Erbrecht -

Pflichtteilsentziehung: Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Verzeihung gem. § 2337 BGB

OLG Nürnberg, Beschl. v. 08.05.2012 - 12 WU 2016/11

Eine Verzeihung i.S.v. § 2337 BGB liegt vor, wenn der Erblasser durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, dass er die durch den jeweiligen Pflichtteilsentziehungsgrund hervorgerufene Kränkung nicht mehr als solche empfindet und hieraus nichts mehr herleiten möchte.

Darum geht es

Der Kläger macht als einziger Sohn des Erblassers seine Pflichtteilsansprüche im Rahmen einer Stufenklage geltend. Die Beklagte ist aufgrund notariellen Testaments vom 15.04.2010 Alleinerbin des Erblassers. Im Testament hat der Erblasser dem Kläger den Pflichtteil entzogen, da dieser diverse Straftaten begangen hatte. Der Kläger wurde im Jahr 1995 aus der Haft entlassen.

Das Landgericht hat in der Beweisaufnahme festgestellt, dass der Erblasser und sein Sohn durch unregelmäßige Krankenbesuche gegenseitige Sorge gezeigt haben. Zudem hat eine Zeugin bestätigt, dass der Erblasser ihr gegenüber bekundet hätte, den Sohn testamentarisch bedenken zu wollen. Schließlich gab es im Jahr 2008 Pläne, wonach der Erblasser seinen Sohn durch den Kauf eines Hauses dazu bewegen wollte, in seine Nähe zu ziehen.

Das Landgericht kam aufgrund dieser Feststellungen zu dem Urteil, dass der Erblasser seinem Sohn vor der Testamentserrichtung verziehen hat und sein Entziehungsrecht deshalb erloschen sei. Mit der Frage, ob überhaupt ein Recht zur Entziehung des Pflichtteils bestanden hat, hat sich das Landgericht nicht beschäftigt.

Gegen das Urteil des Landgerichts hat die Beklagte Berufung eingelegt.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Das Oberlandesgericht hat daraufhin einen Hinweisbeschluss erlassen, nach dem es beabsichtigt, die Berufung gegen das Teilurteil des Landgerichts zurückzuweisen. Daraufhin wurde die Berufung zurückgenommen.

Inhaltlich führt das Oberlandesgericht in seinem Hinweisbeschluss wie folgt aus: Grundsätzlich läge es nahe, die verbüßten Haftstrafen des Sohnes als Entziehungsgrund im Sinne des § 2333 BGB zu werten, allerdings würde eine wirksame Pflichtteilsentziehung voraussetzen, dass der Entziehungsgrund zum Zeitpunkt der Entziehung (= der Testamentserrichtung) noch bestanden hat. Ob dies vorliegend so war, könne jedoch dahinstehen, da das Landgericht zutreffend angenommen habe, dass ein mögliches Entziehungsrecht aufgrund einer Verzeihung des Erblassers im Sinne des § 2337 BGB erloschen wäre.

Mit vielen Nachweisen stellt das Gericht umfassend dar, dass eine Verzeihung vorliege, wenn der Erblasser durch sein Verhalten zum Ausdruck bringe, dass er die durch den jeweiligen Pflichtteilsentziehungsgrund hervorgerufene Kränkung nicht mehr als solche empfinde.

Im Ergebnis sieht das Oberlandesgericht, dass im Verhältnis des Erblassers zum klagenden Sohn ein Wiederaufleben der familiären Beziehung hin zu einer „Normalität" stattgefunden hat. Dies reiche für eine Verzeihung aus. Eine Versöhnung oder ein inniges Verhältnis seien nicht notwendig.

Schließlich könne auch eine möglicherweise zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung beim Erblasser eingetretene Meinungsänderung kein erneutes Entziehungsrecht begründen. Denn dieses sei infolge der Verzeihung bereits erloschen (§ 2337 Satz 1 BGB).

Folgerungen aus der Entscheidung

Mit dem Hinweisbeschluss fasst das OLG Nürnberg die Voraussetzungen einer Verzeihung im Sinne des § 2337 BGB sowie die daraus erwachsenden Rechtsfolgen ausführlich zusammen. Sollte eine diesbezügliche Rechtsproblematik zu lösen sein, kann jedem Berater nur empfohlen werden, den vorliegenden Hinweisbeschluss zu Rate zu ziehen.

Der Beschluss enthält insbesondere eine Vielzahl von Ausführungen zu praktisch relevanten Teilaspekten der Verzeihung.

Praxishinweis

Wird beabsichtigt, einem Pflichtteilsberechtigten den Pflichtteil zu entziehen, bietet sich an, wie folgt vorzugehen:

Der Erblasser muss den Entziehungsgrund gem. § 2333 BGB im Rahmen der letztwilligen Verfügung (§ 2336 Abs.1 BGB) unter ausführlicher Darstellung des Lebenssachverhalts, auf den die Entziehung gestützt wird, schildern. Der Grund für die Entziehung muss zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung (noch) bestehen.

Liegt der Entziehungsgrund des § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB vor (rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitstrafe von mindestens einem Jahr), ist Voraussetzung, dass zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung die Tat bereits begangen worden ist und die geforderte Unzumutbarkeit vorliegt. Beides muss in der letztwilligen Verfügung angeben werden (§ 2236 Abs. 2 BGB).

Da die Beweislast für das Vorliegen eines Entziehungsgrundes bei demjenigen liegt, der die Entziehung geltend macht (§ 2236 Abs. 2 BGB), ist dem Testierenden anzuraten, die Voraussetzung für die Entziehung innerhalb des Testaments sehr ausführlich und umfassend darzustellen. Zudem sollte er durch das Sammeln und die Verfügungstellung von Beweisen dem Erben vorbereitend helfen.

Schließlich hat der Erblasser zu Lebzeiten darauf zu achten, dass er nicht - ungewollt - Anhaltspunkte dafür schafft, dass der Pflichtteilsberechtigte sich auf ein Verzeihung i.S.d. § 2337 BGB berufen kann. Hierüber muss der Berater den Erblasser aus haftungsrechtlichen Gründen belehren.

Quelle: RA Ralf Mangold - vom 31.07.12