Ingolstadt hat mit Urteil vom 15.10.2013 (1 HKO 188/13) die Klage abgewiesen. Auf die Berufung hat das OLG München mit Urteil vom 14.08.2014 (23 U 4744/13) der Anfechtungsklage und der positiven Beschlussfeststellungsklage mit der Begründung, die Stimmabgabe der B-AG sei treuwidrig gewesen und daher nichtig, insoweit stattgegeben, als die B-AG mit Nein gestimmt hat (neun Standortmaßnahmen). Das OLG München hat die Revision zugelassen.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Der BGH setzt sich mit der Zustimmungsverpflichtung eines Gesellschafters zu einer Geschäftsführungsmaßnahme ebenso wie mit dessen Zustimmungsverpflichtung zur Änderung des Gesellschaftsvertrages auseinander.

Danach reicht es nicht aus, dass eine Maßnahme im Interesse der Gesellschaft liegt, die Zwecke der Gesellschaft fördert und die Zustimmung dem Gesellschafter zumutbar ist, um eine Zustimmungspflicht des Gesellschafters zu begründen oder eine entgegenstehende Stimmabgabe als unwirksam einzustufen. Aufgrund der Treuepflicht muss nur dann in einem bestimmten Sinn abgestimmt werden, wenn die zu beschließende Maßnahme zur Erhaltung wesentlicher Werte, die die Gesellschafter geschaffen haben, oder zur Vermeidung erheblicher Verluste, die die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter erleiden könnten, objektiv unabweisbar erforderlich ist und den Gesellschaftern unter Berücksichtigung ihrer eigenen schutzwürdigen Belange zumutbar ist. Der Gesellschaftszweck und das Interesse der Gesellschaft müssen gerade diese Maßnahme zwingend gebieten. Der Gesellschafter hat keinen vertretbaren Grund, seine Zustimmung zu verweigern.

Deswegen ist ein Gesellschafter in der Ausübung seines Stimmrechts frei, soweit sie ihm nicht schon nach § 47 Abs. 4 GmbHG untersagt ist und er die durch die Treuepflicht gezogenen Grenzen einhält. Eine Rechtspflicht zur Zustimmung von Maßnahmen der Geschäftsführung, die diese oder die Mitgesellschafter für sinnvoll halten, besteht grundsätzlich nicht.

Auch die Beurteilung der Zweckmäßigkeit einer Maßnahme ist Aufgabe der Gesellschafter. Die Gesellschafter müssen hinnehmen, dass eine Maßnahme unterbleibt, wenn einer von ihnen nach eigener Beurteilung der Sachlage nicht zustimmen will, auch wenn ihnen die Ablehnung oder die dazu möglicherweise abgegebene Begründung falsch oder töricht erscheint. Der Gesellschafter muss aus diesem Grund seine Stimmabgabe auch nicht rechtfertigen. Weil die Stimmabgabe der B-AG sich in den Grenzen der Treupflicht hielt, sah der BGH keinen Grund, der Klage statt zu geben.

Folgerungen aus der Entscheidung

Für den BGH kann ein Gesellschafter die Zustimmung zu einer vorgeschlagenen Maßnahme verweigern, soweit er durch die Treuepflicht nicht zur Zustimmung verpflichtet ist, selbst wenn seine Beweggründe dafür sachwidrig und unverständlich erscheinen. Das Gericht darf einen Beschluss nicht deshalb beanstanden, weil er unzweckmäßig oder nicht im Interesse der Gesellschaft zu sein scheint. Gleichzeitig kann auch die Ablehnung eines Beschlussantrags nicht allein deshalb beanstandet werden, weil der Beschluss zweckmäßig erscheint und im Interesse der Gesellschaft liegt.

Eine Beschränkung dieser Stimmrechtsausübungsfreiheit kommt lediglich ausnahmsweise in Frage, wenn der Gesellschaftszweck objektiv eine bestimmte Maßnahme zwingend gebietet – wenn also die zu beschließende Maßnahme zur Erhaltung des Geschaffenen oder zur Vermeidung von Verlusten dringend geboten  und dem Gesellschafter die Zustimmung zumutbar ist. Die Treuepflicht gebietet es zwar, sich bei der Stimmabgabe grundsätzlich von den Interessen der Gesellschaft leiten zu lassen.

Wie die Interessen der Gesellschaft am besten gewahrt bleiben, haben aber grundsätzlich die Gesellschafter zu beurteilen. Eine Pflicht zur Abstimmung in einem bestimmten Sinn besteht daher nur, wenn zur Verfolgung der Interessen der Gesellschaft keine andere Stimmabgabe denkbar ist, sonst nur schwere Nachteile entstehen und die eigenen Interessen des Gesellschafters dahinter zurückstehen müssen.

Praxishinweis

Die Entscheidung zeigt deutlich, wie wichtig es ist, dass ein Gesellschafter sich darüber im Klaren ist, ob seine Stimmgabe objektiv durch den Gesellschaftszweck nur eine bestimmte Maßnahme gebietet – was nur der Ausnahmefall sein wird – oder ob er an der Stimmabgabe gehindert ist. Ansonsten ist der Gesellschafter völlig frei in seinem Stimmverhalten. Allerdings klingt dies in der Theorie einfach – in der Praxis wird es immer auf den Einzelfall ankommen und wohl regelmäßig ein angerufenes Gericht entscheiden müssen, ob der Ausnahmefall einschlägig ist. Gleichwohl ist die Entscheidung des BGH zu begrüßen, weil das Gericht klare Vorgaben macht.

BGH, Urt. v. 12.04.2016 - II ZR 275/14

Quelle: Rechtsanwalt und Steuerberater Axel Scholz