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Gesellschafterversammlung: Reichweite der Treuepflicht

Die Treuepflicht des Gesellschafters bestimmt dessen Abstimmungsverhalten nur, wenn lediglich eine Entscheidung objektiv erforderlich ist. Ein Gericht darf einen Beschluss nicht deshalb beanstanden, weil er unzweckmäßig oder nicht im Interesse der Gesellschaft zu sein scheint. Das hat das OLG München entschieden und damit die Reichweite der gesellschafterlichen Treuepflicht erläutert.

Sachverhalt

Die Gesellschafter einer GmbH gliedern sich in die zwei Familienstämme R und S. Geschäftsführer war ein Mitglied des Familienstammes S. Nachdem dieser abberufen worden war, sollte in der Gesellschafterversammlung beschlossen werden, eine Personalagentur für die Suche eines neuen Geschäftsführers einzuschalten. Dieser Beschluss fand jedoch keine Mehrheit, weil der Familienstamm S, der den abberufenen Geschäftsführer gestellt hatte, dem nicht zustimmte. Dieses Verhalten hielt der Familienstamm R für treuwidrig und erhob Klage.

Das LG Landshut hat die Klage mit Urteil vom 02.09.2015 (1 HK O 253/15) teilweise abgewiesen. Das OLG München hat die Berufung ebenfalls teilweise zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Nach Ansicht des OLG München mussten die Gesellschafter der Familie S dem Beschlussantrag nicht aufgrund ihrer Treuepflicht zustimmen. Die Grundlage der gesellschafterlichen Treuepflicht bildet der Gesellschaftsvertrag, der damit auch deren Inhalt und Umfang bestimmt. Dabei ist ein Gesellschafter grundsätzlich in seinem Abstimmungsverhalten frei.

Dass eine Maßnahme im Interesse der Gesellschaft liegt, die Zwecke der Gesellschaft fördert und die Zustimmung dem Gesellschafter zumutbar ist, reicht regelmäßig nicht aus, um eine Zustimmungspflicht des Gesellschafters zu begründen oder eine entgegenstehende Stimmabgabe als unwirksam anzusehen. Aufgrund der Treuepflicht muss lediglich dann in einem bestimmten Sinn abgestimmt werden, wenn die zu beschließende Maßnahme zur Erhaltung wesentlicher Werte, die die Gesellschafter geschaffen haben, oder zur Vermeidung erheblicher Verluste, die die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter erleiden könnten, objektiv unabweisbar erforderlich und ihnen somit unter Berücksichtigung eigener schutzwürdiger Belange zumutbar ist.

Der Gesellschaftszweck und das Interesse der Gesellschaft müssten also diese entsprechende Maßnahme zwingend gebieten, sollte der Gesellschafter seine Zustimmung ohne vertretbaren Grund verweigern.

Vor diesem Hintergrund folgte aus der Treuepflicht hier keine Verpflichtung, dem Beschluss zuzustimmen, die Suche nach einem Geschäftsführer ggf. unter Einschaltung einer Personalagentur aufzunehmen. Nach § 6 Abs. 1 GmbHG muss zwar jede GmbH mindestens einen Geschäftsführer haben. Aber die Einschaltung einer Personalagentur zur Suche nach geeigneten Kandidaten ist nicht unabweisbar erforderlich, auch wenn zwischen den Gesellschafterfamilien R und S seit Jahren Uneinigkeit über die Nachfolge des bisherigen Geschäftsführers bestand und besteht. An diesem Umstand ändert auch die Einschaltung einer Personalagentur nicht zwangsläufig etwas, sodass weder der Gesellschaftszweck noch das Interesse der Gesellschaft die Einschaltung einer Personalagentur zwingend erfordern.

Folgerungen aus der Entscheidung

Das OLG München folgt uneingeschränkt dem BGH hinsichtlich der Grundsätze zum Abstimmungsverhalten, das aus der gesellschafterlichen Treuepflicht abgeleitet wird: Die Treuepflicht verlangt zwar, sich bei der Stimmabgabe grundsätzlich von den Interessen der Gesellschaft leiten zu lassen. Wie die Interessen der Gesellschaft am besten gewahrt bleiben, haben aber grundsätzlich die Gesellschafter zu beurteilen.

Soweit der Gesellschafter durch die Treuepflicht nicht zur Zustimmung verpflichtet ist, kann er diese zu einer vorgeschlagenen Maßnahme verweigern, selbst wenn seine Beweggründe dafür sachwidrig und unverständlich erscheinen. Das Gericht darf einen Beschluss nicht deshalb beanstanden, weil er unzweckmäßig oder nicht im Interesse der Gesellschaft zu sein scheint. Umgekehrt kann auch die Ablehnung eines Beschlussantrags nicht allein deshalb beanstandet werden, weil der Beschluss zweckmäßig erscheint und im Interesse der Gesellschaft liegt.

Praxishinweis

Die Entscheidung zeigt deutlich, wie wichtig es ist, dass sich die Gesellschafter vor einer Abstimmung Gedanken darüber machen, welche Maßnahme der Gesellschaftszweck und das Interesse der Gesellschaft objektiv zwingend gebieten. Abhängig davon, wie diese Frage beantwortet wird, ist abzuschätzen, welches Abstimmungsverhalten die Treuepflicht vom Gesellschafter verlangt. Das Problem besteht allerdings wohl darin, zutreffend einzuschätzen, was das Gericht als objektiv erforderlich ansehen wird. Wie das Urteil des OLG München zeigt, sollte sich jeder Gesellschafter zunächst nach den Interessen der Gesellschaft richten, bevor er seine eigenen Interessen in den Vordergrund stellt.

OLG München, Urt. v. 23.06.2016 - 23 U 4531/15

Quelle: Rechtsanwalt und Steuerberater Axel Scholz