Zusammenrechnung verschiedener Einkommen bei Insolvenz und Zwangsvollstreckung: Was gilt 2022 / 2023?

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Die Fall-Konstellation der Zusammenrechnung von Einkommen begegnet uns sowohl im Insolvenzverfahren als auch im Einzelzwangsvollstreckungsverfahren.

Beispiel: Schuldner S unterhält zwei Arbeitsstellen: Bei jeder dieser Arbeitsstellen verfügt er über ein Einkommen von ca. 1.000 €. Da zunächst beide Einkommen unter der sogenannten Pfändungsgrenze liegen, ist im ersten Moment nichts pfändbar. Im Einzelzwangsvollstreckungsverfahren beantragt nun Gläubiger 1 die Zusammenrechnung beider Einnahmen.

 

Ein dementsprechender Beschluss (siehe unten) ergeht. Für Gläubiger 1 werden daher zukünftig beide Einkommen zusammengerechnet und „wie eines“ behandelt. Folglich verfügt der Schuldner nun über ein Gesamteinkommen von 2.000 €, so dass augenscheinlich (keine Unterhaltsberechtigten) für Gläubiger 1 nun etwas pfändbar ist.

Gläubiger 2, der den Beschluss nicht erwirkt hat, wird hingegen weiterhin leer ausgehen, da der Beschluss für ihn keine Gültigkeit erfährt.

Antrag auf Zusammenrechnung im Insolvenzverfahren

Anders im Insolvenzverfahren: Hier „stellt“ der Insolvenzverwalter für die Masse einen Antrag auf Zusammenrechnung. Die Folge ist, dass bei positiver Beschlussfassung die Masse insgesamt profitiert – damit dann auch alle Gläubiger, nämlich von einer höheren Quote.

Nach § 850c ZPO wird der pfandfreie Betrag des Einkommens und die Pfändungsfreigrenze eines Einkommens festgelegt.

Da aber § 850c ZPO nur „von einem Einkommen“ ausgeht, sind verschiedene Einkommen grundsätzlich nicht automatisch erfasst, so dass bei Vorhandensein mehrerer Einkommen diese Grenze „für jedes Einkommen“ eigenständig in voller Höhe zu berechnen wäre, also in den vorgesehenen Grenzen jeden Arbeitsverdienst pfandfrei stellen würde, wenn der Schuldner mehrere Arbeitseinkommen von verschiedenen Drittschuldnern bezieht, was die Gläubiger eklatant benachteiligen würde.

Zusammenrechnungsanträge sind häufig

Sehr häufig werden daher in der Praxis sogenannte „Zusammenrechnungsanträge“ gestellt. Die Voraussetzungen der Zusammenrechnung sind vom Antragsteller darzulegen.1 Höhe, Grund und die Drittschuldner sind darin genau zu bezeichnen.2

Der Antrag unterliegt weder einer besonderen Form, noch ist er fristgebunden. An den Antragsinhalt ist das Vollstreckungsgericht, im laufenden Insolvenzverfahren das Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht3 gebunden.4

Wirksam wird die Entscheidung erst mit der Verkündung – eine rückwirkende Zusammenrechnung scheidet aus. Wird ein Zusammenrechnungsbeschluss durch das funktionell zuständige Insolvenzgericht (Rechtspfleger) ausgesprochen, sind danach diese verschiedenen Einkommen wie ein einziges zu behandeln, der Grundfreibetrag des § 850c ZPO wird dann nur noch einmal berücksichtigt.5

Während bei der isolierten Betrachtung beider Einkommen häufig kein pfändbarer Betrag unterm Strich zu finden sein wird, ergibt sich nach Zusammenrechnung häufig ein solcher Betrag. Aus diesem Grund sollte dem Schuldner im Vorfeld eines solchen Antrags auch Gelegenheit zur Kenntnis- und Stellungnahme gegeben werden.

Keine summenmäßige Berechnung nötig

Der Beschluss selbst kann sich auf die Anordnung der Zusammenrechnung und Bezeichnung des Einkommens, dem der unpfändbare Grundbetrag zu entnehmen ist, beschränken,6 muss also regelmäßig keine summenmäßige Berechnung treffen.7

Es ist dann Sache der Drittschuldner, die Höhe des Gesamteinkommens festzustellen und den dem Schuldner verbleibenden pfandfreien Betrag zu berechnen. Das gilt auch, wenn eines oder mehrere von der Zusammenrechnung erfasste Einkommen in ihrer Höhe schwanken.8

Das Gericht hat lediglich zu bezeichnen, aus welchem Einkommen die Beträge in erster Linie zu entnehmen sind.9 Bei Streitigkeiten zwischen Drittschuldnern oder zwischen dem Verwalter und evtl. Drittschuldnern ist auf das Prozessgericht zu verweisen.10

 

1 STÖBER, Forderungspfändung, Rdnr. 1140.

2 STÖBER, a.a.O., Rdnr. 1140 f

3 BGH, Beschl. v. 15.11.2007 – IX ZB 34/06.

4 STÖBER, a.a.O., Rdnr. 1140.

5 STÖBER, a.a.O., Rdnr. 1138; MERTES, Rpfleger 1984, 453.

6 STÖBER, a.a.O., Rdnr. 1141; LAG Düsseldorf, Rpfleger 1986, 100.

7 STÖBER, a.a.O., Rdnr. 1141.

8 STÖBER, a.a.O., Rdnr. 1140 m.w.N.

9 STÖBER, a.a.O., Rdnr. 1144.

10 BGH, Rpfleger 2013, 282 ff.

Autor: Dipl.-Rechtspfleger Stefan Lissner

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