Erbrecht -

Auslegung eines Testaments

OLG München, Beschl. v. 13.04.2011 - 31 Wx 31/11

Lässt sich durch Auslegung nicht ermitteln, ob sich der Erblasser bei der Erbeinsetzung seiner Geschwister von Gleichbehandlungsgesichtspunkten leiten ließ, sind deren Kinder nicht als Ersatzerben anzusehen.

Darum geht es:

Der seit 1988 verwitwete und kinderlose Erblasser verstarb im August 2010. Der Beteiligte zu 1 ist der Bruder des Erblassers. Die Beteiligten zu 2 und 3 sind die Kinder des 2008 vorverstorbenen zweiten Bruders. Zudem hatte der Erblasser zwei Schwestern.

Der Nachlass bestand im Wesentlichen aus einem Bankguthaben. Ein Hausgrundstück hatte der Erblasser schon Mitte 1999 an den Beteiligten zu 2 und dessen Ehefrau übertragen.
Im Testament vom 12.01.1999 bestimmt der Erblasser wörtlich: „Ich … setze hiermit meine zwei Brüder J. und H.P. als Erben meines Kapitalvermögens, je zur Hälfte, ein. Das Haus in … München erbt mein Neffe R.P. und dessen Frau …“

Nach der Übertragung des Hausgrundstücks testierte er am 23.08.1999 wie folgt: „Ich … möchte, dass das vorhandene Geld zu gleichen Teilen an meine Brüder H. und J.P. aufgeteilt wird. Das Haus und Grundstück wurde beim Notar … meinem Neffen R.P. und dessen Frau am 20.07.1999 überschrieben.“

Der Beteiligte zu 1 hat einen Erbschein als Alleinerbe beantragt. Er ist der Auffassung, ihm sei der Anteil seines vorverstorbenen Bruders angewachsen. Die Beteiligten zu 2 und 3 vertreten dagegen die Ansicht, dass der Anteil ihres vorverstorbenen Vaters ihnen als Ersatzerben zusteht. Das Nachlassgericht hat den vom Beteiligten zu 1 beantragten Erbschein bewilligt. Die Beteiligten zu 2 und 3 legten hiergegen Beschwerde ein.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Die Beschwerde ist nicht begründet. Der Beteiligte zu 1 wurde aufgrund des Testaments vom 23. 8. 1999 Alleinerbe.

Der Erblasser wandte in diesem später errichteten Testament nahezu sein gesamtes Vermögen seinen Brüdern zu gleichen Teilen zu, hierin ist eine Erbeinsetzung der beiden Brüder zu sehen. Es ist nicht schädlich, dass die beiden Erben nicht ausdrücklich als solche bezeichnet wurden.

Da das Testament keine ausdrückliche Regelung für den Fall enthält, dass einer der beiden Brüder vor dem Erblasser stirbt, ist es diesbezüglich auslegungsbedürftig.

Wegen des Fehlens einer ausdrücklichen Ersatzerbeneinsetzung i.S.d. § 2096 BGB lehnt das Gericht die Anwendbarkeit des in § 2099 BGB normierten Grundsatzes, nach dem das Recht der Ersatzerben der Anwachsung vorgeht, ab.

Auch die für die Einsetzung von Abkömmlingen geltende Auslegungsregel des § 2069 BGB kann vorliegend nicht analog angewandt werden, denn die Geschwister sind keine Abkömmlinge im Sinne dieser Vorschrift.

Das Gericht prüft deshalb, ob im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung ein entsprechender (hypothetischer) Wille des Erblassers für die Berufung der Kinder der Geschwister als Ersatzerben festgestellt werden kann. Die für die Annahme eines derartigen Erblasserwillens notwendige Andeutung in der letztwilligen Verfügung kann nach Ansicht des OLG München bereits in der Tatsache der Erbeinsetzung der Geschwister als nahestehende Verwandte unter Hinweis auf diese verwandtschaftliche Funktion liegen.

Nach eingehender Prüfung kann das Gericht dennoch keinen Willen des Erblassers dahingehend ermitteln, dass die Kinder des vorverstorbenen Bruders Ersatzerben werden sollten.
Dies begründet es vor allem damit, dass sich der Erblasser bei der Regelung der Erbfolge nicht von den Gesichtspunkten der Gleichbehandlung der Geschwister und von der gleichmäßigen Aufteilung des Vermögens unter den Stämmen hat leiten lassen.

So setzt der Erblasser im ersten Testament seine beiden Brüder je zur Hälfte ein und erwähnt seine beiden Schwestern überhaupt nicht. Anschließend überträgt er das wertvolle Hausgrundstück dem Sohn des einen Bruders, dem Beteiligten zu 2, und dessen Ehefrau. Das spätere Testament dient dabei lediglich der Klarstellung, dass das Hausgrundstück nicht mehr in seinem Eigentum steht. Im Übrigen wird der Inhalt des ersten Testaments nicht verändert.

Auch das vom Beteiligten zu 2 dargelegte Vertrauensverhältnis zum Erblasser spricht nicht für eine gewollte Ersatzerbenregelung, sondern vielmehr dafür, dass es dem Erblasser bei der Verteilung des Vermögens nicht auf die formale familiäre Stellung sondern auf das tatsächlich bestehende Näheverhältnis zu dem Bedachten ankam.

Folgerungen aus der Entscheidung

Die Auslegung einseitiger bzw. nicht vertragsmäßiger Verfügungen von Todes wegen richtet sich nicht – wie bei anderen Willenserklärungen – nach dem objektiven Empfängerhorizont, sondern allein nach dem tatsächlichen oder dem mutmaßlichen Erblasserwillen. Gesetzliche Grundlage der Auslegung ist daher allein § 133 BGB. Die Vorschrift des § 157 BGB findet keine Anwendung.

Zudem muss sich der möglicherweise auch aus Umständen außerhalb des Testaments zu ermittelnde Wille des Erblassers zumindest andeutungsweise oder versteckt im Testament wiederfinden (Andeutungstheorie).

Gleiches gilt für einseitige Verfügungen in Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten. Bei deren Auslegung ist zudem auf den Empfängerhorizont des Vertrags- oder Ehepartners abzustellen. Hier findet § 157 BGB Anwendung. Es ist allein der erklärte übereinstimmende Wille beider Beteiligter zum Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung von Todes wegen maßgebend.

Praxishinweis

Ist ein Testament oder Erbvertrag auslegungsbedürftig, ist der Erblasserwille zum Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung von Todes wegen im Einzelfall zu erforschen. Hierzu können z.B. der Testamentswortlaut, der textliche Aufbau des Testaments, frühere oder spätere Testamente, schriftliche Aufzeichnungen und mündliche Äußerungen des Erblassers herangezogen werden. Weiterhin können z.B. die Vermögensstruktur, der Bildungsgrad, die persönlichen Beziehungen des Erblassers zum Bedachten, örtliche Besonderheiten oder Eigenheiten des Erblassers eine Rolle spielen.

Für den Berater bieten sich also genügend Anhaltspunkte, mit dem richtigen Vortrag und den passenden Argumenten den in der Verfügung von Todes wegen lediglich angedeuteten Erblasserwillen zu ermitteln.

Quelle: RA Ralf Mangold - vom 15.06.11