Näheverhältnisse und Erbschleicherei – Rechtsprechung und Ziele des Koalitionsvertrags 2021–2025

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Vor allem in der Weihnachtszeit und im Hinblick auf die Jahreswende werden vermehrt Testamente errichtet und geändert. Erblasser versuchen damit mitunter nahezu verzweifelt, Zuneigung oder zumindest eine gewisse Zuwendung der begünstigten Personen zurückzubekommen.

Dies betrifft zwischenzeitlich wohl kaum noch das klassische Geliebtentestament, mit dem meist verheiratete ältere Männer nicht nur (auch körperliche) Zuwendungen belohnen, sondern (nach der Formulierung in der Entscheidung des BGH) die begünstigte Frau auch „zur Fortsetzung des Verkehrs ... bestimmen“ wollten.

Nachdem aber (wiederum nach Meinung des BGH) die erotische Komponente in einer Beziehung nach mehreren Jahren „abflacht“, wobei die Rechtsprechung hierzu keine genauen Zeiträume nennt, gibt es jedenfalls keine Vermutung mehr für den vorrangig „belohnenden Charakter eines Testaments in einer derartigen Konstellation.

Während das Thema „Hergabe für Hingabe“ zumindest bei Erbrechtsvorträgen immer noch für eine gewisse Heiterkeit sorgt, ist die letztwillige Hingabe für etwas Aufmerksamkeit oder Zeit sowie aus Angst vor einer Abschiebung in ein Alters- oder Pflegeheim eher menschlich traurig.

Dass es sich nicht nur um ein theoretisches Problem handelt, zeigen die Entscheidungen, die sich mit der Erbeinsetzung unter der Bedingung, dass die Enkel den alten Großvater zwar nicht an den Tisch holen, wie im Märchen, aber zumindest sechsmal im Jahr besuchen, befassen mussten. Ähnlich ist dies mit der Erbeinsetzung für den Fall, dass die eingesetzte Erbin „mich bis zu meinem Ableben versorgt und behält.“

Reformvorhaben nach dem Koalitionsvertrag 2021–2025:

Nach dem Koalitionsvertrag 2021–20255 sollen ältere Menschen vor finanzieller Ausbeutung geschützt werden. Damit greift die Politik ein Thema auf, das unter Erbrechtlern in den letzten zehn Jahren angesichts des demographischen Wandels verstärkt diskutiert wurde. Es geht um das Testieren älterer Menschen und ihren Schutz vor einer ihre Testeierfreiheit beeinträchtigenden Beeinflussung.

 

Was gilt bereits jetzt?

  • § 14 HeimG und die landesrechtlichen Nachfolgevorschriften enthalten bereits ein Verbot für Leistungen von Heimbewohnern an den Träger und an Beschäftigte. Diesen ist es untersagt, sich von Bewohnern neben der Vergütung Geld oder geldwerte Leistungen für die Erfüllung der Pflichten aus der Heimunterbringung versprechen oder gewähren zu lassen. Die Rechtsprechung hat darunter auch Verfügungen von Todes wegen subsumiert. Sie hat allerdings eine Ausnahme gemacht, wenn die begünstigte Person keine Kenntnis vom Inhalt der letztwilligen Verfügung zu Lebzeiten des Heimbewohners hatte.

  • Eine zweite Einschränkung findet sich im BGB seit seinem Inkrafttreten am 01.01.1900. § 2302 BGB verbietet zum Schutz der Testierfreiheit schuldrechtliche Verpflichtungen mit dem Inhalt, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten, oder nicht zu errichten, aufzuheben oder nicht aufzuheben. Nicht ausgeschlossen werden dadurch erbrechtliche Bindungen durch Erbvertrag (§§ 2278, 2289 BGB) oder gemeinschaftliche Testamente (§§ 2270, 2271 BGB, § 10 Abs. 4 LPartG). Diese Ausnahmen zeigen, dass gerade die bei persönlichen Beziehungen stets vorliegenden emotionalen Bindungen und Einflussnahmen kein Grund sind, derartige Verfügungen, insbesondere das  Ehegattentestament, zu verbieten oder einer besonderen Kontrolle zu unterwerfen.

Jeder Notar kennt die Anrufe von Angehörigen, dass eine bestimmte Person unbedingt und dringend ein Testament errichten möchte. Besonders unangenehm sind diese Anrufe, wenn sie angeblich durch einen im Sterben liegenden Erblasser veranlasst sind, der, wie sich bei der persönlichen Kontaktaufnahme dann häufig herausstellt, nicht mehr ansprechbar und keinesfalls mehr testierfähig oder zumindest nicht testierwillig ist, sondern in Ruhe sterben möchte.

Der Umstand, dass ein Testament durch die darin später begünstigte Person beim Notar  veranlasst wurde, steht dessen Wirksamkeit jedoch nicht entgegen. Hintergrund ist, dass sich der Notar bei der Beurkundung davon überzeugen muss, dass der von dem Dritten vorgetragene Wille mit den eigenen Vorstellungen des Erblassers übereinstimmt; nur wenn der Notar davon überzeugt ist, kann er das Testament beurkunden.

