Verkehrsrecht -

Mindestgeschwindigkeit beim Überholen auf der Autobahn

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 16.11.2009 — 1 SsRs 45/09

Das OLG Zweibrücken äußert sich in seiner Entscheidung vom 16.11.2009 dazu, mit welcher Mindestgeschwindigkeit ein Fahrzeug auf einer Autobahn überholt werden muss
(sog. „Elefantenrennen“).

Darum geht es
Der betroffene Lkw-Fahrer überholte mit seinem Lkw auf der BAB 61 zwischen dem Autobahnkreuz Mutterstadt und der Anschlussstelle Schifferstadt einen anderen Lkw, wobei der Überholte eine Geschwindigkeit von rd. 80 km/h einhielt und der Betroffene eine solche von rd. 91 km/h. Hinter dem Lkw des Betroffenen befuhr ein Pkw ebenfalls die linke Überholspur der Autobahn, wobei er während des lang andauernden Überholvorgangs konkret behindert war.

Der Betroffene ist daher vom Amtsgericht wegen fahrlässigen Überholens mit nicht wesentlich höherer Geschwindigkeit als derjenigen des Überholten (§§ 5 Abs. 2 S. 2, 49 Abs. 1 Nr. 5 StVO; 24 StVG) zu einer Geldbuße von 40,00 € verurteilt worden.

Hiergegen richtet sich der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er macht geltend, der Amtsrichter habe den Begriff der nicht wesentlich höheren Geschwindigkeit unzutreffend ausgelegt und zudem die zu seinen Gunsten anzusetzende Messtoleranz nicht richtig berücksichtigt.

Das OLG Zweibrücken hat die Beschwerde zugelassen.

Wesentliche Entscheidungsgründe
Das OLG Zweibrücken setzt sich in seiner Entscheidung ausführlich mit den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 StVO auseinander und führt insofern aus:

Inhalt und Zweck des § 5 Abs. 2 StVO
Zweck der Regelung sei, eine Behinderung oder gar Gefährdung des übrigen Verkehrs durch ungewöhnlich lang andauernde Überholvorgänge zu verhindern. Ein Überholen soll daher nur dann zulässig sein, wenn es unter Berücksichtigung des Geschwindigkeitsunterschiedes zügig durchgeführt werden kann. Andererseits dürfe aber nicht nur einseitig das Interesse der Pkw-Fahrer am schnellen Fortkommen in den Vordergrund gestellt werden. Vielmehr sei auch gegenüber Lkw auf zweispurigen Autobahnen ein faktisches Überholverbot zu vermeiden.

Zumutbare und für die Verkehrsüberwachungsmaßnahmen praktikable Lösung
Es sei daher eine beiderseits zumutbare und für die Verkehrsüberwachungsmaßnahmen praktikable Lösung zu suchen. Eine Ahndung komme deshalb nur dann in Betracht, wenn der Verkehrsfluss tatsächlich unangemessen behindert werde. Dies sei zu verkehrsarmen Zeiten, insbesondere auf dreispurigen Strecken, nicht der Fall.
Ahndungswürdig sei ein derartiges Überholen aber dann, wenn es eine unangemessene Zeitspanne in Anspruch nehme und der schnellere Pkw-Verkehr nicht nur kurzfristig behindert werde. Danach sei eine Geschwindigkeitsdifferenz von 10 km/h als noch regelkonform zu beurteilen.
Als Faustregel könne für einen regelkonformen Überholvorgang eine Dauer von höchstens 45 Sekunden anzusetzen sein. Auch wenn damit der konkreten Verkehrssituation im Einzelfall nicht immer Rechnung getragen werden könne, seien jedenfalls Überholvorgänge auf zweispurigen Autobahnen, die bei einer Dauer von mehr als 45 Sekunden bzw. einer Differenzgeschwindigkeit von unter 10 km/h zu einer deutlichen Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer führten, bußgeldrechtlich zu ahnden.

Anmerkung
Eine eindeutige Festlegung, wie die „nicht wesentlich höhere Geschwindigkeit“ i. S. d. § 5 Abs. 2 Satz 2 StVO zu bemessen ist, ist weder der obergerichtlichen Rechtsprechung noch der hierzu veröffentlichten Literatur genau zu entnehmen. So ist innerorts eine Differenz von 50 zu 40 km/h (BGH, VersR 1968, 1040) bzw. - auf vierspuriger Straße - sogar von 50 zu 45 km/h (OLG Bremen, VRS 28, 50, 53) als noch zulässig angesehen worden. Auf Autobahnen wurde ein Geschwindigkeitsunterschied von 80 zu 70 km/h als zu knapp beurteilt (OLG Frankfurt, OLGR 1993, 19).

Die Entscheidung des OLG Zweibrücken steht im Einklang mit dem Beschluss des OLG Hamm vom 29. Oktober 2008 — 4 Ss OWi 629/08 = DAR 2009, 339: Das OLG Hamm hat ebenso wie das OLG Zweibrücken eine Differenzgeschwindigkeit von 10 km/h als noch regelkonform angenommen.

Insofern liegen jetzt also zwei für die tägliche Praxis wichtige Entscheidungen vor, auf die ggf. zurückgegriffen werden kann.

Quelle: Rechtsanwalt Dr. Stephan Schröder, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Kiel - Urteilsbesprechung vom 08.02.10