Die Voraussetzungen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und die Notwendigkeit, Nachweise zu dokumentieren

Im Folgenden stellen wir Ihnen erste praktische Folgefragen vor, die sich aus dem neuen COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz ergeben. Im ersten Teil geht es um die konkreten Voraussetzungen für die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und um die Notwendigkeit, Nachweise zu dokumentieren.

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1. Vermutungsregelungen

Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht aus § 15a InsO sowie § 42 Abs. 2 BGB (Vereine) erfolgt gem. § 1 COVInsAG unter folgenden Voraussetzungen:

  • Die Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung des Unternehmens ist Folge der Pandemie,
  • Es wird vermutet, dass die Zahlungsunfähigkeit auf der Pandemie beruht, wenn der Schuldner am 31.12.2019 noch nicht zahlungsunfähig war.
  • Es dürfen keine Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass Aussichten für eine erfolgreiche Sanierung des Unternehmens künftig nicht gegeben sind.
  • Es wird vermutet, dass Aussicht auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit besteht, wenn der Schuldner am 31.12.2019 noch nicht zahlungsunfähig war.

Der Gesetzgeber will so erreichen, dass die derzeit bestehenden Unsicherheiten und Schwierigkeiten hinsichtlich des Nachweises der Kausalität und der Prognostizierbarkeit der weiteren Entwicklungen in keiner Weise zulasten des Antragspflichtigen gehen.

Durch diese gesetzlichen Vermutungsregelungen werden die betroffenen Unternehmen hinsichtlich ihrer Nachweispflichten deutlich entlastet. Zwingend nachzuweisen ist jedoch immer noch, dass das Unternehmen zum 31.12.2019 zahlungsfähig war. Zur Sicherheit sollten sich auch Unternehmen, die derzeit noch ausreichend Liquidität vorweisen können, auf diese Nachweispflichten vorbereiten.

2. Mögliche Maßnahmen

Empfehlenswert sind insbesondere die folgenden Maßnahmen:

Ergreifung geeigneter Maßnahmen zur Sicherung der Liquidität

  • Prüfung, ob Hilfsmittel beantragt werden können
  • Ggf. zeitnahe Antragsstellung bzgl. Hilfsmittel
  • Überprüfung von Factoring-Möglichkeiten
  • Einführung Debitorenmanagement
  • Check der Reserven (insb. Anlagen- und Umlaufvermögen, Gesellschafterbeiträge, Lieferantenkonditionen, Personalausgaben, Investitionen etc.)

 Überwachung des Unternehmenssituation

  • Aufstellung einer Sanierungsplanung in der Krise; An dieser Stelle verweisen wir auf die Anforderungen an Sanierungskonzepte im IDW S6
  • Erstellung eines Liquiditätsstatus zum 31.12.2019
  • Erstellung einer wöchentlichen Liquiditätsvorausschau für die darauffolgenden 13 Wochen (drei Monate), jeweils unter Einbeziehung der frei verfügbaren Kreditlinien
  • Kreditoren- und Debitorenstatus darstellen
  • Auf Basis einer integrierten monatlichen Unternehmensplanung bestehend aus Ertrags-, Bilanz- und Liquiditätsplanung einschließlich Investitionsplanung ist der erforderliche Kapital- bzw. Finanzierungsbedarf abzuleiten
  • Nachweis einer positiven Fortführungsprognose
  • Laufender Plan-Ist-Wird-Vergleich
  • Aktualisierung der Pläne
  • Überwachung der Gesetzeslage
  • Juristische Überprüfung des Status durch Dritte Hinweis zum Thema Fortführungsprognose:

Basis der Fortbestehensprognose bildet ein Finanz- und Liquiditätsplan,

„der über die Ergebnis- und Bilanzplanung die finanziellen Auswirkungen des Unternehmens- bzw. Sanierungskonzepts (Sollverlauf des Unternehmens) in einer systematischen Gegenüberstellung geplanter Einzahlungen und Auszahlungen (Zahlungsströme) abbildet.“ (IDW, WP Handbuch, Band II, 14. Auflage 2014, S. 242 unter Bezugnahme auf BGH, II ZR 303/05)

In der Theorie der betrieblichen Planung kann die Finanzplanung als Bestandteil der allgemeinen Unternehmensplanung aus den Teilplänen (z.B. Absatzplan, Produktionsplan, Beschaffungsplan, Finanzierungs- und Investitionsplan, Personalplan etc.) abgeleitet werden. Aus § 19 Abs. 2 InsO ergibt sich, dass der Fortbestand des Unternehmens nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. Dies impliziert selbstverständ lich die Unsicherheit jeder Planung.

IDW S 11 formuliert dies in Rdnr. 63 folgendermaßen: „Jeder Planung ist immanent, dass die zugrunde gelegten Annahmen aufgrund nicht vorhersehbarer Umstände nicht eintreten oder anders ausfallen können. Mit zunehmender zeitlicher Entfernung der prognostizierten Ereignisse oder Annahmen vom Beurteilungsstichtag steigt der Grad der Unsicherheit und sinkt der Detaillierungsgrad der Annahmen. Naturgemäß ist deshalb auch die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose – in besonderem Maße für das folgende Geschäftsjahr – mit Unsicherheit behaftet. Der Gesetzgeber hat diese Unsicherheit bei der Definition der Insolvenzeröffnungsgründe gesehen und in Kauf genommen.

