Auswirkungen einer Corona-Wirtschaftskrise auf den Elternunterhalt

Falls Sie Mandanten haben, die als Über-100.000-Euro-Großverdiener Elternunterhalt ans Sozialamt zahlen: Bei Liquiditätsengpässen „wegen Corona“ Zahlung einfach einstellen – meint Fachanwältin für Familienrecht Martina Mainz-Kwasniok aus Aachen.

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Angehörigen-Entlastungsgesetz 2020: Was ist der "Stichtag" für die 100.000-Euro-Grenze?

Das Angehörigen-Entlastungsgesetz zum 1.1.2020 hatte mit seiner 100.000-Euro-Grenze schon dafür gesorgt, dass rund 275.000 Kinder weniger von Elternunterhalt betroffen sind – aber es bleiben immer noch genügend sogenannte „Großverdiener“, für die die Heimkosten der Eltern auch 2020 noch ein wichtiges Thema sind.

Auch diese „Zielgruppe“ macht sich aber vielleicht gerade Sorgen, ob sie am Ende des Jahres 2020 wirklich noch als Gutverdiener dastehen. Sei es der selbständige Hotelier, der komplett dicht machen musste; sei es der Geschäftsführer einer Luxusartikel-Firma, deren Umsätze einbrechen; sei es der leitende Angestellte einer Fabrik, die die Produktion eingestellt und auf Kurzarbeit umgestellt hat.

Welcher Handlungsbedarf besteht, wenn man den Elternunterhalt nicht mehr zahlen kann?

Elternunterhalt wird in den wenigsten Fällen „tituliert“ sein. Das wäre nur dann der Fall, wenn es ein Gerichtsverfahren beim Familiengericht gegeben hätte. Für diese zahlenmässig kleine Betroffenengruppe folgen am Ende des Beitrages Ausführungen.

Bei den meisten Zahlungspflichtigen wird der Ablauf so gewesen sein, dass es Schriftverkehr mit dem Sozialhilfeträger gab. Im letzten Schreiben dieses Austausches wird eine Zahlungsaufforderung gestanden haben, an die der Unterhaltspflichtige sich dann „freiwillig“ hielt.

 Auch wenn die Zahlungsaufforderung auf dem Briefbogen einer Behörde stand: es ist kein förmlicher „Bescheid“!

Für die Rechtslage ist das ein wichtiger Gesichtspunkt, denn es bedeutet, dass bei einer einseitigen Einstellung der Zahlungen keine Vollstreckung droht und keine automatischen (unberechtigten) Rückstände auflaufen.

Unabhängig davon, ob sich die Einstellung der Zahlungen also später als gerechtfertigt herausstellt, hat hiermit jeder Unterhaltspflichtige spontan die Möglichkeit, zu Lasten des Staates seine kurzfristigen Liquiditätsengpässe zu überbrücken.

Der Pflichtige kann ganz legal einfach die Zahlung einstellen?

Das ist im Einklang mit dem Gesetz, das immerhin eine Vermutung enthält, dass das unterhaltspflichtige Kind weniger als 100.000 € verdient. Im Unterhaltsrecht geht es dabei immer um eine Prognose der Zukunft, nicht um Einkünfte der Vergangenheit.

Wenn also die Lohnsteuerbescheinigung 2019 oder der letzte Steuerbescheid noch über 100.000 € Einkünfte auswies, aber am Ende des Jahres 2020 feststeht, dass dieses Ziel in 2020 nicht erreicht wurde, dann war ab Januar 2020 tatsächlich kein Unterhalt geschuldet.

Das gilt völlig unabhängig von „Corona“.

Ist das immer so, dass ich erst am Jahresende weiß, ob ich hätte Elternunterhalt zahlen müssen?

Ja, das ist nach dem Angehörigen-Entlastungsgesetz immer so!

Unterhaltsrecht ist Prognose der Zukunft anhand der Umstände der Vergangenheit. Wenn die Zukunft aber nachhaltig und erheblich von der Prognose abweicht, gibt es immer das Recht der Abänderung.

Während man sich in anderen Unterhaltsverhältnissen (Kindesunterhalt und Ehegattenunterhalt) über die Auslegung der Begriffe „nachhaltig“ und „erheblich“ Gedanken machen muss, macht das Angehörigen-Entlastungsgesetz etwas einfacher. 100.000 Euro pro Jahr sind der klare Schnitt. 

