Anfechtungstatbestände

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Gesellschafterdarlehen

Neufassung des § 135 InsO

Übergangsregelung

Neufassung des § 135 InsO

Mit dem Gesetz vom 23.10.2008 (BGBl I, 2026 – MoMiG) wurde die Anfechtbarkeit einer Rückzahlung oder einer Besicherung von Gesellschafterdarlehen neu geregelt. Die in diesem Rahmen geänderte Fassung des § 135 InsO findet auf Insolvenzverfahren Anwendung, die nach dem 31.10.2008 eröffnet werden. Innerhalb solcher Verfahren sind auf vor dem 01.11.2008 vorgenommene Rechtshandlungen die bis dahin geltenden Vorschriften des InsO über die Anfechtung anzuwenden, wenn die Rechtshandlungen nach dem bisherigen Recht der Anfechtung entzogen oder in geringerem Umfang unterworfen sind (Art. 103d EGInsO). Demzufolge werden die bisher geltenden Vorschriften (siehe auch Teil 7/4.7.2) noch auf längere Sicht anzuwenden sein. Dies gilt auch für die sogenannten Rechtsprechungsregeln (BGH v. 14.02.2019 – IX ZR 149/16; vgl. OLG Köln v. 11.12.2008 – 18 U 138/07). In analoger Anwendung des § 30 i.V.m. § 31 GmbHG a.F. sieht der BGH eine Verpflichtung des Gesellschafters zur Rückerstattung von Zahlungen, die die Gesellschaft ihm in Erfüllung des Darlehensrückzahlungsanspruchs ausbezahlte, wenn und soweit das Stammkapital nicht gedeckt ist. § 30 GmbHG n.F. stellt nunmehr ausdrücklich fest, dass derartige Zahlungen nur noch über die Anfechtung gem. § 135 InsO zu erstatten sind.

Der Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO im Rahmen von Insolvenzen, die nach Inkrafttreten des MoMiG eröffnet wurden, gilt auch für Gesellschafterforderungen, die vor Verkündung des MoMiG "stehengelassen" wurden (BAG v. 27.03.2014 – 6 AZR 204/12).

Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens

Betroffene Ansprüche

§ 135 InsO n.F. bezieht sich auf Darlehen i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO n.F. (siehe auch Teil 4/2.7). Damit unterliegen grundsätzlich alle Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich gleichstehen, unabhängig davon der Anfechtung, ob sie in einer Krisensituation gewährt oder stehen gelassen wurden oder Eigenkapital ersetzen (BGH v. 30.04.2015 – IX ZR 196/13). Abzustellen ist auf den anfechtungsrelevanten Zeitraum nach § 135 Abs. 1 InsO innerhalb dessen der Rückzahlungsanspruch des Gesellschafters durch die Gesellschaft befriedigt oder besichert wurde.

Führt die Gesellschaft einen von ihrem Gesellschafter besicherten Kontokorrentkredit zurück, indem der vorläufige Insolvenzverwalter Einziehungsaufträge und Abbuchungsermächtigungen widerruft, kann die dadurch bedingte Befreiung von der Sicherung gegenüber dem Gesellschafter angefochten werden (BGH v. 20.02.2014 – IX ZR 164/13).

Darlehensgleiche Forderung

Jede Forderung eines Gesellschafters auf Rückzahlung eines vom Gesellschafter aus seinem Vermögen der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Geldbetrags ist darlehensgleich, sofern ein solcher Rückzahlungsanspruch durchgängig seit der Überlassung des Geldes bestand und sich Gesellschafter und Gesellschaft von vornherein einig waren, dass die Gesellschaft das Geld zurückzuzahlen habe. Nehmen Gesellschafter und Gesellschaft taggleiche Hin- und Herzahlungen im Rahmen des gleichen darlehensähnlichen Verhältnisses ohne wirksamen anderen Rechtsgrund vor, kommt eine darlehensgleiche Forderung nur in Höhe des Saldos in Betracht (BGH v. 27.06.2019 – IX ZR 167/18).