Bei der positiven insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose kommt es deshalb darauf an, dass die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit innerhalb des Prognosezeitraums mit überwiegender Wahrscheinlichkeit begründbar ist.“

3. Erstellung einer Liquiditätsbilanz

Aus der BGH-Entscheidung vom 24.05.200514) ergibt sich für eine Liquiditätsbilanz der folgende Leitfaden:

„Demgemäß wird verbreitet davon ausgegangen, zahlungsunfähig sei ein Schuldner, wenn ihm die Erfüllung der fälligen Zahlungspflichten wegen eines objektiven, kurzfristig nicht zu behebenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht möglich sei. Um dies festzustellen, werden im Rahmen einer Liquiditätsbilanz die aktuell verfügbaren (sog. Aktiva I, der Verfasser) und kurzfristig verfügbar werdenden Mittel (sog. Aktiva II, der Verfasser) in Beziehung gesetzt zu den an demselben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten.“ (Vgl. BGH, Urteil v. 24.5.2005, IX ZR 123/04, ZIP 2005 S. 1426 f.; Mock, in Uhlenbruck, InsO, 2015, § 17 InsO Rz. 73, so auch BGH, Beschluss v. 30.8.2011, 2 StR 652/10)

Eine solche Darstellung könnte auch in tabellarischer Form erfolgen, wie die Übersicht in unserem Spezialreport „Insolvenzrechtliche Folgen von Corona“ zeigt (klicken Sie hier für einen kostenlosen Download).

Für die Prognose, die der Geschäftsführer anstellen muss, sobald bei einer Liquiditätsbilanz eine Unterdeckung festzustellen ist, und die er bei jeder vorzunehmenden Zahlung kontrollieren muss, sind die konkreten Gegebenheiten in Bezug auf den Schuldner – insbesondere dessen Außenstände, die Bonität der Drittschuldner und die Kreditwürdigkeit des Schuldners –, auf die Branche und die Art der fälligen Schulden zu berücksichtigen.

Die Darstellung lässt sich also weiter differenzieren:

Dabei werden die Summe aus Kassen- und Bankbeständen sowie die nicht ausgenutzten Kreditlinien auch als Aktiva I bezeichnet. Gemeint sind damit schlussendlich sämtliche sofort verfügbaren Geldmittel. Ergänzend zu den Aktiva I wird auch die Berücksichtigung der sogenannten Aktiva II diskutiert. Darunter versteht man grob gesprochen die innerhalb der folgenden 21 Tage verfügbaren liquiden Mittel.

In der Praxis werden die verfügbaren liquiden Mittel aus der Summe von sämtlichen Kassenbeständen, Guthaben auf Bankkonten und nicht ausgenutzten Kreditlinien ermittelt.

Kurzfristig verwertbare Vermögensgegenstände bezeichnet man in der Praxis als Aktiva II. Die am Stichtag der Liquiditätsbilanz sofort verfügbaren Mittel als Aktiva I.

Jederzeit zu Marktpreisen gehandelte Vermögenswerte wie Wertpapiere und Aktien finden ihre Berücksichtigung noch unter den Aktiva I.

Zu den kurzfristig verwertbaren Vermögensgegenständen gehören beispielsweise auch im 3-Wochen-Zeitraum fällig werdende Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sowie ggf. zusätzlich frei werdende Kreditlinien.

Es könnte im Zusammenhang mit der Berücksichtigung der Aktiva II allenfalls fraglich sein, ob die Berücksichtigung noch eingehender Zahlungen auf Außenstände ggf. unter Berücksichtigung eines angemessenen Wertabschlags erfolgen sollte. Für die Vornahme einer Wertberichtigung spricht die Tatsache, dass der BGH in seinem Beschluss vom 19.07.2007 von den „zu erwartenden Zahlungen“ spricht.

Auf der Passivseite spricht man dann bei den sofort fälligen Verbindlichkeiten von Passiva I.

Auch auf der Passivseite sollte man zwischen Passiva I und Passiva II differenzieren. Mit Passiva II werden die innerhalb der 3-Wochen-Frist fällig werdenden Verbindlichkeiten erfasst.

Die Differenzierung der Passivposten in Passiva I und Passiva II legt auch die Formulierung des BGH in der Entscheidung vom 12.10.2006 nahe:

„Dabei sind die im maßgeblichen Zeitpunkt verfügbaren und innerhalb von 3 Wochen flüssig zu machenden Mittel in Beziehung zu setzen zu den am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten.“

Im Übrigen muss eine Orientierung an der Zwecksetzung der neu gefassten Insolvenzauslösetatbestände zwangsläufig zu einer Berücksichtigung der Passiva II führen. „(…) ein wesentliches Ziel der Insolvenzordnung war,  notwendige Insolvenzverfahren nicht voreilig, so aber doch möglichst frühzeitig zu eröffnen, also marktuntaugliche Unternehmen möglichst früh aus dem Markt zu nehmen. (…) Das spricht dafür, bei der Prognose für den 3-Wochen-Zeitraum auch die Passiva II zu berücksichtigen.“

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Becker / Brechmann

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