Familienrecht -

Beschleunigungsgebot in Kindschaftssachen

Es liegt kein Verstoß gegen das Vorrang- und Beschleunigungsgebot in Kindschaftssachen vor, wenn ein Erörterungstermin, der innerhalb der Monatsfrist des § 155 Absatz 2 FamFG anberaumt worden ist, aus sachlichen Gründen mehrfach verlegt wurde. Das hat das OLG Bremen entschieden. Das Beschleunigungsgebot orientiert sich am Kindeswohl, eine gesetzliche Verfahrenshöchstdauer gibt es nicht.

Sachverhalt

Die Kindeseltern rügen, dass die bisherige Verfahrensdauer in der vorliegenden Kindschaftssache nicht dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot nach § 155 Abs. 1 FamFG entspreche (Beschleunigungsrüge).

Nachdem den Kindeseltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge und das Recht, öffentliche Hilfen zu beantragen, für ihren Sohn vorläufig entzogen worden ist, beantragten sie am 05.05.2017, den Umgang mit ihrem Sohn zu regeln. Durch Beschluss vom 10.05.2017 hat das AG den bereits in den parallel geführten Sorgeverfahren bestellten Verfahrensbeistand bestellt und mit Verfügung vom gleichen Tage einen Erörterungstermin für den 01.06.2017 anberaumt.

Mit Schreiben vom 11.05.2017 und 18.05.2017 bat die Amtsvormündin um Terminverlegung. Mit Schreiben vom 23.05.2017 wies sie darauf hin, dass nach Feststellungen des Kinderarztes für das Kind ein Operationstermin für den 09.06.2017 in der Kinderklinik angesetzt worden sei. Es sei zwingend erforderlich, den abschließenden Befund abzuwarten, bevor das Umgangsverfahren weitergeführt werde.

Durch Verfügung vom 24.05.2017 hob das AG den Termin vom 01.06.2017 auf, bestimmte einen neuen Termin für den 14.07.2017 und begründete dies damit, dass wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs zunächst das Ergebnis der Untersuchung in der Kinderklinik vom 09.06.2017 abgewartet werden solle und die Vertreterin der Amtsvormundschaft am 01.06.2017 verhindert sei.

Mit Schreiben vom 24.05.2017 bat der Verfahrensbeistand wegen urlaubsbedingter Ortsabwesenheit vom 04.07.2017 bis 24.07.2017 um eine erneute Terminverlegung. Der Termin wurde sodann vom 14.07.2017 auf den 27.07.2017 verlegt. Mit Schriftsatz vom 30.05.2017 legten die Kindeseltern Beschleunigungsrüge nach § 155b FamFG ein, die das Familiengericht zurückwies. Hiergegen legten sie Beschleunigungsbeschwerde nach § 155c FamFG ein.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Das OLG hat die Beschleunigungsbeschwerde zurückgewiesen. Eine generelle Festlegung, ab wann ein Verfahren in Kindschaftssachen nicht beschleunigt durchgeführt wurde, ist nicht möglich. Ein Maßstab für diese Frage ist die Orientierung am Kindeswohl, welches das Beschleunigungsgebot sowohl prägt als auch begrenzt.

Das Beschwerdegericht hat unter Zugrundelegung dieser Faktoren deshalb darüber zu entscheiden, ob die Dauer des bisherigen Verfahrens den Anforderungen des Vorrang- und Beschleunigungsgebotes entspricht, insbesondere ob das Ausgangsgericht die notwendigen verfahrensfördernden Maßnahmen getroffen hat.

Ein Verstoß gegen das Vorrang- und Beschleunigungsgebot in Kindschaftssachen liegt nicht vor, wenn ein zunächst innerhalb der Monatsfrist des § 155 Abs. 2 S. 2 FamFG anberaumter Erörterungstermin aus sachlichen Gründen (hier: Verhinderung von Amtsvormund und Verfahrensbeistand, Abwarten des Ergebnisses einer klinischen Untersuchung bei bestehendem Verdacht des sexuellen Missbrauchs) mehrfach verlegt wurde.

Folgerungen aus der Entscheidung

Durch die seit dem 15.10.2016 bestehenden Rechtsbehelfe der Beschleunigungsrüge und Beschleunigungsbeschwerde soll dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 Abs. 1 FamFG ein präventiver Rechtsschutz zur Seite gestellt werden.

Die meisten der bislang ergangenen Entscheidungen haben die Rüge bzw. Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. So hat das KG Berlin mit Beschluss vom 31.01.2017 (13 WF 12/17) ausgeführt, dass allein in der zeitlichen Dauer des Verfahrens von mehr als zweieinhalb Jahren keine Verletzung des Vorrangs- und Beschleunigungsgebotes gesehen werden kann.

Der Gesetzgeber hat bewusst keine Verfahrenshöchstdauer festgelegt. Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass es die Mutter selbst gewesen st, die den Umgang zu ihren Kindern abgebrochen hatte. Das OLG Bremen, hat in einem weiteren Beschluss vom 02.02.2017(4 UF 13/17), FamRZ 2017, 984 den Antrag ebenfalls als unbegründet zurückgewiesen.

Lediglich das OLG Hamburg (Beschl. v. 08.02.2017, 7 WF 9/17, FamRZ 2017, 986) hat – soweit ersichtlich – die Beschleunigungsbeschwerde als begründet erachtet, nachdem im März 2015 ein Sachverständiger beauftragt worden ist, der jedoch trotz mehrfacher gerichtlicher Nachfrage erst Ende 2016 mitteilte, dass das Gutachten bis spätestens Ende Januar 2017 vorliegen werde.

Praxishinweis

Maßstab für die Beurteilung ist eine objektive Betrachtung des konkreten Einzelfalls. Es kommt nicht darauf an, wie sich ein idealer Richter verhalten hätte (BT-Drs. 18/9092, S. 18). Zu beachten ist, dass bei einer Zurückweisung die Beschwerdeführer nach § 84 FamFG die Kosten zu tragen haben. Der Verfahrenswert ist hier nach § 42 Abs. 2 FamGKG auf 1.000 € festgesetzt worden.

OLG Bremen, Beschl. v. 12.07.2017 - 4 UF 72/17

Quelle: Dr. Wolfram Viefhues