Wenn man die im Jahr der Unterhaltspflicht nicht erzielte, war man retrospektiv nicht unterhaltspflichtig.

Da ist auch keine monatsweise Berechnung etwa aus einem Zwölftel von 100.000 Euro vorgesehen.

Dann müsste man immer erst nachträglich zahlen?

Tatsächlich wird das vertreten. Allerdings kann man an ein Sozialamt auch ohne Risiko vorläufig monatlich überweisen und später zurückfordern.

Gegenüber dem Sozialhilfeträger gibt es auch kein Problem bei der Rückforderung.

Zwar ist grundsätzlich zu viel gezahlter Unterhalt nicht rückforderbar, weil der Unterhaltsempfänger dies vertrauensvoll verzehren durfte und damit „entreichert“ ist – diesen Entreicherungseinwand des § 818 Abs. 3 BGB kann aber der Staat nicht für sich beanspruchen.

In „normalen Zeiten“ könnte man nun sagen: Man zahlt halt den Unterhalt monatlich so ans Sozialamt, wie er aufgrund der Zahlen des Vorjahres berechnet worden war – man hat es ja mit einem Schuldner zu tun, der das etwaige „zu viel“ später erstatten würde, und dann freut man sich über den Geldsegen.

In Zeiten, in denen plötzlich Liquidität wegbricht, möchte man vielleicht aber nicht mehr beim Sozialamt zwangssparen.

Was gilt, wenn es doch eine Gerichtsentscheidung zum Elternunterhalt gab?

Der Vorschlag, die Zahlungen auf den Elternunterhalt einstweilen einzustellen, ist allerdings gefährlich, wenn der Unterhalt tituliert ist – siehe oben.

Dann droht nicht nur Zwangsvollstreckung, sondern es laufen auch die Rückstände auf.

Andererseits will man nicht sogleich einen Abänderungsantrag bei Gericht einreichen, denn wenn die Einkommenseinbuße doch nur vorübergehend ist, kamen am Ende des Jahres 2020 vielleicht doch 100.000 € Einkünfte oder mehr zusammen, der Antrag war unbegründet und wird kostenpflichtig abgewiesen.

Lösung für titulierte Fälle?

Teilen Sie dem Sozialamt unter Darlegung ihrer konkreten Einkommenseinbuße (Kurzarbeit, behördliche Schließung, Kinderbetreuungsengpässe) mit, dass Sie bis zur Klärung der künftigen Einkommensverhältnisse die Zahlungen aussetzen möchten und bitten für die betreffenden Monate um Verzicht auf die titulierte Forderung.

Ich bin aufgrund meiner langjährigen praktischen Erfahrungen im Elternunterhalt zuversichtlich, dass die Menschen beim Sozialhilfeträger, die über diese Anfrage zu entscheiden haben, voller Verständnis reagieren.

Denn anders als in sonstigen Unterhaltsverhältnissen leidet niemand persönlich und existentiell unter der Unterhaltskürzung, sondern die Staatskasse füllt die Lücke.

Wie ermittelt man denn die 100.000-Euro-Grenze?

Wer sich ganz grundsätzlich fragt, worauf es bei dieser 100.000-Euro-Grenze ankommt:

  • Nur auf das Einkommen des Kindes, nicht des Schwiegerkindes
  • Nur auf Einkünfte im Sinne des Steuerrechts (kein Wohnvorteil, keine steuerfreien Einkommen)
  • Vom Bruttoeinkommen werden noch Kinderbetreuungskosten nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 EstG und Werbungskosten nach § 9 EstG abgezogen
  • Bei Einkünften aus VuV (Vermietung und Verpachtung) gilt die steuerrechtliche Ermittlung incl. AfA anders als bei der unterhaltsrechtlichen Ermittlung
  • Auf die Höhe des Vermögens kommt es bei der Ermittlung dieser Grenze nicht an

Diese schon länger für die Grundsicherung bestehende Regelung wurde vom Vierten Kapitel in das für alle Leistungen des SGB XII geltende Elfte Kapitel SGB XII verschoben und entsprechend angepasst.

Umfasst sind daher unter anderem auch die Leistungen der Hilfe zur Pflege, der Hilfe zum Lebensunterhalt sowie durch parallele Regelungen außerhalb des SGB XII die reformierte Eingliederungshilfe ab 2020 im Teil 2 SGB IX.

Martina Mainz-Kwasniok, Rechtsanwältin, Mediatorin, Fachanwältin für Familienrecht, Aachen

 

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