Erbrecht -

Auslegung einer Nacherbenstellung als Schlusserbeneinsetzung

OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 12.03.2012 - 21 W 35/12

Setzen sich die Eheleute wechselseitig als Vorerben und die jeweils eigenen Abkömmlinge bzw. Adoptivkinder als Nacherben ein, so ist die Nacherbenstellung auch als Schlusserbeneinsetzung mit Bindungswirkung i.S.d. § 2271 Abs. 2 Satz 2 BGB auszulegen.

Darum geht es

Die Erblasserin hat aus erster Ehe einen Sohn und der wiederum eine Tochter. Der vorverstorbene dritte Ehemann hatte ebenfalls aus früherer Ehe unter anderem eine Tochter. Zudem hatte er den Sohn der Ehefrau adoptiert.

Die Erblasserin und ihr dritter Ehemann errichteten 1964 ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu befreiten Vorerben einsetzten.

Nacherben nach der Erblasserin sollten deren Sohn bzw. dessen Abkömmlinge sein. Nacherben nach dem Ehemann sollten der adoptierte Sohn bzw. dessen Abkömmlinge sowie seine eigene Tochter bzw. deren Abkömmlinge zu gleichen Teilen sein.

Nach dem Tod des Ehemannes errichtete die Erblasserin 1975 ein weiteres Testament, in dem sie ihre letztwillige Verfügung von 1964 widerrief und die leibliche Enkelin als Alleinerbin einsetzte. Später entzog sie ihrem Sohn aus erster Ehe zudem den Pflichtteil.

Der Sohn hat beim Nachlassgericht einen Erbschein beantragt, der ihn als Alleinerben ausweist. Er berief sich auf das gemeinschaftliche Testament von 1964. Nach seiner Auffassung konnte die Erblasserin die darin enthaltenen wechselseitigen Verfügungen nicht wirksam widerrufen.

Das Nachlassgericht hat trotz der Einwände der Enkelin einen Beschluss erlassen, wonach es die für die Erteilung des vom Sohn beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtete.

Gegen diese Entscheidung hat die Enkelin Beschwerde eingelegt. Das Nachlassgericht hätte übersehen, dass das Testament von 1964 eine Erbeinsetzung nach dem jeweils Längstlebenden nicht enthalte. Darum entfalle auch eine Wechselbezüglichkeit.

Das Nachlassgericht half der Beschwerde nicht ab und legte dem Oberlandesgericht die Sache zur Entscheidung vor.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet. Der Sohn ist aufgrund des Testaments von 1964 Alleinerbe geworden. Das Widerrufrecht ist mit dem Tod des Ehemannes gem. § 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB erloschen.

Zunächst stellt das Gericht fest, dass das Testament von 1964 dahingehend auszulegen ist, dass sich die Eheleute gegenseitig als Vorerben und die jeweils eigenen Abkömmlinge als Nacherben eingesetzt haben. Schließlich ergibt sich aus der Einsetzung des Sohnes der Erblasserin als Nacherbe für den Fall des Vorversterbens der Erblasserin trotz einer fehlenden expliziten Regelung zugleich dessen Stellung als Vollerbe nach dem Tod der letztversterbenden Mutter. Dies entsprach dem erkennbaren Willen (§§ 133, 2084 BGB) der Eheleute.

Zudem würde eine Anwendung der Auslegungsregel des § 2102 BGB zu demselben Ergebnis führen.

Die Wechselbezüglichkeit ergibt aus der Anwendung des § 2270 Abs. 2 BGB. Weder der Wortlaut des Testaments noch die äußeren Umstände ergeben Anhaltspunkte für eine anderweitige Auslegung.

Auch dem fast 30 Jahre nach der Testamentserrichtung geäußerten Willen der Erblasserin vor dem Notar, wonach sie sich nicht an die damalige Verfügung gebunden sehe, ist aufgrund des Zeitablaufs und des Ziels der Äußerung kein größeres Gewicht beizumessen. Hinzu kommt, dass gerade durch die vom Ehemann getätigten Erbeinsetzungen zum Ausdruck kommt, dass ohne die Nacherbenbestimmung eine Vorerbeneinsetzung der Ehefrau unterblieben wäre.

Folgerungen aus der Entscheidung

Letztwillige Verfügungen von Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament sind gem. § 2270 Abs. 1 BGB wechselbezüglich, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde.

Wechselbezüglich sind nach ständiger Rechtsprechungen diejenigen Verfügungen der Ehegatten, die jede mit Rücksicht auf die andere getroffen wurde und die miteinander stehen und fallen sollen. Ist der Wille zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung der testierenden Ehegatten nicht durch Auslegung ermittelbar, so ist § 2270 Abs. 2 BGB anzuwenden. Nach dieser Vorschrift ist ein wechselbezügliches Verhältnis der Verfügungen zueinander im Zweifel anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zu Gunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht.

Praxishinweis

Bei der Gestaltung von gemeinschaftlichen Verfügungen von Todes wegen bzw. Erbverträgen ist die Mandantschaft im Beratungsgespräch auf die Auswirkungen sowie die Vor- und Nachteile der Wechselbezüglichkeit dieser einhergehenden Bindungswirkung ausführlich zu beraten.

Sodann ist der von der Mandantschaft geäußerte Wille bei der Gestaltung klar zum Ausdruck zu bringen. Am besten sollte in der Verfügung von Todes wegen explizit geregelt werden, welche Verfügungen für welchen Erblasser bindend und welche nicht bindend sein sollen.

Nur so kann für die Erben, aber auch für die Erblasser selbst Rechtsklarheit geschaffen werden.

Quelle: RA Ralf Mangold - vom 18.06.12