Entnahme von Guthaben

Die Entnahme von Guthaben auf einem Kapitalkonto des Kommanditisten ist wie die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens anfechtbar, wenn die Auslegung des Gesellschaftsvertrags ergibt, dass das Guthaben keine Beteiligung des Kommanditisten, sondern schuldrechtliche Forderungen ausweist (BGH v. 17.12.2020 – IX ZR 122/19).

Drittdarlehen

Anfechtbar ist gem. § 135 Abs. 2 InsO eine Rechtshandlung, mit der eine Gesellschaft einem Dritten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens innerhalb der in § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO genannten Frist Befriedigung gewährt hat, wenn ein Gesellschafter für die Forderung eine Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete; dies gilt sinngemäß für Leistungen auf Forderungen, die einem Darlehen wirtschaftlich gleichstehen (siehe auch Teil 4/1.7).

Abtretung des Rückzahlungsanspruchs

Tritt der Gesellschafter eine gegen die Gesellschaft gerichtete Darlehensforderung binnen eines Jahres vor Antragstellung ab und tilgt die Gesellschaft anschließend die Verbindlichkeit gegenüber dem Zessionar, unterliegt nach Verfahrenseröffnung neben dem Zessionar auch der Gesellschafter der Anfechtung (BGH v. 21.02.2013 – IX ZR 32/12).

Kapitalersetzende Nutzungsüberlassung

Aussonderungsrecht des Gesellschafters

Bislang nimmt die Rechtsprechung in den Fällen der kapitalersetzenden Nutzungsüberlassung aufgrund einer Umqualifizierung der Leistung in Eigenkapital u.a. eine Verpflichtung des Gesellschafters an, der Gesellschaft das Wirtschaftsgut für den Vertraglich vereinbarten Zeitraum (und bei einer missbräuchlichen Zeitbestimmung für den angemessenen Zeitraum) unentgeltlich zu belassen (vgl. BGH v. 31.01.2005 – II ZR 240/02). Abweichend hiervon ist nunmehr in § 135 Abs. 3 InsO bestimmt, dass der Gesellschafter sein Aussonderungsrecht während der Dauer des Insolvenzverfahrens, höchstens aber für eine Zeit von einem Jahr ab der Eröffnung des Verfahrens nicht geltend machen kann, wenn der Gegenstand für die Fortführung des Unternehmens des Schuldners von erheblicher Bedeutung ist. Für den Gebrauch des Gegenstands gebührt dem Gesellschafter ein Ausgleich; bei der Berechnung ist der Durchschnitt der im letzten Jahr vor Verfahrenseröffnung geleisteten Vergütung in Ansatz zu bringen, bei kürzerer Dauer der Überlassung ist der Durchschnitt während dieses Zeitraums maßgebend.

Bisherige Rechtslage

Anfechtbar ist gem. § 135 InsO a.F. eine Rechtshandlung, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines kapitalersetzenden Darlehens (vgl. § 32a GmbHG a.F., §§ 129a und 172a HGB) oder für eine gleichgestellte Forderung (vgl. § 32a Abs. 3 GmbHG a.F.).

eine Sicherung gewährt hat, wenn die Handlung in den letzten zehn Jahren vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist;

Befriedigung gewährt hat, wenn die Handlung im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist.

Betroffene Handlungen

Als kapitalersetzend gilt ein Darlehen, das der Gesellschafter der Gesellschaft gewährt, dann, wenn dies zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem ein ordentlicher Kaufmann seinem Unternehmen Eigenkapital zugeführt hätte. Die Gewährung eines eigenkapitalersetzenden Darlehens kann auch in der Form einer Gebrauchsüberlassung erfolgen, wenn der Gesellschafter z.B. seiner Gesellschaft Immobilien vermietet (vgl. BGH v. 31.01.2005 – II ZR 240/02; BGH v. 07.03.2005 – II ZR 138/03).

