Arbeitsrecht, Sozialrecht -

BEM bei Versetzung aus gesundheitlichen Gründen?

Ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) ist keine formelle Voraussetzung für eine wirksame Versetzung. Dies gilt auch dann, wenn die Versetzung mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers begründet wird. Eine Versetzung von einer Nacht- zu einer Wechselschicht ist demnach vertragsgemäß, wenn sie insgesamt billigem Ermessen entspricht. Das hat das BAG entschieden.

Sachverhalt

Ein Industrieunternehmen beschäftigt 17 Arbeitnehmer in Wechselschicht (Früh- und Spätschicht) und sechs Arbeitnehmer in Nachtschicht (21 Uhr bis 5 Uhr). Ein Maschinenbediener leistete seit 1994 zunächst Wechselschicht. Seit 2005 wurde er fast ausschließlich in der Nachtschicht eingesetzt. In den Jahren 2013 und 2014 war er jeweils an 35 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. In der Zeit vom 02.12.2014 bis 26.02.2015 war der Maschinenbediener aufgrund einer suchtbedingten Therapiemaßnahme arbeitsunfähig. Im Anschluss wurde er wieder in der Nachtschicht eingesetzt.

Am 25.03.2015 fand ein sogenanntes Krankenrückkehrgespräch statt, das der Arbeitgeber nicht als Maßnahme des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) durchführte bzw. ausgestaltete, insbesondere im Hinblick auf die gem. § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX erforderlichen Hinweise auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten.

Am selben Tag ordnete die Beklagte an, dass der Kläger seine Arbeit ab dem 07.04.2015 in Wechselschicht zu erbringen habe. Der Arbeitgeber informierte den Betriebsrat über die Umsetzung, die er damit begründete, dass der Arbeitnehmer aufgrund hoher Krankheitszeiten in der Wechselschicht leichter ersetzbar sei als in der Nachtschicht.

Der Maschinenbauer hat Klage vor dem ArbG erhoben und beantragt, den Arbeitgeber zu verurteilen, ihn über den 07.04.2015 zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Maschinenbediener in der Nachtschicht zu beschäftigen, hilfsweise festzustellen, dass die Umsetzung von der Nachtschicht in die Wechselschicht mit Wirkung zum 07.04.2015 rechtswidrig und somit rechtsunwirksam ist.

Das ArbG Pforzheim hat die Klage mit Urteil vom 20.08.2016 (6 Ca 154/15) abgewiesen, das LAG Baden-Württemberg hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das BAG hat das Berufungsurteil auf die – zugelassene – Revision der Beklagten aufgehoben und zur Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Die Durchführung eines BEM i.S.v. § 84 Abs. 2 SGB IX ist keine formelle Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Versetzung. Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Anordnung (auch) auf Gründe gestützt wird, die im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers stehen. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Weisung des Arbeitgebers insgesamt billigem Ermessen i.S.v. § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 1 BGB entspricht. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Parteien haben zu diesen Umständen und den jeweiligen Interessen vorgetragen.

Mangels hinreichender Feststellungen des LAG zu diesen Umständen konnte der Senat nicht abschließend entscheiden. Dies führt zur Zurückverweisung der Sache.

Folgerungen aus der Entscheidung

Das BAG klärt die Bedeutung des BEM für Maßnahmen des Arbeitgebers mit begrüßenswerter Klarheit. Dessen Durchführung ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung einer Kündigung. Ein Verstoß gegen § 84 Abs. 2 SGB IX führt im Falle des Ausspruchs einer Kündigung wegen der krankheitsbedingten Fehlzeiten eines Arbeitnehmers nicht unmittelbar zur Unwirksamkeit der Kündigung sondern nur mittelbar. Das BAG bürdet dann dem Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast in einem Maße auf, dass er dieser nicht genügen kann (vgl. BAG, Urt. v. 10.12.2009 – 2 AZR 198/09).

Auch für die Änderung der Arbeitsbedingungen durch Ausübung des Weisungsrechts ist die Durchführung eines BEM keine Wirksamkeitsvoraussetzung. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, ob es sich bei der Maßnahme um eine Versetzung i.S.d. § 95 Abs. 3 BetrVG oder eine schlichte Umsetzung handelt. Dies gilt selbst dann, wenn der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers Anlass der Maßnahme ist und dessen Inhalt bestimmt.

Hervorzuheben ist, dass auch die Darlegungs- und Beweislast für die Wirksamkeit der Ausübung des Weisungsrechts nicht dadurch beeinflusst wird, dass der Arbeitgeber ein BEM nicht durchgeführt hat, obwohl die Voraussetzungen des § 84 Abs. 2 SGB IX erfüllt sind. Insoweit bedarf es einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls, die von den Parteien vorgetragen und unter Beweis gestellt werden müssen.

Praxishinweis

Anlass des Streits war der geänderte Einsatz des Klägers auf seinem bisherigen Arbeitsplatz, nämlich in der Wechselschicht (Früh- und Spätschicht) anstelle der Nachtschicht. Hierbei handelt es sich nach der Rechtsprechung des BAG (BAG, Beschl. v. 23.11.1993 – 1 ABR 38/93; BAG, Beschl. v. 19.02.1991 – 1 ABR 21/90) nicht um eine zustimmungspflichtige Versetzung i.S.d. §§ 99 Abs. 1, 95 Abs. 3 BetrVG. Durch den Wechsel der Arbeitsschicht ändern sich zwar die Umstände, unter denen die Arbeitsleistung zu erbringen ist. Die Änderung der Arbeitszeit allein bewirkt aber nicht die erhebliche Änderung des Gesamtbilds der Tätigkeit.

Zu Recht hat das BAG auch eine Konkretisierung auf eine bestimmte Lage der Arbeitszeit verneint. Eine solche Konkretisierung tritt nicht bereits dann ein, wenn ein Arbeitnehmer längere Zeit in derselben Weise eingesetzt wurde. Zum reinen Zeitablauf müssen besondere Umstände hinzutreten, die erkennen lassen, dass der Arbeitnehmer nur noch verpflichtet sein soll, seine Arbeit unverändert zu erbringen (BAG, Urt. v.15.09.2009 – 9 AZR 757/08).

BAG, Urt. v. 18.10.2017 – 10 AZR 47/17

Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Dr. Martin Kolmhuber