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Erbrecht -

Gutachten zur Testierfähigkeit muss sich auf Tatsachen stützen

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 01.06.2012 - I-3 Wx 273/11

Um ein Sachverständigengutachten zur Klärung der Testierfähigkeit (§ 2299 Abs.4 BGB) einzuholen, reicht es nicht aus, dass die Zweifel an der Testierfähigkeit nur auf Vermutungen beruhen.

Darum geht es

Der Erblasser war geschieden und hatte weder Kinder noch Geschwister. Er errichtete im Krankenhaus ein notarielles Testament, in dem er die Nichte seiner geschiedenen Ehefrau als Alleinerbin einsetzte.

Der Notar nahm folgende Erklärung auf: "Der Notar überzeugte sich durch die Verhandlung von der Geschäftsfähigkeit des Erschienenen. Dieser war zwar durch Krankheit geschwächt, jedoch in der Lage, die Bedeutung der getroffenen Regelungen zu erkennen und dieser Einsicht gemäß seine Entschlüsse frei von Beeinflussungen Dritter zu fassen und zu äußern. Der Erschienene ist nach Überzeugung des Notars voll geschäfts- und testierfähig."

Ein Cousin des Erblassers trat der Erteilung des Erbscheins zugunsten der Nichte entgegen. Er machte geltend, jahrelang darauf vertraut zu haben, dass ihm bzw. seinen Kinder die Erbschaft zufalle. Dahingehend habe sich der Erblasser immer wieder geäußert.

In diesem Zusammenhang bezweifelte er die Testierfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Er trägt hierzu vor, dass der Erblasser aufgrund des Einflusses von Medikamenten labil und nicht in der Lage war, seine Angelegenheiten ohne Beeinflussung von außen zu regeln. Er sei auch aufgrund seiner Krebserkrankung und des Todes seiner Mutter wegen depressiv und leicht beeinflussbar gewesen. Schließlich sei er zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung sehr erschöpft und ausgelaugt gewesen.

Das Nachlassgericht hat den Erbschein dennoch wie beantragt erteilt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb ohne Erfolg.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Nach Ansicht des OLG Düsseldorf hat der Erblasser die Nichte seiner geschiedenen Ehefrau wirksam als Alleinerbin eingesetzt.

Nach § 2229 Abs.4 BGB ist testierunfähig, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

Damit ist testierfähig, wer in der Lage ist, die Bedeutung der letztwilligen Verfügung zu erkennen und sich bei seiner Entscheidung von normalen Erwägungen leiten lässt. Eine (geistige) Erkrankung steht der Testierfähigkeit nicht im Wege, solange die Krankheit die erbrechtliche Entscheidung nicht beeinflusst.

Der Cousin hat keine konkreten Anhaltspunkte für eine auffällige Verhaltensweise des Erblassers vorgetragen, die auf dessen Testierunfähigkeit hingewiesen haben. Insofern bestand für das Nachlassgericht kein Anlass, ein Gutachten eines psychiatrischen oder nervenfachärztlichen Sachverständigen einzuholen. Zumal der letztbehandelnde Hausarzt ausgesagt hat, dass eine Behandlung mit Opiaten oder anderen zentralnervös wirkenden Medikamenten nicht stattgefunden hat. Außerdem hat sich der Notar umfassend mit der Testierfähigkeit befasst und diese positiv festgestellt.

Die vorgetragenen Zweifel des Cousins beruhen demgegenüber lediglich auf Vermutungen bzw. angeblichen Wahrscheinlichkeitsurteilen. Nachprüfbare Tatsachen oder Indizien wurden nicht vorgetragen.

Folgerungen aus der Entscheidung

In der Praxis ist die nachträgliche Feststellung der Testierunfähigkeit äußerst schwierig durchzuführen. Die Beweislast bzw. die Feststellungslast im Nachlassverfahren trifft denjenigen, der sich auf die Testierunfähigkeit beruft. Daher sind zunächst konkrete Anhaltspunkte bzw. objektivierbare Tatsachen oder Hilfstatsachen vorzutragen, aus denen sich auf eine Testierunfähigkeit schließen lässt. Hat das Gericht nach diesem Vortrag Zweifel an der Testierfähigkeit, sind diese regelmäßig durch Einholung eines psychiatrischen oder nervenfachärztlichen Sachverständigen zu klären. Der Sachverständige hat sodann anhand von Anknüpfungstatsachen einen medizinischen Befund sowie dessen Auswirkungen auf die Einsichts- und Willensfähigkeit festzustellen.

Praxishinweis

Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit können sich zum einen aus den Aussagen der Angehörigen oder anderer Kontaktpersonen und zum anderen aus ärztlichen Unterlagen und Befunden ergeben. Es ist zu erforschen, ob es durch Zeugenaussage belegbare Hinweise auf Einschränkungen im alltäglichen Leben (Körperhygiene, Erkennen von Personen, Zurechtfinden in fremder Umgebung, Umgang mit technischen Geräten, Essenszubereitung, etc.) bzw. auf Störungen der intellektuellen Fähigkeiten (Wortfindung, Vergesslichkeit, Rechnen, räumliche Orientierung, deutliche Wesensänderungen, sozialer Rückzug, Ich-Bezogenheit, etc.) gibt.

Quelle: RA Ralf Mangold - vom 27.09.12