Allerdings bleibt unklar, wo die Grenze ist, ab der der Notar die Beurkundung ablehnen muss.

Letztlich geht es um die Frage, ab wann die Beeinflussung durch Dritte ein selbstbestimmtes Testieren ausschließt.

  • Ist dies bereits dann der Fall, wenn der Erblasser davon berichtet, der von ihm eingesetzte Erbe habe ihm angedroht, er werde ihn ohne ein zu seinen Gunsten errichtetes Testament nicht mehr pflegen, auch wenn keine Verpflichtung zur Pflege besteht?

  • Genügt es, wenn der potenzielle Erbe damit droht, den persönlichen Kontakt abzubrechen?

  • Was ist, wenn der Großvater und die Großmutter mangels eines entsprechenden Testaments ihre Enkel nicht mehr sehen dürfen und sie im Interesse der Enkel ein Umgangsrecht nicht einklagen?

  • Oder ist es umgekehrt verwerflich, wenn ein Erbaspirant den alt gewordenen Elternteil aus dem Pflegeheim zu sich mit nach Hause nimmt und ihn dort versorgt, die Enkelkinder jeden Abend mit dem Opa bzw. der Oma gemeinsam zu Abend essen und sich etwas im Fernsehen ansehen, wenn dies mit dem Hintergedanken einer erbrechtlichen Begünstigung verbunden ist?

Rechtsprechungsbeispiel: OLG Celle, Urt. v. 07.01.2021 – 6 U 22/ 20: Nichtigkeit des Testaments wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB)

Eine neuere Entscheidung hatte den Fall einer geldgierigen Berufsbetreuerin zum Gegenstand.

Sachverhalt

Es ging um einen etwa 79 Jahre alten, unverheirateten und kinderlosen Erblasser, der nach einem Herzinfarkt in ein Wohnstift aufgenommen wurde und dort acht Jahre verblieb. Zur Betreuerin wurde eine Rechtsanwältin bestellt.

Der Erblasser errichtete bereits vier Monate nach Beginn der Betreuung vor einer mit der Betreuerin befreundeten Notarin im Pflegeheim und in Gegenwart der Betreuerin ein notarielles Testament, in dem er die Betreuerin und eine weitere Person („Seniorenbetreuer“), die im Rahmen der Betreuung Hilfeleistungen erbrachte, zu Miterben einsetzte.

Diese weitere Person kannte der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht.

Entscheidungsgründe

Das OLG Celle kam in dieser Situation, ähnlich wie bereits früher das OLG Braunschweig in einer vergleichbaren Konstellation, zur Nichtigkeit des Testaments wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB).

Es begründete dies damit, dass die Betreuerin ihre Vertrauensstellung und ihren persönlichen Einfluss auf den leicht beeinflussbaren Erblasser benutzt hatte, um die Verfügung zu ihren Gunsten und zugunsten des weiterhin eingesetzten Miterben zu veranlassen.

Die Situation des körperlich eingeschränkten, weitgehend hilflosen und vereinsamten Erblassers sei in sittenwidriger Weise zum eigenen Vorteil ausgenutzt worden.

Wie wäre der Fall entschieden worden, wenn es sich um eine Nichte gehandelt hätte, die als Betreuerin ihres Onkels ein Testament zu ihren Gunsten veranlasst hätte?

Ab 01.01.2023 ist es jedenfalls einem Berufsbetreuer untersagt, von dem von ihm Betreuten Geld oder geldwerte Leistungen anzunehmen.

Dies gilt auch für Zuwendungen im Rahmen einer Verfügung von Todes wegen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 und 2 BtOG). Dadurch wird in Verbindung mit den heimrechtlichen Vorschriften das Risiko einer gleichsam institutionalisierten Einflussnahme herabgesetzt.

Die möglicherweise noch intensivere Einwirkung auf Erblasser im privaten Bereich wird dadurch nicht verhindert. Sie ist im Interesse der Testierfreiheit hinzunehmen, da andernfalls im Nachhinein der „Testierwille“ eines Gerichts über die Wirksamkeit einer letztwilligen Verfügung entscheiden würde.

Oder noch deutlicher: Einflussnahmen werden im Bereich der Verfügungen von Todes wegen, insbesondere bei privatschriftlichen Testamenten, immer vorliegen. Sie mögen moralisch verwerflich sein, eine Sittenwidrigkeit kann nur besonders krassen Ausnahmefällen bejaht werden. Selbst wenn ein Erblasser einem besonders „quengelnden“ Kind nachgibt, um endlich Ruhe zu haben, ist das diesbezügliche Testament nicht unwirksam. Ein Erbunwürdigkeitsgrund „Erbschleicher“ existiert nicht.

Ein Beitrag von Professor Dr. Dr. Herbert Grziwotz , Notar a.D., Regen und Zwiesel, Mitherausgeber des Deubner Online-Portals „Rechtsportal Seniorenrecht“ und des Deubner Printwerks + Online-Plattform „Die typischen Mandate im Seniorenrecht“. Der Beitrag erscheint in beiden Werken als Teil 2/10 im April 2022.

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