Gläubigerbenachteiligung

Wie jede sonstige Insolvenzanfechtung setzt auch eine solche nach § 135 InsO a.F. voraus, dass die Handlung zu einer Benachteiligung der Insolvenzgläubiger in ihrer Gesamtheit geführt hat (vgl. § 129 InsO). Die Gewährung einer Sicherung für ein eigenkapitalersetzendes Darlehen ist dann nicht gläubigerbenachteiligend i.S.d. § 129 InsO, wenn ihr nach dem vereinbarten Rang sämtliche Insolvenzforderungen vorgehen. Eine Vereinbarung über den Rangrücktritt kann vor oder während des Insolvenzverfahrens geschlossen werden und ein entsprechendes Angebot auch konkludent angenommen werden (BGH v. 02.02.2006 – IX ZB 167/04).

Wegfall der Durchsetzungssperre

Soweit es nach § 135 Nr. 2 InsO a.F. darauf ankommt, dass die Gesellschaft auf ein früher als eigenkapitalersetzend einzustufendes Gesellschafterdarlehen im letzten Jahr vor der Stellung des Insolvenzantrags Leistungen erbracht habe, ist dem Gesellschafter der Nachweis abgeschnitten, dass zum Zahlungszeitpunkt das Stammkapital der Gesellschaft nachhaltig wieder hergestellt und damit die Durchsetzungssperre entfallen war. Vielmehr wird unwiderleglich vermutet, dass die Gesellschaft sich auch im Zahlungszeitpunkt in der Krise i.S.v. § 32a Abs. 1 Satz 1 GmbHG befunden habe (vgl. BGH v. 30.01.2006 – II ZR 357/03).

Doppelsicherheiten

Wahlrecht des Gläubigers

Besteht für die Forderung eines Insolvenzgläubigers eine Sicherheit sowohl an einem zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenstand als auch an einem zum Vermögen des Gesellschafters zählenden Gegenstand, so hat der Gläubiger das Recht, denjenigen Gegenstand zu wählen, den er primär verwerten möchte (vgl. Teil 4/4.3.4.2). Er ist nicht verpflichtet, sich zunächst aus der am Vermögen des Gesellschafters bestehenden Sicherheit zu befriedigen. § 44a InsO ist insoweit nicht einschlägig. Soweit der Gläubiger aus der Verwertung der Gesellschaftssicherheit Beträge erlangt, ist der Gesellschafter analog §§ 143, 135 InsO zur Erstattung an die Insolvenzmasse verpflichtet (BGH v. 01.12.2011 – IX ZR 11/11).

Einzelfälle

Kontokorrentkredit

Gewährt ein Gesellschafter seiner Gesellschaft fortlaufend zur Vorfinanzierung der von ihr abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge Kredite, die in der Art eines Kontokorrentkredits jeweils vor Erhalt des Nachfolgedarlehens mithilfe öffentlicher Beihilfen abgelöst werden, ist die Anfechtung wie bei einem Kontokorrentkredit auf die Verringerung des Schuldsaldos im Anfechtungszeitraum beschränkt (BGH v. 07.03.2013 – IX ZR 7/12).

Gesellschafterinsolvenz

Die Auszahlung eines Gesellschafterdarlehens an die Gesellschaft kann in der Insolvenz des Gesellschafters nicht als unentgeltliche Leistung des Gesellschafters angefochten werden (BGH v. 13.10.2016 – IX ZR 184/14).

Teildarlehen

Ein Gesellschafterdarlehen kann auch nur zum Teil als Darlehen i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO qualifiziert werden. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn einer GmbH durch einen Nicht-Gesellschafter ein Darlehen gewährt wird und der Nicht-Gesellschafter seinerseits von mehreren Personen das für das Darlehen erforderliche Kapital darlehensweise zur Verfügung erhält, von denen nur eine Person Gesellschafter der später insolventen GmbH ist (LG Waldshut-Tiengen v. 08.07.2016 – 2 O 229/15).

Die in der Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens liegende Gläubigerbenachteiligung wird nicht beseitigt, indem der Gesellschafter die empfangenen Darlehensmittel zwecks Erfüllung einer von ihm übernommenen Kommanditeinlagepflicht an die Muttergesellschaft der Schuldnerin weiterleitet, welche der Schuldnerin anschließend Gelder in gleicher Höhe auf der Grundlage einer von ihr übernommenen Verlustdeckungspflicht zur Verfügung stellt (BGH v. 02.05.2019 – IX ZR 67/18).