bonsai © photocase

Familienrecht, Sozialrecht, Top News -

Kindesunterhalt zahlen - Aufstockungsunterhalt bekommen?

Der BGH hat entschieden, dass ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt auch dadurch entstehen kann, dass das Einkommen des nicht betreuenden Elternteils durch den Vorwegabzug des Kindesunterhalts unter das Einkommen des kinderbetreuenden Ehegatten absinkt. Soweit hierdurch Belastungen des betreuenden Ehegatten bzw. Elternteils entstehen, müssen diese anderweitig berücksichtigt werden.

Sachverhalt

Die geschiedenen Ehegatten, aus deren Ehe zwei minderjährige Töchter hervorgegangen sind, streiten über Trennungsunterhalt seit September 2012. Seit der Trennung im Juli 2011 leben die Töchter bei der Ehefrau, die als Beamtin im mittleren Dienst derzeit mit einer Arbeitszeit von 70 % beschäftigt ist. Der Ehemann ist Stahlbauschlosser und zahlt für die Kinder Barunterhalt.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Die Besonderheit des Falls besteht darin, dass die Ehegatten gleich hohe Einkommen hatten und der Ehemann erst aufgrund der Zahlung des Kindesunterhalts über ein geringeres Einkommen verfügt und Aufstockungsunterhalt verlangt.

Für diesen Fall ist der Vorwegabzug des Kindesunterhalts in Rechtsprechung und Literatur mit der Erwägung in Zweifel gezogen worden, dass der betreuende Ehegatte dadurch indirekt zum Barunterhalt für die Kinder beitragen müsse. Der BGH schließt sich diesen Bedenken nicht an. Die Berücksichtigung des Barunterhalts für minderjährige Kinder bei der Bestimmung des Bedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen hängt nicht davon ab, ob die Kinder vom Unterhaltsberechtigten oder vom Unterhaltspflichtigen betreut werden.

Die für den Unterhaltsbedarf der Kinder aufzuwendenden Barmittel beeinflussen den Lebensstandard der Familie jeweils gleichermaßen, indem sie das für den eigenen Bedarf der Ehegatten verfügbare Einkommen verringern. Die Regelung des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB steht dem nicht entgegen. Sie gilt nur für den Kindesunterhalt und hat zur Folge, dass der betreuende Elternteil von der Barunterhaltspflicht gegenüber den Kindern befreit wird. Eine Differenzierung danach, ob der betreuende Ehegatte unterhaltsberechtigt oder unterhaltspflichtig ist, ist nicht gerechtfertigt.

In beiden Fällen werden die ehelichen Lebensverhältnisse durch die Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern geprägt, und der betreuende Ehegatte muss bei der Unterhaltsbemessung nach Quoten im Ergebnis wirtschaftlich mittragen, dass sich das für den Lebensbedarf der Ehegatten verfügbare Einkommen durch den Kindesunterhalt verringert.

Sinkt das Einkommen des barunterhaltspflichtigen Ehegatten durch den Abzug des Kindesunterhalts unter das des betreuenden Ehegatten ab, ist das Entstehen des Anspruchs auf Aufstockungsunterhalt die notwendige Folge. Denn dieser knüpft lediglich an das höhere Einkommen eines Ehegatten an und hat die Beibehaltung des ehelichen Lebensstandards zum Ziel, während eine Abweichung davon einer etwaigen Herabsetzung des (nachehelichen) Unterhalts gem. § 1578b Abs. 1 BGB vorbehalten bleibt.

Folgerungen aus der Entscheidung

Der BGH macht jedoch deutlich, dass im Einzelfall Modifizierungen möglich sind. So hebt er zum Anspruch auf Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB hervor, dass einer Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils – teilweise – entgegenstehen kann, dass die ihm mögliche Erwerbstätigkeit zusammen mit der von ihm zu leistenden Betreuung und Erziehung des Kindes zu einer überobligationsmäßigen Belastung führen kann.

Insoweit lässt die vom Gesetz angeordnete Billigkeitsabwägung nach § 1570 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB im Einzelfall Raum für eine Einbeziehung dieses Umstands unter dem Gesichtspunkt einer gerechten Lastenverteilung zwischen dem unterhaltsberechtigten und dem unterhaltspflichtigen Elternteil.

Ähnliches gilt bei der Erwerbsobliegenheit des nach § 1573 Abs. 2 oder § 1361 BGB zum Aufstockungsunterhalt verpflichteten Ehegatten. Auch hier kann mit Rücksicht auf die sich aus Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit ergebende Gesamtbelastung im Einzelfall ein Teil des Erwerbseinkommens als überobligatorisch eingestuft werden.

Praxishinweis

Bedeutsam für die praktische Behandlung von Unterhaltsfällen ist auch der Hinweis des BGH, dass der Unterhalt jeweils zeitbezogen zu ermitteln ist. Die Unterhaltsvoraussetzungen (insbesondere Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit) müssen dementsprechend jeweils gleichzeitig vorliegen.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist der Unterhalt ebenfalls zeitbezogen geltend zu machen, wodurch auch der Streitgegenstand des Verfahrens festgelegt wird. Fordert der Unterhaltsberechtigte für einen bestimmten Zeitraum zu viel Unterhalt, ist sein Antrag insoweit abzuweisen und gem. § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht mit anderen Zeiträumen zu verrechnen, in denen er weniger verlangt, als ihm zusteht.

BGH, Beschl. v. 11.11.2015 – XII ZB 7/15

Quelle: Richter am Amtsgericht a.D. Dr. Wolfram Viefhues