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Kindesunterhalt: Folgen großer Einkommensunterschiede

In welchem Umfang muss Barunterhalt gezahlt werden, wenn der betreuende Elternteil weit höhere Einkünfte als der andere Elternteil erzielt? Das OLG Dresden hat entschieden, dass der betreuende Elternteil voll haften kann, wenn dieser etwa dreimal so viel verdient wie der nicht betreuende Elternteil. Die Einkommensverhältnisse betreuender Elternteile könnten so an Bedeutung gewinnen.

Sachverhalt

Die Antragsgegnerin wird auf Kindesunterhalt in Anspruch genommen. Sie war jahrelang in wechselnden Beschäftigungsverhältnissen, mit Unterbrechungen und in unterschiedlichem Umfang als angestellte Rechtsanwältin beschäftigt. Sie wechselte die Stellen, weil der Antragsteller im Rahmen seiner Ausbildung zum Arzt immer wieder an anderen Orten und auch im Ausland arbeitete.

Der Grund für die Unterbrechung der Berufstätigkeit der Antragsgegnerin war ihre Schwangerschaft. Die Beteiligten trennten sich. Nachdem die Kinder zunächst bei der Antragsgegnerin gelebt hatten, wechselten sie in den Haushalt des Antragstellers. Zuvor war das Beschäftigungsverhältnis der Antragsgegnerin als angestellte Rechtsanwältin gekündigt worden, und sie hatte sich mit einer eigenen Kanzlei selbstständig gemacht. Die Antragsgegnerin soll als nicht mehr betreuender Elternteil Barunterhalt leisten.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Das OLG weist den Antrag ab. Es beschäftigt sich in seiner Entscheidung zunächst mit Überlegungen zur Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin.

Dass die Antragsgegnerin selbstständig und nicht mehr angestellt ist, wirft ihr das OLG nicht vor. Dies begründet es vor allem damit, dass sie sich aufgrund der Kündigung des vorherigen Beschäftigungsverhältnisses durch den Arbeitgeber selbstständig gemacht hat.

Dass die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Selbstständigkeit deutlich weniger als ihr bisheriges Einkommen von ca. 2.000 € als angestellte Rechtsanwältin verdient, kann ihr nicht vorgeworfen werden. Eine andere Möglichkeit für die Antragsgegnerin, berufstätig zu werden, ist nicht zu erkennen. Dass ein Rechtsanwalt zumindest in den ersten zwei Jahren seiner Selbstständigkeit keine sonderlich hohen Erträge erwirtschaftet, ist hinzunehmen.

Die Antragsgegnerin hat zudem geltend gemacht, dass bei der Unterhaltsberechnung Darlehensraten zu berücksichtigen seien. Das Darlehen habe sie wegen der Verfahren mit dem Antragsteller und der dadurch entstandenen Gerichts- und Anwaltskosten aufnehmen müssen. Diese Kosten erkennt das OLG an.

Insbesondere kann der Antragstellerin nicht vorgehalten werden, durch die Einleitung eines Insolvenzverfahrens mehr Masse für den Unterhalt schaffen zu können. Denn diese ist ihr nicht zumutbar und lasse einen Vermögensverfall vermuten. Wer als Rechtsanwalt in Vermögensverfall gerät, muss mit dem Widerruf seiner Zulassung rechnen, § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO. Von der Antragsgegnerin kann nicht erwartet werden, ihre Zulassung als Rechtsanwältin aufs Spiel zu setzen.

Diese Erwägungen sind für das OLG aber nur Hilfsüberlegungen. Sie hätten, für sich genommen, bereits ausgereicht, um den Antrag auf Kindesunterhalt abzuweisen.

Tatsächlich weist das OLG den Antrag aus einem anderen Grund ab. Der die Kinder betreuende Antragsteller verdient als Arzt deutlich mehr als die an sich barunterhaltspflichtige Antragsgegnerin. Daher stellt sich die Frage, inwiefern dies einen Einfluss auf den zu zahlenden Unterhalt hat.

In solchen Fällen ist i.d.R. zunächst einmal zu prüfen, welche Folgen eintreten, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil den vollen Barunterhalt zahlt. Auch wenn ihm dann noch der angemessene Selbstbehalt verbleibt, kann wegen des höheren Einkommens des den Naturalunterhalt gewährenden Elternteils und wegen sonstiger Umstände zu erkennen sein, dass der barunterhaltspflichtige Elternteil nicht den vollen Unterhalt zu zahlen hat. Ein nach Billigkeitsgesichtspunkten ggf. reduzierter Betrag ist dann aber dennoch aufzubringen.

Im vorliegenden Fall stellt das OLG aber eine besondere Betrachtung an und zieht eine Grenze. Der Antragsteller, bei dem die Kinder leben, verdient ca. 7.500 € und damit mehr als das Dreifache dessen, was die barunterhaltspflichtige Antragsgegnerin bei fiktiver Betrachtung ihrer individuellen Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt maximal verdienen könnte. Dies ist das entscheidende Argument, die Unterhaltspflicht der Antragsgegnerin entfallen zu lassen.

Folgerungen aus der Entscheidung

Arbeiten beide Elternteile, kommt es für den Kindesunterhalt auf ihre beiden Einkünfte an. Erzielt der die Kinder betreuende Elternteil dreimal so hohe Einkünfte wie der barunterhaltspflichtige, entfällt die Barunterhaltspflicht. Dann ist der den Naturalunterhalt gewährende Elternteil auch voll barunterhaltspflichtig.

Praxishinweis

Der Elternteil, bei dem die gemeinsamen Kinder leben, musste bisher nicht damit rechnen, Auskunft über die eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse erteilen zu müssen, wenn er nicht für sich, sondern für die Kinder Unterhalt verlangte. Möglicherweise ändert sich das nach dieser Entscheidung. Da die Einkünfte des betreuenden Elternteils die Unterhaltpflicht des barunterhaltspflichtigen Elternteils aber erst dann entfallen lassen, wenn sie dreimal so hoch wie dessen Einkünfte sind, sollte vorab die Plausibilität geprüft werden. Denn nur in Ausnahmefällen leben die Kinder bei dem Elternteil, der so viel mehr als der andere Elternteil verdient.

OLG Dresden, Beschl. v. 04.12.2015 – 20 UF 875/15

Quelle: Rechtsanwalt Dr. Lambert Krause